Glaubenssystem, wie eine Sekte ihr Leben kontrollierte Elke #67
Shownotes
Triggerwarnung: Diese Folge enthält sensible Themen wie religiösen Druck, psychische Gewalt, emotionale Manipulation, Ausstieg aus einer Glaubensgemeinschaft und familiären Kontaktabbruch. Bitte höre sie nur, wenn du dich stabil genug fühlst.
Elke wächst in einer streng religiösen Gemeinschaft auf, heiratet früh, bekommt drei Kinder und zweifelt. Ein radikaler Wendepunkt, der Weg ins Frauenhaus und der Neustart als Alleinerziehende verändern alles. Offen spricht sie über Angst, Mut und die Freiheit, das eigene Leben zurückzuholen bis hin zur späten Versöhnung mit ihrer Herkunftsfamilie.
ZeugenJehovas #ReligiöserMissbrauch #Ausstieg #Sektenausstieg #ReligiöserDruck #Glauben #Neuanfang #Frauenhaus
Zeitstempel: 0:00 - 1:48: Triggerwarnung & Intro 1:48 - 6:54: Kindheit bei den Zeugen Jehovas 6:54 - 11:47: Moralvorstellungen & Kindheit ohne Freiheit 11:47 - 18:54: Jugendzeit, erste Liebe & Konflikte mit der Familie 18:54 - 24:56: Frühe Ehe & Mutterrolle unter religiösem Druck 24:56 - 33:01: Überforderung, Zweifel & innere Zerrissenheit 33:01 - 47:10: Der Wut-Workshop 47:10 - 52:49: Erste Distanz zum Glauben & psychologische Hilfe 52:49 - 59:59: Trennung, Frauenhaus & Neubeginn mit drei Kindern 59:59 - 1:20:28: Heilung, Versöhnung mit der Familie & Freiheit als neues Leben
Elkes Website: https://www.elke-sohler.de/
Bücher: https://www.amazon.de/-/en/Freiheit-ist-eine-Entscheidung-Jehovas/dp/3000819916/
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Transkript anzeigen
00:00:03: Ich hab mich dann auch verliebt in einem Mitschüler.
00:00:05: Und das muss dann natürlich alles irgendwie heimlich bleiben, weil ich wollte ja gerne auf der einen Seite eine gute Tochter bleiben.
00:00:12: Und auf der anderen Seite wollte ich leben.
00:00:14: Und ich wollte ja ins Paradies, das war ja so die finale Belohnung.
00:00:18: Dann hat mein Vater gesagt, ob das auch eine Trennung vom Glauben sei, gleichzeitig.
00:00:25: Und ich hatte aber nicht den Mut, so zu sagen.
00:00:28: Und ich hab nur gesagt, ich weiß es noch nicht.
00:00:30: Und wo ich es natürlich schon
00:00:31: wusste.
00:00:34: Trigavano, bevor wir beginnen, möchten wir dich auf etwas Wichtiges hinweisen.
00:00:38: Uns in deine Sicherheit und Gefühle wichtig.
00:00:41: Wir möchten gewährleisten, dass du dich während des Höhrens unseres Podcasts wohl fühlst und keine unerwarteten Auslöser erlebst.
00:00:48: In dieser Episode werden wir Themen ansprechen, die für einige Höhren der Verstörend sein könnten.
00:00:53: Zu Beginn der Folge stellen wir das Thema vor.
00:00:55: Falls du denkst, dass das genannte Thema für dich persönlich belastend sein könnte, dann möchten wir dich bitten, die Folge direkt zu beenden.
00:01:05: Stell dir vor, du kommst in einen Raum, vor dir sitzt ein Mensch und du hast keine Ahnung, wer das ist.
00:01:10: Das passiert mir in jeder Folge bei unserem Podcast von Bohne zu Bohne.
00:01:14: Mein Name ist Charlotte und ich weiß vorher nichts über unsere Gäste.
00:01:18: Keine Name, keine Information, keine Themen.
00:01:21: Also werden meine Fragen auch deine Fragen sein.
00:01:25: Ich bin Sanja und ich suche die Gäste.
00:01:28: Hier achte ich darauf, dass es Menschen mit spannenden Persönlichkeiten und faszinierenden Erlebnissen sind.
00:01:33: Und genau die wollen wir mit euch teilen.
00:01:36: Bist du bereit, gemeinsam mit Charlotte neue Geschichten kennenzulernen?
00:01:45: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge.
00:01:47: Mein Name ist Charlotte.
00:01:48: Mein Name ist Zanya.
00:01:49: Mein Name ist Elke.
00:01:51: Und ich möchte heute über meinen Ausstieg bei den Zeugen Jehovas sprechen.
00:01:54: Hi, Elke.
00:01:56: Freut mich, dich kennenzulernen.
00:01:57: Wir hatten schon mal Sophie Jones, die war bei den Zeugen Jehovas.
00:02:01: Jetzt bin ich noch mal gespannt, wie sich deine Geschichte entwickelt.
00:02:04: Denn Fakt ist, wir haben sehr, sehr viel Resonanz auf ... Sophie Jones bekommen.
00:02:09: Auch sehr konträre Meinungen zu dem Thema.
00:02:11: Deshalb bin ich gespannt.
00:02:12: Wo beginnt deine Geschichte?
00:02:14: Bei meiner Geburt.
00:02:15: Okay, spätestens.
00:02:16: Ja.
00:02:17: Ja, ich wurde in einem kleinen Dorf als Drittes von vier Kindern in eine Familie von Zeugen Jehovas hineingeboren.
00:02:28: Meine Eltern waren ein paar Jahre zuvor aus Bayern nach Ostfriesland gezogen, wo ich geboren wurde.
00:02:35: und haben dort ihren Glauben ausgeübt.
00:02:39: Sind deine Eltern schon per se immer bei den Zeugen Jehovas gewesen oder sind sie dazugestoßen?
00:02:45: Sie sind dazugekommen.
00:02:47: Also, du musst dir vorstellen, das war so kurz nach dem Krieg.
00:02:51: Und da haben sich meine Eltern kennengelernt.
00:02:54: Und meine Mutter interessierte sich für die Zeugen Jehovas.
00:02:58: Das heißt, ein Arbeitskollege hatte sie angesprochen.
00:03:01: Sie war so ein bisschen auf der Suche.
00:03:03: und hatte schon verschiedene Glaubensrichtungen sich angeschaut.
00:03:08: Und dann sprach sie ein Kollege an und lud sie ein zu einem Vortrag.
00:03:12: Und das hat ihr sehr gut gefallen.
00:03:14: Und sie war dann schon mit meinem Vater zusammen und mein Vater sagte später zu mir, ja, ich hab mir das angeguckt und hab mir gedacht, na, warte mal, wenn wir verheiratet sind, dann läuft das so wie ich will, dann ist Schluss damit.
00:03:27: Aber mein Vater ist dann auch mitgegangen und ... hat irgendwie Feuer gefangen.
00:03:34: Und sie sind dann beide im Glauben der Zeugen Jehovas getauft worden.
00:03:38: Das heißt auch, dass alle Kinder zur Geburt dann mit dem Glauben aufgewachsen sind?
00:03:42: Ganz genau.
00:03:43: Das war ja noch so um die Hochzeit herum.
00:03:48: Und sie haben dann geheiratet und haben dort zwei Söhne bekommen in Bayern und sind dann aber weggezogen.
00:03:54: Gab's dafür einen speziellen Grund?
00:03:56: Ja, es war ein kleines katholisches Dorf.
00:03:59: Und du kannst dir vorstellen, dass das nicht unbedingt besonders beliebt war, wenn man da so einem komischen Glauben angehörte.
00:04:07: Und so haben sie sich auf den Weg gemacht.
00:04:09: Hatte deine Familie eine bestimmte Position in der Zeugen Jehovas Gruppe?
00:04:16: Dadurch, dass mein Vater halt mit uns, also mit seiner Frau und den zwei Kindern in eine Gegend gezogen ist, dass die praktisch noch so ein weißer Fleck war auf der Landkarte der Zeugen Jehovas.
00:04:31: hatte er schon eine Führungsposition von Anfang an.
00:04:35: Und dadurch waren wir als Familie natürlich auch irgendwie immer in erster Reihe, sag ich mal so.
00:04:43: Würdest du auch so ... Also, es gibt ja sowieso eine Art Stufensystem, wenn ich mich richtig entsinne, in der du, sozusagen, je nachdem, wie viele Aufgaben du übernimmst, erledigst oder auch spendest, dann höher in den Rang höher steigst.
00:04:55: Ist das richtig?
00:04:57: Das würde ich jetzt nicht so beschreiben.
00:04:58: Okay, wie würdest du es beschreiben?
00:04:59: Also ... Grundsätzlich, Frauen gehen nicht in Führungspositionen.
00:05:04: Es sind nur Männer.
00:05:05: Und es sind dann Männer, die ja auch die Befähigung haben, Menschen zu führen oder die halt schon lange dabei sind, die dann auch in diese Führungsrollen kommen.
00:05:17: Es hat jetzt nichts mit Spenden oder so zu tun.
00:05:20: Okay, dann hab ich das sogar falsch in Erinnerung.
00:05:22: Okay, das heißt also, da ging es dann direkt für deinen Vater schon in die Führungsrolle.
00:05:27: Wollte er das auch?
00:05:28: War das auch ein Wunsch von ihm?
00:05:30: Ich denke, dass ihm das sehr bewusst war.
00:05:33: Okay.
00:05:33: Wie ging es dann weiter?
00:05:35: Ja, wie ging es weiter?
00:05:37: Ein paar Jahre später kam ich zur Welt als erstes Mädchen.
00:05:41: Und für mich war es dann ganz normal, in dieser Familie, was ich also aufwuchs, jeden Tag praktisch mit dem Glauben in Kontakt zu sein.
00:05:53: Also, das ist ja einfach ein Unterschied, ob jetzt katholisch evangelisch best oder Zeug Jehovas ... Da lebst du deinen Glauben.
00:06:02: Wir gehörten nicht nach Religion an, sondern wir haben ihn gelebt, den Glauben.
00:06:09: Wie hat sich das Praktizieren des Glaubens genauer ausgedruckt?
00:06:12: Kannst du das beschreiben?
00:06:14: Ja, gut.
00:06:14: Das war zum einen natürlich dreimal in der Woche die Versammlungen besuchen.
00:06:19: Freitags, abends, Sonntags, nachmittags und mittwochs.
00:06:25: Das war so, dass der Grundpfeiler, würde ich mal sagen, diese fünf Stunden.
00:06:29: Und dann gab es natürlich den Predigtdienst, also es heißt, man ging von Haus zu Haus und da bin ich auch schon sehr früh mit reingekommen.
00:06:38: Also als kleines Mädchen schon mitgegangen mit den Eltern, später mit anderen.
00:06:42: Und irgendwann bin ich dann selber, hab selber Jüngere mitgenommen.
00:06:47: Das sind so die Sachen, das andere ist natürlich, dass sie auch immer wieder aufgefordert wurden bei jeder Gelegenheit, die sich uns bot, über den Glauben zu sprechen, zum Beispiel in der Schule.
00:06:58: bei Mitschülern oder wenn wir unterwegs waren, jede Möglichkeit zu nutzen, um darüber zu sprechen und Menschen zu interessieren.
00:07:09: Und dafür wurden wir ja auch ausgebildet.
00:07:11: Also wir haben, ich habe zum Beispiel gelernt, wie argumentiere ich an den Türen, wenn ich da von Haaste Haus gehe, wie entkräftig ich einwende, wie gehe ich damit um, so um möglichst ... das Gespräch so geschmeidig zu gestalten, dass man in den Austausch geht.
00:07:31: Das hat man aber schon von Kindheit an gelernt.
00:07:34: oder gab es ab einem gewissen Alter, kam das?
00:07:37: Also das wurde ja in den Versammlungen gelehrt und wurde auch in Rollenspielen vorgemacht, wie das ... dann aussehen könnte zum Beispiel.
00:07:46: Und das nimmt man ja auf als Kind.
00:07:48: Das heißt also auch, die Predigten waren für jede Altersgruppe gedacht.
00:07:52: Die waren nicht unterschieden in.
00:07:54: die Jungen kommen dahin.
00:07:56: Wir haben kein Kindergottesdienst gehabt.
00:07:58: Das ist richtig.
00:07:59: Die Kinder werden vom Babyalter mitgenommen.
00:08:02: Und dann werden sie halt auch so trainiert, dass sie möglichst ruhig sitzen und nicht stören.
00:08:08: Und ja.
00:08:10: Wie hast du die Zeit in Erinnerung?
00:08:11: Also, gerade dreimal die Woche ist ja recht häufig.
00:08:14: Gerade als Kind, kann ich mir vorstellen, ist es auch anstrengend.
00:08:16: Es gab ja auch noch mehr.
00:08:17: Es gab dann ja auch noch den Tag, wo wir mit der Familie zusammen saßen und dann was gemacht haben.
00:08:24: Dann gab es einen Tag in der Woche, wo mein Vater mit mir ein spezielles Buch, was es für Jugendliche, besprochen hat.
00:08:33: Und dann gab es noch den Samstag, an dem wir den sogenannten Straßendienst gemacht haben.
00:08:38: Das heißt, uns an die Straßenecke gestellt mit dem Wachturm.
00:08:42: Und ja, das Bild kennt man ja.
00:08:45: Heute sind sie mit ihren Wagen unterwegs.
00:08:48: Wie ich das empfunden habe.
00:08:50: Also, ich sag mal, größtenteils langweilig für mich.
00:08:54: Ich saß halt, da hab zugehört, weil ich zuhören musste.
00:08:58: Aber mein ... Geist war woanders unterwegs, das war schon so.
00:09:03: Aber es war ja auch keine Diskussion darüber.
00:09:07: Es gab ja nicht diese Situation, dass ich sagen konnte, ich möchte heute nicht mit zu Hause bleiben.
00:09:13: Das ging nur, wenn ich krank war.
00:09:15: D.h.,
00:09:15: der eigene Wille hat da gar keine Rolle gespielt?
00:09:18: Gar nicht.
00:09:19: Wie war deine Kindheit, wenn du gar keinen eigenen Willen haben durftest?
00:09:25: Strenge.
00:09:26: Ich hab gelernt, mich meiner Welt anzupassen.
00:09:30: Und ich habe versucht, möglichst angepasst zu sein, weil es ja auch Strafen gab, wenn ich nicht mich so verhalten habe, wie es von mir erwartet wurde.
00:09:41: Es ging ja darum, aus mir eine gute Zeugin Jehovas zu machen.
00:09:46: Und das haben meine Eltern als Aufgabe angesehen.
00:09:50: Und da wurde halt auch nachgeholfen, wenn ich nicht so konform war.
00:09:56: Daher,
00:09:58: wie wurde denn nachgeholfen?
00:10:00: Ja, durch Schimpfen, durch Achteschläge.
00:10:04: Aber ich muss dazu sagen, das war in den Siebziger, sechs Jahrjahren, eine ganz normale Erziehungsmethode zumindestens auf dem Land.
00:10:13: Es war jetzt nicht ungewöhnlich und das fand in anderen Familien auch statt.
00:10:17: Nur wahrscheinlich wegen anderer Delikte.
00:10:19: Du hast gerade eben gesagt, sie wollten, dass du eine gute Zeugin Jehovas wirst.
00:10:24: Kannst du uns beschreiben, was eine gute Zeugin Jehova-Anhängerin wäre?
00:10:30: Ja, die ganzen Gesetze befolgt, die in der Bibel stehen bzw.
00:10:36: die von den Zeugen Jehovas dann auch so abgeleitet wurden, die über ihren Glauben spricht, sich gut auskennt in den Schriften in der Bibel und dann auch damit rausgeht und mit vielen Menschen darüber spricht.
00:10:50: Und ja, wo man so sagt, dass das Verhalten keinen Anlass zum Tadel gegeben hat.
00:10:59: Wie sieht es da im Bereich der Moralvorstellung aus?
00:11:01: Kannst du uns da ein Bild von geben?
00:11:04: Ja, die Moralvorstellung.
00:11:06: Ich würde sagen mal so hundert Jahre zurück.
00:11:08: Dann hatten wahrscheinlich alle so eine ähnliche Moralvorstellung.
00:11:11: Also zum Beispiel ... Sex findet nur innerhalb der Ehe statt.
00:11:18: Nicht vorher.
00:11:19: Erst ab dem Moment, wo man vorheiratet ist.
00:11:23: Und nach Möglichkeit auch nicht allzu viel Austausch von Zärtlichkeit, Küssen oder so was.
00:11:29: Das war ganz streng.
00:11:31: Und gab es da auch Regelungen zum Austausch oder zur Kommunikation zum anderen Geschlecht?
00:11:37: Na ja, man sollte halt möglichst nicht mit jemandem vom anderen Geschlecht alleine sein, weil das halt dann auch dazu führen könnte, dass man dann Dinge tut, die man nicht tun sollte.
00:11:49: Okay.
00:11:50: Ab wann hast du denn für dich gemerkt so, du rebellierst hier so ein bisschen gegen das, was im Alltag für dich passiert?
00:11:58: Also, ich glaube, ganz natürlicherweise im Teenager-Alter.
00:12:03: Also, das ... Ich kann jetzt keinen Alter nennen, aber es war vielleicht zu drei, zehn, vierzehn, wo ich einfach gemerkt habe, dass was vorher alles so selbstverständlich war und nicht angezweifelt wurde, das möchte ich jetzt doch so ein bisschen verändern für mich.
00:12:20: Also, ich wusste, ich hab da nicht großen Spielraum, aber ich hab halt versucht, ja, mir so ein bisschen vom ... so ein kleines Stück vom Kuchen auch zu holen, indem ich so ein bisschen in der Schule versucht habe, mich mehr anzupassen an meine Mitschüler.
00:12:35: oder ich hab mich dann auch verliebt an einem Mitschüler.
00:12:39: Und das muss dann natürlich als irgendwie heimlich bleiben, weil ich wollte ja gerne auf der einen Seite eine gute Tochter bleiben.
00:12:47: Und auf der anderen Seite wollte ich leben.
00:12:49: Und hab dann versucht so eine Gradwanderung zu machen.
00:12:54: Wolltest du eine gute Zeuge in Jehovas werden?
00:12:58: Ja, ich glaube schon, dass das Ziel war.
00:13:01: Also ich wollte natürlich meine Eltern nicht verärgern und entfäuschen.
00:13:05: Aber ich habe ja auch daran geglaubt, dass Jehova das von uns verlangt, dass wir uns so verhalten.
00:13:10: Und ich wollte ja ins Paradies, das war ja so die finale Belohnung.
00:13:15: Und da musste ich mich natürlich auch so verhalten, dass das möglich war.
00:13:20: Ich erinnere mich daran, dass bei den Zeugen Jehovas immer so was wie ein Weltuntergang der Tag des jüngsten Gerichtes, ich weiß jetzt gerade nicht, wie man das bezeichnet, dass das eine sehr große Rolle gespielt hat.
00:13:31: Und Sophie Jones zumindest hatte wochenlang, monatelang jeden Tag am Fenster gestanden und geschaut, ob die Welt brennt.
00:13:38: Wie war das bei dir?
00:13:40: Ich weiß jetzt nicht, wie alt Sophie Jones ist.
00:13:44: Bei uns war es, ja, also das Wort ist Hamageddon.
00:13:48: Ja, das ist das Wort für den Krieg Gottes.
00:13:52: Und in meiner Zeit war das neunztundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhundhund.
00:14:12: Das wurde uns gesagt, das würde passieren.
00:14:15: Und dann würden die Religion tatsächlich zum Erliegen kommen.
00:14:19: Nur die Zeugen Jehovas machen natürlich weiter, die lassen sich von sowas nicht beirren.
00:14:23: Und dann könnte es sein, dass der Zorn der... Regierenden sich auf uns richtet und das ist tatsächlich zur Verfolgung kommen würde und dazu, dass Menschen eingesperrt werden und so weiter.
00:14:37: Und das fand ja auch in verschiedenen Teilen der Welt statt.
00:14:41: Also ich kann mich sehr lebhaft erinnern an Berichte aus Afrika, aus Malawi, wo unsere Glaubensbrüder verfolgt wurden und auch grausames Handelt wurden.
00:14:52: Und diese Berichte, die haben wir Die wurden uns in gedruckter Form, z.B.
00:14:57: in den Zeitschriften und so, war das dann abgedruckt, konnte man das nachlesen.
00:15:02: Und ich hatte Angst davor.
00:15:05: Ich war ja im Grundschulalter.
00:15:09: Und ich wusste das kommen, daran gab es kein Zweifel für mich.
00:15:14: Aber wie es jetzt genau aussehen würde, wusste ich natürlich nicht.
00:15:17: Und es wurde auch gesagt, möglicherweise gibt es nicht genügend zu essen für uns.
00:15:23: Und meine Mutter fing an, Lebensmittel zu horten.
00:15:26: Haltbare Lebensmittel.
00:15:28: Und sie packte die in so einen ganz großen weißen Karton.
00:15:32: Und an diesem großen Karton, da musste ich dann abends immer vorbei, wenn ich ins Bett ging.
00:15:38: Und ich hatte wahnsinnige Angst, weil ich wusste, der Karton steht da, also wird das passieren.
00:15:45: Es werde kommen.
00:15:46: Wir wissen nur nicht ganz genau wann, aber irgendwann im Jahr neunzehntunundsebzig, das ... war so fokussiert dieses Jahr.
00:15:54: Hat man erklärt, warum?
00:15:56: Ja,
00:15:57: das war eine Rechnung, die gemacht wurde.
00:16:01: Da wurden verschiedene Daten aus der Geschichte hergenommen.
00:16:08: Ich kann dir nicht erzählen, wie man da hingekommen ist.
00:16:11: Ich hatte auch nie Lust gehabt, das zu lernen.
00:16:14: Irgendwie hat sich da mein Gehirn geweigert.
00:16:17: Aber man ist dabei, in den letzten Jahren, in den letzten Jahren rausgekommen.
00:16:21: Wieder strebt es nicht eigentlich diesem Glauben selbst, dass man sich auf so einen Jahr, also auf ein konkretes Jahr festlegt, weil es geht ja im Glauben genau darum, dass man daran glaubt, dass es eines Tages kommt und nicht vorher sagt, dass es an einem bestimmten Datum ist.
00:16:34: Das wird dir heute auch nicht mehr gemacht.
00:16:37: Das war damals.
00:16:39: Und ja, das Ding war auch, dass von der Führung aus dann hinterher so ein bisschen gelächelt wurde über die Menschen, die sich daran ... orientiert haben, weil einige haben tatsächlich ihre Lebensversicherung aufgelöst, ihre Häuser verkauft.
00:16:57: Also ganz viele Sachen gemacht, die man macht, wenn man davon überzeugt ist, das geht hier zu Ende.
00:17:03: Und ja, es war ein bisschen gemein, dass dann nach diesen normalen, sag mal, Verkündigern nennt man sie ja, praktisch zu Last zu legen, weil, woher hatten sie denn diese Informationen?
00:17:19: Und es sind dann auch tatsächlich viele gegangen.
00:17:22: Die haben dann gesagt, nö, also jetzt mag ich einfach nicht mehr.
00:17:26: Aber bei uns zu Hause hieß es eigentlich, ja, Jehova hat uns geprüft, hat unsere Glauben geprüft und deshalb geht's jetzt weiter.
00:17:35: Also, ja.
00:17:36: Weißt du, was die Personen mit ihrem Geld gemacht haben, die gerade ihr Eigentum verkauft haben?
00:17:43: Vermutlich mal gespendet.
00:17:45: Also kann ich dir nicht genau sagen.
00:17:48: Du hattest jetzt gerade davon berichtet, dass es für dich ein Auf und Ab war, als du Jugendliche warst.
00:17:53: Und daran ein bisschen dein Versuch, dass deine Identität zu finden.
00:17:57: Magst du da noch mal anknüpfen?
00:17:59: Ja, zum Beispiel hab ich dann auch zu Hause mit mehr Nachdruck verlangt, dass ich zum Beispiel zu einer Klassenfähte durfte.
00:18:07: Das war eigentlich verboten.
00:18:09: Also das wurde nicht gerne gesehen.
00:18:11: Und hab ich halt ein bisschen mehr rumgekrängelt.
00:18:13: Und dann manchmal auch dann ... um die Erlaubnis bekommen.
00:18:17: Hatten deine Brüder nicht rebelliert?
00:18:18: Ich meine, die waren ja älter als du.
00:18:20: Das stimmt, das weiß ich eigentlich nicht.
00:18:22: Also ich denke weniger als ich.
00:18:25: Okay.
00:18:26: Hatten deine Brüder denn mehr Freiheiten als du?
00:18:28: Mit Sicherheit nicht.
00:18:30: Okay.
00:18:31: Aber ich war halt ein Mädchen, vielleicht sind die anders.
00:18:35: Wie groß war denn das Ausmaß deiner Rebellion?
00:18:38: Das war überschaubar.
00:18:42: Ja, das war halt, wie gesagt, ich hab mich in Klassenkameraden verlebt.
00:18:46: Wir sind auch ein paar Mal zusammen irgendwie ... haben uns mal irgendwie getroffen.
00:18:51: Ja, ich fing so ein bisschen an, mich zu schminken.
00:18:54: Aber ganz dezent, das ist nicht aufhiel.
00:18:57: Und ... ja, wie gesagt, also ich hab so ein bisschen versucht, mehr Kontakt zu meinen Mitschülern zu bekommen.
00:19:04: War dieser eine Mitschüler der Einzige, mit dem du dich getroffen hast, der Einzige Mann?
00:19:09: Ja.
00:19:10: Von den ... Mit Schülern, ja.
00:19:13: Nachdem du den Jungen kennengelernt hattest, gab es dann einen Partner, wo du gesagt hast, an den möchtest du dich binden?
00:19:20: Ja, den gab es in der Tat.
00:19:22: Und das war ein Zeug Jehovas.
00:19:24: Die Familie kam neu zu uns, weil die Eltern sich auch erst im späteren Alter dazu entschlossen hatten, diesen Glauben beizutreten.
00:19:37: Und er war einer der Söhne.
00:19:40: Wie alt warst du da?
00:19:41: Gut, fünfzehn.
00:19:42: Oh,
00:19:42: das ist ja tatsächlich noch sehr jung.
00:19:44: Und dein ehemaliger Partner dann?
00:19:47: Äh, drei Jahre älter.
00:19:48: Oh.
00:19:49: Ach krass, okay.
00:19:50: Und habt ihr euch dann erst mal so kennengelernt, gedatet in Jehova-Form, oder wie können wir das verstehen?
00:19:58: Also, ich würde mal sagen, er hat es am Anfang gar nicht gemerkt, dass ich irgendwie toll fand.
00:20:01: Und ich habe ihn so ein bisschen mit den Waffen einer Frau ... Die Aufmerksamkeit irgendwie auf mich gezogen und ... Das war alles noch sehr harmlos am Anfang.
00:20:14: Und irgendwann waren wir dann zusammen.
00:20:16: Da war ich fünfzehn, ein halb, drei Viertel, so was.
00:20:20: War dann damit klar, dass ihr auch heiraten werdet?
00:20:24: Ja.
00:20:26: Nein, sag ich mal so.
00:20:28: Also, wir waren zusammen und meine Eltern wussten erst mal nichts davon.
00:20:33: Wir haben das erst mal versucht, geheim zu halten.
00:20:36: Und Herz hatte ja auch was.
00:20:38: Wie kann ich mir diese Romanze vorstellen, wenn ihr das bei deinen Eltern euch nicht treffen konntet, konntet ihr euch bei seinen Eltern treffen?
00:20:46: Oder in wiefern habt ihr euch getroffen?
00:20:49: Wo?
00:20:51: Also, wir haben uns teilweise bei ihm getroffen, ja.
00:20:55: Das hat funktioniert mit den Eltern?
00:20:57: Ja, die waren nicht ganz so streng gemeiner.
00:20:59: Die waren ja auch noch frisch im Glauben, da könnte man ...
00:21:01: Ja, die Mutter war sowieso ein bisschen ... Tolerantau und das war okay.
00:21:06: Okay, und dann hatten die auch gar nicht gesprochen oder das haben andere Gemeinde mit Glieder mitbekommen?
00:21:12: Ja, wir haben dann auch diese Versammlungen immer genutzt, um uns zu unterhalten.
00:21:18: Wenigstens das.
00:21:20: Und das haben wir dann im Flur gemacht, wo wir so ein Eckchen hatten für uns.
00:21:27: Und da hat uns dann jemand verpetzt.
00:21:31: Und dann ging natürlich ... Das Theater los zu Hause.
00:21:35: Mein Vater hat nicht verstanden, warum, was ich von ihm will.
00:21:39: Er fragte, was willst du von ihm?
00:21:40: Weil eine Freundschaft soll zur Ehe führen und ihr seid noch viel zu jung.
00:21:46: Dadurch bekam das Ganze auf einmal auch eine ... Ja, eine Ernsthaftigkeit, die uns ein bisschen überrannt hat.
00:21:57: Mhm.
00:21:58: Und dann war erst mal Schluss, wir durften uns nicht mehr treffen.
00:22:02: Und ja.
00:22:03: Aber mein Vater hat dann gesehen, dass ich mich nicht einfangen ließ, dass ich also wirklich total verliebt war.
00:22:11: Und er hat uns dann gestattet, dass wir uns alle drei Wochen in meinem Elternhaus treffen.
00:22:17: Also das sah dann so aus, er kam, wir mussten ins Wohnzimmer, wir durften nicht in mein Zimmer.
00:22:23: Und einer auf dem Sofa, einer auf dem Sessel, der Tisch statt zwischen.
00:22:29: Und jede halbe Stunde brauchte mein Vater ganz dringend ein Buch aus dem Wohnzimmer.
00:22:35: Aber immerhin durfte die allein im Raum sein?
00:22:37: Ja, das war schon mal schön.
00:22:39: Das ist doch schon mal ein Fortschritt.
00:22:41: Das hat uns dann aber nicht gereicht.
00:22:43: Wir haben das natürlich mitgemacht, das Spiel, weil es war ja auch noch ein zusätzlicher Termin, den wir miteinander hatten.
00:22:49: Und das wollten wir ja unbedingt.
00:22:51: Aber wir waren dann auch beide schon in der Ausbildung.
00:22:54: und haben uns dann in der Mittagspause regelmäßig getroffen.
00:22:58: Hm, okay.
00:23:00: Wie lange ging das Hin- und Her-Spiel so?
00:23:03: Bis zur Ehe.
00:23:04: Wie lange ist der
00:23:06: Zeitraum
00:23:06: ungefähr?
00:23:07: Ich war achtzehn Jahre und einen Tag, dann haben wir geheiratet.
00:23:10: Ah, okay, also tatsächlich so drei, dreieinhalb Jahre ungefähr.
00:23:14: Ach, das ist doch recht lang.
00:23:15: Also, schien das doch nicht nur eine Romanz zu sein, sondern wirklich eine Ernsthaftigkeit in der Beziehung zu sein.
00:23:22: Ja, das wurde dann ernst für uns, ja klar.
00:23:25: Und das war auch irgendwo so ein Punkt, wo wir gesagt haben, wir haben so viel erlitten.
00:23:31: Also es wurde uns so schwer gemacht.
00:23:34: Und jetzt ziehen wir das Ding auch durch.
00:23:37: Und dann habt ihr, als du achtzehn und ein halb wurdest, direkt geheiratet?
00:23:40: Achtzehn und einen Tag.
00:23:41: Ach so, achtzehn und einen Tag, okay.
00:23:44: Dann haben wir geheiratet, ja.
00:23:46: Und habt ihr ... Nur nach Jehova-Gesetz geheiratet oder auch nach deutschem Staat.
00:23:52: Standesamtlich.
00:23:54: Okay.
00:23:55: Und dann seid ihr zusammengezogen direkt?
00:23:56: Genau.
00:23:57: Wie ist denn dein Vater damit umgegangen, dass du entschieden hast, tatsächlich mit achtzehn und einem Tag zu heiraten?
00:24:04: Also, da hab ich ihn auch nicht mehr gefragt, weil ich war volljährig.
00:24:08: Und wir haben unsere Eltern recht kurzfristig damit konfrontiert, dass wir heiraten.
00:24:15: Erfand's nicht gut?
00:24:17: Und ich glaube, er hatte wirklich starke Bedenken, ob das mit uns funktioniert, aber er konnte es nicht verhindern.
00:24:28: Was hat dieser Schritt für dich bedeutet?
00:24:31: Ein Stück Freiheit.
00:24:33: Also ich wollte frei sein vom Elternhaus, von der Kontrolle, von dem ja auch ständig was Verbotenes tun zu müssen.
00:24:43: Jedes Treffen, was wir hatten, war ja eigentlich nicht in Ordnung.
00:24:48: Aber... Warum war das denn nicht in Ordnung?
00:24:50: Ihr habt euch doch nur getroffen.
00:24:52: Na ja, wir haben auch körperlich in Kontakt gehabt.
00:24:56: Wir haben nicht miteinander geschlafen, aber alles andere schon.
00:24:59: Und es war einfach, es war auch allein deshalb verboten, weil es ja gegen den Willen meiner Eltern war.
00:25:04: Die haben uns ja nicht gewusst.
00:25:07: Warum war dein Vater Partu gegen diese Beziehung?
00:25:11: Ja, weil ich zu jung war in seinen Augen.
00:25:13: Und weil er Angst hatte, dass wir dann mal sündigen.
00:25:20: bevor wir verheiratet sind.
00:25:22: Aber auch, als ihr geheiratet hatte, war er ja nicht konform mit dieser Beziehung.
00:25:27: Ja, gut, dann hat er es aber akzeptiert.
00:25:28: Okay, ja.
00:25:30: Als ihr verheiratet war, wie ging es dann weiter für euch?
00:25:33: Ja, es war so eine Kinderhochzeit, ne?
00:25:37: In dessen Mann wir uns auch irgendwie bewusst, dass wir ja Blutjungen sind.
00:25:41: Ich war noch in der Ausbildung, er war schon fertig, hatte seine ... war im gleichen Betrieb geblieben.
00:25:47: Nein, hat er eine neue Arbeit gefunden.
00:25:50: Und verdient ihn natürlich entsprechend wenig.
00:25:53: Also das ist so am Anfang nach der Ausbildung.
00:25:57: Und ja, wie gesagt, ich war noch in der Ausbildung im dritten Ausbildungsjahr und wurde dann schwanger.
00:26:07: Und zwar absichtlich.
00:26:10: Ja.
00:26:11: Und als ich meine Prüfung machte, die kaufmännische Prüfung, war ich schon schwanger.
00:26:18: Hab sie dann gut bestanden und hab gekündigt.
00:26:21: Sehr zum Erstaunen meines Chefs damals, weil ich hätte auch da bleiben können.
00:26:25: Aber es war einfach nicht gewünscht, dass Frauen arbeiten gehen.
00:26:29: Hättest du dir das gewünscht?
00:26:31: Es kam gar nicht in mir auf, weil ich hatte ja auch gesehen, meine Mutter war immer zu Hause und sorgte für die Familie und so.
00:26:38: Und das war eigentlich auch eine Rolle, die ich mir auch vorstellte für mich.
00:26:43: Hattest du und deinen Partner den Jehova glauben ... in einer stärkeren Form ausgelebt?
00:26:51: Wie meinst du, in einer stärkeren Form?
00:26:53: Habt ihr, seid ihr allen Regeln gefolgt oder habt ihr das ein bisschen lessy fair gelebt?
00:26:57: Nein, wir haben uns sehr daran gehalten.
00:27:00: Okay.
00:27:00: Nur, dass wir jetzt halt niemanden mehr über uns hatten, der uns kontrolliert hat, sondern, dass wir das von uns aus gemacht haben.
00:27:07: Okay.
00:27:08: Du hast gekündigt.
00:27:09: Wie ging's dann weiter?
00:27:12: Ja, wir hatten wenig Geld.
00:27:13: Das war klar.
00:27:15: Und ... Wir sind ... ja, eine kleine Familie geworden.
00:27:23: Kurze Zeit später.
00:27:25: Wie hast du dich damit gefühlt, dass du jetzt als Mutter in den Zeugen Jehovas eine Tochter erziehst bei einem Glauben, der dich eingeengt hat?
00:27:34: Sohn, war das?
00:27:35: Entschuldigung.
00:27:36: Erstgeborener war ein Sohn?
00:27:38: Ja.
00:27:40: Ich hab's eigentlich mehr meinen Eltern zur Last gelegt, wie sie den Glauben ausgelegt haben.
00:27:44: Weil ich hatte damals auch gesehen, es gibt durchaus Familien ... Der läuft das ein bisschen anders.
00:27:49: Sie sind nicht ganz so furchtbar streng.
00:27:51: Und die haben auch Spaß und so weiter.
00:27:54: Und deshalb war es für mich klar, es gibt nur diesen einen Glauben.
00:28:00: Es gibt nur diesen einen Warnenglauben.
00:28:02: Und deswegen war es auch klar, dass wir unseren Sohn so erziehen würden in dem Glauben.
00:28:07: Bei den Zeugen Jehovas ist es ja so, dass man keine Bluttransfusionen annehmen darf.
00:28:13: Wie hast du dich damit gefühlt, dass du deinem Sohn ... dann den Tod überlassen hättest.
00:28:20: Zum Glück kam es nicht zu so einer Situation.
00:28:24: Ich weiß, bei der Geburt unseres Sohnes, da haben wir das dann gesagt, dass wir im Zweifelsfall das nicht möchten.
00:28:34: Und wir waren uns auch darüber im Klaren, dass das mein Tod bedeuten könnte.
00:28:39: Aber das haben wir beide so übereinstimmend in Kauf genommen.
00:28:44: Also ich kann mich erinnern, dass wir zum Beispiel, wir hatten einen Notar, der kam zu uns in die Versammlung und wir haben alle in seinem Beisein so ein Kärtchen unterschrieben, auf dem stand dann kein Blut.
00:28:57: Auch, also wir haben praktisch den Arzt dann entbunden von seiner Pflicht, unserem Leben zu halten.
00:29:04: Wie hat sich das angefühlt, das zu unterschreiben?
00:29:07: In dem Moment richtig.
00:29:10: Es war allerdings das Erste, was ich weggeworfen habe, als ich mich vom Glauben getrennt habe.
00:29:16: Ja.
00:29:18: War es ein komisches Gefühl, dem Arzt zu sagen, ich möchte keine Bluttransfusion, wenn was mit mir passiert?
00:29:26: Das hat mein Mann damals übernommen.
00:29:28: Er hat das der Hebamme gesagt und ja, die hat auch ziemlich schnippisch reagiert und hat dann gesagt, ja, wenn Sie Ihre Frau den Verbluten lassen wollen, dann ist das ja Ihre Sache.
00:29:39: Hat sie denn gefragt, warum das so ist?
00:29:42: Wahrscheinlich kannte sie das schon.
00:29:45: Du bist ja jetzt nicht nur die Mutter von einem Kind.
00:29:49: Wie viele Kinder hast du mit deinem Mann zusammen bekommen?
00:29:52: Wir haben drei Kinder bekommen, im alten Abstand von zwei Jahren etwa.
00:29:56: D.h.
00:29:56: also du warst, ist das der letzte Kind.
00:30:00: Okay, das ist doch recht früh.
00:30:02: Also wenn ich jetzt so an mich denke, empfinde ich das als recht früh, drei Kinder zu haben.
00:30:07: Hattest du das Gefühl, du bist dieser Verantwortung gewachsen gewesen?
00:30:11: Teils, teils.
00:30:13: Also ich bin natürlich reingewachsen, bin sehr früher wachsen geworden dadurch, ganz klar.
00:30:19: Aber ich glaube auch nicht, dass ich den Kindern wirklich immer gerecht geworden bin.
00:30:25: Inwieweit meinst du das?
00:30:28: Ja, ich war wirklich auch teilweise überfordert und erlitt unter chronischem Schlafmangel, weil keins durchschlief.
00:30:38: Also die ersten sieben Jahre schlief kein Kind durch und war sehr erschöpft und müde.
00:30:43: und ja.
00:30:45: Warum habt ihr euch dann dafür entschieden, drei Kinder so nah beieinander zu bekommen?
00:30:50: Denn ihr wart ja recht jung, ihr hättet euch auch Zeit lassen können.
00:30:54: Also die ersten beiden ... waren wirklich so geplant.
00:30:57: Und das Dritte war nicht geplant.
00:31:02: Hättet ihr denn verhüten können oder habt ihr das getan?
00:31:04: Das durften wir, ja.
00:31:07: Du hattest vorhin gesagt, dass du in deiner Jugend ziemlich rebelliert hast.
00:31:11: Und jetzt interessiert mich einmal, wie hat sich diese Rebellion ausgewirkt, als du denn verheiratet warst?
00:31:19: Ich hab ja rebelliert gegen die Kontrolle, gegen dieses gegen meine Eltern eigentlich.
00:31:27: Und die waren ja jetzt nicht mehr in meinem Blickfeld.
00:31:30: Also wir konnten ja jetzt ... Wir hatten ja jetzt erreicht, was wir wollten.
00:31:34: Wir wollten zusammen sein.
00:31:35: Wir wollten unsere eigene kleine Familie haben.
00:31:38: Und das haben wir erreicht.
00:31:39: Und von daher war das ja dann erst mal gut.
00:31:41: Wir hatten unser Ziel erreicht.
00:31:44: Und wann hat sich deine Einstellung zum Glauben verändert?
00:31:48: Ich muss da so ungefähr ... vierundzwanzig gewesen sein.
00:31:52: Also ich kann mich daran erinnern, dass ich ... plötzlich anfing mir Fragen zu stellen.
00:31:59: Also ich hab mich gefragt, wieso, wieso, wenn zum Beispiel gleichgeschlechtliche Liebe war ja verboten.
00:32:08: Wieso?
00:32:09: Es ist Liebe.
00:32:11: Wieso ist das falsch?
00:32:12: Und wer bestimmt das eigentlich?
00:32:15: Also das kam so ganz langsam in mir auf, diese Fragen.
00:32:21: Dazu kam, dass unsere Ehe sehr schwierig wurde.
00:32:26: Also wir hatten diese gemeinsame Sorge um die Kinder und wir hatten sie ja auch sehr schnell hintereinander bekommen.
00:32:34: Aber wir haben nicht wirklich eine gute Beziehung gepflegt.
00:32:41: Und da hat sich jetzt rausgestellt, dass wir nicht wirklich ein gutes Match waren, wir zwei.
00:32:48: Es war schwierig mit uns und vor allen Dingen ich mit meiner Dauer über Forderung, über Müdung.
00:32:54: Und ja, da blieb das ... Körperliche einfach auch auf der Strecke.
00:32:59: Und das führte zu sehr großen Spannungen zwischen uns.
00:33:03: Hättest du dir das körperliche mehr gewünscht, oder ging das mehr von ihm
00:33:06: aus?
00:33:07: Das ging von ihm aus, ja, weil er war gesunder junger Mann und ich steckte halt zwischen, zwischen Windeln und Kindern und Fläschchen und all diesen Sachen.
00:33:19: Du hast jetzt gesagt, dass für dich Zweifel aufkam.
00:33:21: Hast du deine Zweifel mit deinem Partner geteilt?
00:33:24: Nein.
00:33:25: Warum nicht?
00:33:27: Ich habe das irgendwie mit mir selber abgemacht.
00:33:30: Und ich habe das sehr lange mit mir selber abgemacht.
00:33:33: Und ich konnte das auch mit niemandem teilen, weil jeder, mit dem ich das geteilt hätte, wer verpflichtet gewesen, mich praktisch anzuzeigen.
00:33:43: Und ich habe dann irgendwann meinen ganzen Mut zusammengenommen und habe mit einer Freundin gesprochen.
00:33:49: Und ich wusste eigentlich müsste sie jetzt losgehen und müsste das den Ältesten erzählen.
00:33:55: Und stattdessen sagte sie, dass es ihr auch so geht.
00:33:59: Das war für mich eine ganz große Erleichterung in dem Moment.
00:34:04: Das Ding war ja auch, ich hatte immer das Gefühl, mit mir stimmt irgendwas nicht.
00:34:10: Weil der Glaube war ja richtig.
00:34:12: Der konnte ja nur richtig sein.
00:34:14: Es gab nichts anderes.
00:34:16: Es gab nur uns.
00:34:18: Und dass ich jetzt Zweifel in mir hatte, ich kann dir jetzt nicht mehr sagen, an was ich gezweifelt habe, aber ich habe einfach gemerkt, Ich bin unglücklich.
00:34:32: Ich bin einfach unglücklich.
00:34:34: Und dazu kam ja auch, wir haben ja geglaubt, dass das Paradies auf dieser Erde kommt.
00:34:42: Also es kommt Herma Geddon.
00:34:45: Und dann werden alle getötet, die nicht Zeugen Jehovas sind.
00:34:48: Und dann werden wir aus dieser Erde ein Paradies machen.
00:34:53: Und dann wird irgendwann ewiges Leben auf dieser Erde auf uns warten.
00:35:00: Und zwar Das wär ja mit diesem Mann gewesen, mit dem ich mich schon nicht gut verstanden habe.
00:35:09: Und dann hätten wir ewig zusammengelebt, für immer.
00:35:11: Und die Ewigkeit an sich, dieses Konzept, das konnte ich mir schon mal gar nicht vorstellen.
00:35:17: Und dann mit einem Menschen, mit dem ich jetzt nicht unbedingt wirklich glücklich war.
00:35:24: Das hat mich wirklich sehr traurig gemacht.
00:35:29: Du sagst, du warst nicht wirklich glücklich mit ihm.
00:35:32: War das mehr so eine Momentaufnahme, in der du dir gesagt hast, ich bin jetzt gerade nicht glücklich mit ihm?
00:35:38: Oder war das etwas, wo du sagst, ich hätte es mir auch gar nicht mehr für die Zukunft vorstellen können?
00:35:44: Das hat sich schon über einen längeren Zeitraum hingezogen, ja.
00:35:48: Und es führte bei mir auch zu einer Art depressiven Verstimmung, würde ich sagen.
00:35:53: Also ich hatte immer ziemliche Absturze zwischendurch, wo ich dann auch das Telefon abgestellt habe.
00:36:00: Türklingel ausgestellt habe und wirklich nur existiert habe und die Kinder irgendwie versorgt habe.
00:36:06: Aber das war so wirklich.
00:36:07: dieses Ja, ich bin in der Falle.
00:36:11: Ich bin jetzt in diesem Glauben, das ist der einzig wahre.
00:36:15: Ich funktioniere nicht.
00:36:16: Also ich fühle mich nicht mehr glücklich.
00:36:19: Das muss an mir liegen.
00:36:21: Aber ich kann da auch nicht rauskommen.
00:36:23: Hattest
00:36:25: du das Gefühl gehabt in dem Alter, dass du eine eigene Identität hast?
00:36:29: Nein, nicht wirklich.
00:36:33: Darum ging es ja auch nie.
00:36:34: Es ging ja nicht darum, was kann ich, wer bin ich, sondern es ging eigentlich ja immer nur darum, in die Schablone reinzupassen.
00:36:41: Hattest du das Gefühl, dass du dieser Schablone nicht gerecht wirst?
00:36:46: Ja, sehr stark.
00:36:48: Weil wenn ich mir das jetzt so vorstelle oder so wie das Schilderst, würdest du von außen betrachtet für mich jetzt in diese Schablone reinpassen.
00:36:57: Warum würdest du sagen, du hast da nicht reingepasst?
00:37:00: Weil ich gemerkt habe, dass ich anders denke, als ich eigentlich sollte.
00:37:03: Ich sollte ja begeistert sein für meinen Glauben.
00:37:05: Ich sollte rausgehen in die Welt und ganz begeistert von meinem Glauben sprechen.
00:37:10: Ich sollte diese Versammlungen besuchen und glücklicher Mensch sein und froh sein, in diesem Glauben zu sein.
00:37:21: Also wir wurden ja auch praktisch so, uns wurde auch gelehrt, wir sind ein glückliches Volk, weil wir nur einen glücklichen Gott haben.
00:37:30: Der Will, der liebt uns und der Will, dass es uns gut geht und der hilft uns ins Paradies zu kommen und so weiter.
00:37:37: Das war so dieses Äußere.
00:37:39: Aber das, was in mir war, das war ja noch mal was ganz anderes.
00:37:42: Ich hab gemerkt, irgendwie passt das alles für mich nicht.
00:37:45: Kam für dich mal der Gedanke auf, dass es anderen vielleicht genauso gehen könnte wie dir?
00:37:50: Nein, eigentlich nicht.
00:37:51: Ich hab gedacht, die sind halt alle anders als euch.
00:37:55: Und nachdem deine Freundin dir ihr Leid geschildert hat?
00:38:00: Das blieb trotzdem so zwischen uns beiden.
00:38:02: Wir haben uns jetzt nicht überlegt, wer könnte jetzt noch mit uns gehen oder so.
00:38:06: Sondern das war wirklich so ein zweier Ding.
00:38:09: Wie ging es dann weiter?
00:38:11: Wie ging es weiter?
00:38:12: Also erst mal ging es weiter abwärts.
00:38:15: Ich hatte immer diese Zusammenbrüche, dieses ... Ich kann nicht mehr.
00:38:22: Und das waren so Phasen von ... Drei Tage, fünf Tage, eine Woche oder auch länger.
00:38:29: und dann ging es wieder so ein bisschen bergauf.
00:38:31: Und dann hielt sich das so ein bisschen auf dem Plateau und dann gab es wieder einen Absturz.
00:38:37: Und zu dem Zeitpunkt ging es meine Bruder auch nicht gut.
00:38:44: Und dann hieß es plötzlich, der ist bei so einem Workshop gewesen und danach ging es ihm gut.
00:38:50: Der Workshop kam von Zeugen Jehovas?
00:38:53: Nein, eben nicht.
00:38:54: Das war das Erstaunliche dabei.
00:38:56: Weil auch Psychologen oder psychologische Beratung wurde ja abgelehnt.
00:39:02: Und dann sagte unser anderer Bruder, wenn's dem jetzt gut getan hat, vielleicht wär das ja auch was für dich.
00:39:11: Und ich bezahl dir das auch.
00:39:13: Und ich wusste aber nicht genau, was da jetzt kommt.
00:39:16: Und auch nicht genau, wie das heißt.
00:39:18: Und Internet gab es noch nicht, war es auch in den Hundert und Achtzig etwa.
00:39:24: Deswegen konnte ich auch nicht nachforschen.
00:39:26: Und was geht's da eigentlich?
00:39:27: Sonst wär ich nämlich nicht hingegangen.
00:39:29: Und gut, ich hab dann dafür mal jemanden organisiert, wo die kleinen Kinder versorgt wurden und hab mich dann auf den Weg gemacht nach Bobswede.
00:39:41: Das war so ein Seminarhaus.
00:39:46: Und das war dann tatsächlich ein Wut-Workshop.
00:39:49: Ein was?
00:39:49: Ein Wut-Workshop.
00:39:50: Ah, okay.
00:39:51: Ja.
00:39:53: Das war ... eine ganz seltsame Erfahrung für mich.
00:39:57: Kannst du uns genauer beschreiben, was das war oder was das ist?
00:40:00: Das ging dreieinhalb Tage von Donnerstagabend bis Sonntag.
00:40:04: Und am ersten Abend haben wir uns alle versammelt.
00:40:08: Wir waren so ungefähr zwanzig Leute.
00:40:10: Und wir saßen so im einem Raum an der Wand auf Matratzen.
00:40:18: Und die Leiterin hatte uns halt begrüßt und so.
00:40:23: dann sollte sich jeder vorstellen, warum er da ist, das Anliegen praktisch.
00:40:28: Und da wurde es mir schon das erste Mal heiß, weil ich dachte mir, das habe ich denn eigentlich für den Anliegen.
00:40:34: Und da habe ich gemerkt, also mein Anliegen ist eigentlich nur, dass ich wieder eine glückliche Zeugin Jehovas sein wollte.
00:40:40: Also ich wollte irgendwie diesen Knoten aus meinem Kopf kriegen, damit ich hinterher wieder funktioniere.
00:40:46: Das konnte ich aber nicht sagen in der Runde.
00:40:48: Das war ein bisschen schwierig, sonst hatte ich ja keine Probleme.
00:40:52: Das hab ich mir jedenfalls so eingerätet.
00:40:55: Die anderen hatten wirklich Probleme.
00:40:56: Einer war jetzt positiv.
00:40:59: Eine Frau hatte einen sexuellen Übergriff erlebt.
00:41:05: Ich fühlte mich so, ich darf hier gar nicht sein.
00:41:07: Ich hatte ja gar keine Probleme.
00:41:10: Und dann, ich weiß nicht, was ich gesagt habe bei der Vorstellung, irgendwas bei langlos ist, denke ich mal.
00:41:16: Und dann hat uns diese Workshop-Leiterin hingewiesen auf so hohe Stapel mit Telefonbüchern, die in einer Ecke aufgestapelt waren, ganz, ganz viele.
00:41:27: Und dann zeigte sie uns so ein Gubbyschlauch, der war vielleicht so fünf Zentimeter im Durchmessern, halben Meter lang.
00:41:33: Und dann sagte sie, Also, das ist euer Arbeitsgerät in den nächsten Tagen.
00:41:38: Und damit werdet ihr diese Telefonbücher zerschlagen und eure Wut so richtig auslassen.
00:41:46: Und da hab ich gedacht, ne, hier muss ich weg.
00:41:51: Also, ich war es gewohnt, meine Emotionen unter Kontrolle zu haben.
00:41:54: Also, ich hatte ja auch schon als Kind gelernt, auch meine Gesichtsmuskulatur unter Kontrolle zu haben, dass niemand gemerkt hat, was wirklich in mir ... ablief, weil das war gefährlich zu zeigen, wenn ich anderer Meinung war.
00:42:10: Und das hat mir wirklich Angst gemacht.
00:42:12: Ich habe in der ersten Nacht kaum geschlafen.
00:42:14: Der ganze Körper hat gejuckt und ich wollte eigentlich aussteigen aus meiner Haut, hatte ich das Gefühl.
00:42:21: Ja, dann ging das nächsten Morgen los, nächsten Vormittag.
00:42:24: Und da sind dann Leute voller Freude dann nach vorne gegangen, auf die Matratze, auf der er gearbeitet wurde.
00:42:34: Und die Semidalleiterin, die hat das dann halt angeleitet.
00:42:39: Und die haben dann umgeschrien und richtig ihre Wut von unten rausgeholt.
00:42:46: Und ich ... Bei mir war das dann so eine Mischung von ... Verachtungen, Mitgefühl.
00:42:52: Wie konnte jemand überhaupt sich so gehen lassen?
00:42:56: Vor Leuten und da so rumpübeln.
00:43:00: Und da ... Ich hab mir das angeguckt.
00:43:02: Und ... Ich hatte mich am Anfang gefragt, warum stehen da überall so Klinikboxen auf dem Boden?
00:43:09: Hab ich nicht verstanden.
00:43:11: Aber dann mit der Zeit hab ich gemerkt, ich weine bei jedem mit.
00:43:16: Und ich hab dann wirklich den Nutzen dieser Klinikbox verstanden.
00:43:22: Und es war so, als würde jeder irgendwas in mir berühren, was ich auch kenne.
00:43:30: Und trotzdem hab ich mich noch gewährt dagegen, auch selbst diese Arbeit zu machen, also nach vorne zu gehen.
00:43:39: Hattest du irgendwann mal dazwischen an deinem Bruder gedacht und gefragt, was hat der hier eigentlich gemacht?
00:43:44: Ja, das habe ich mich gefragt.
00:43:47: Was ist dir durch den Kopf gegangen?
00:43:49: Ich
00:43:50: habe es nur vermuten können.
00:43:54: Also weil er halt sehr, sehr strenger zogen ist, also viel strenger noch als wir.
00:43:58: Da habe ich gedacht, dass es wahrscheinlich damit zusammenhängt.
00:44:04: Ja, dann kam irgendwann dann der Moment, dass die Kursleiterin mich rief und sagte so, willst du?
00:44:14: Weil es waren fast alle durch.
00:44:15: Ich war noch nicht.
00:44:15: Ich hatte mich bis zum Schluss gewährt.
00:44:18: Und da bin ich hin.
00:44:21: Und dann nahm das Ganze irgendwie seinen Lauf.
00:44:24: Also, sie hat es geschafft, meinen Punkt zu finden, an dem sie mich praktisch dazu brachte, auch ... die Sachen rauszulassen, die in mir waren.
00:44:38: Ich kann dir nicht mehr sagen, wie sie das gemacht hat und was das genau war.
00:44:41: Ich weiß aber, dass da ganz schön was abgegangen ist.
00:44:44: Das heißt, sie hat auf dich eingeredet?
00:44:47: Ja, sie hat mir so ein paar Worte gegeben und irgendwann kam es aus mir selber raus.
00:44:53: Und dann war Mittagspause nach mir, kam keiner mehr.
00:44:58: Und ich weiß, ich bin dann ins Moor gegangen, also in diese Landschaft da und hab, bin spazieren gegangen.
00:45:04: Und ich hatte das Gefühl, ich fühlte zum ersten Mal die Sonne auf meiner Haut.
00:45:08: Es war wie so ein Panzer, der so abgesprengt war.
00:45:13: Ich war so von innen heraus glücklich und befreit.
00:45:16: Konnte mir das aber irgendwie gar nicht erklären.
00:45:19: Und ja, ich wollte diesen Mittag auch alleine genießen.
00:45:23: Ich wollte mit niemandem sprechen oder so.
00:45:25: Ich bin da ganz allein und hab's einfach genossen, den Wind und die Sonne zu spüren.
00:45:30: Hattest du ... Auch diese Aggression dann rausgelassen in diesem Moment an diesen Telefonbüchern?
00:45:37: Genau, da komme ich jetzt gleich noch dazu.
00:45:39: Ja, also ich habe es genossen, einfach dieses neue, wirklich Körpergefühl auch zu haben.
00:45:44: Und dann war die Pause vorbei, ich ging wieder rein und das schloss sich mir eine Frau an aus unserer Gruppe.
00:45:52: Und wir kamen da rein und es sagt, mein Gott, wie sieht es denn hier aus?
00:45:56: Und es war ein völliges Chaos in dem Raum.
00:45:59: Und sie sagt zu mir, das warst du.
00:46:02: Und dann hab ich das erst mal begreifen.
00:46:05: Niemand hatte so viele Telefonbücher getötet, wie ich.
00:46:09: Und dann haben wir zusammen aufgeräumt.
00:46:12: Und dann war's gut.
00:46:14: Ja.
00:46:15: Kannst du dich noch daran erinnern, wie du das alles zerschmettert hast?
00:46:19: Nein,
00:46:19: nicht wirklich.
00:46:20: Das war wie in Tross.
00:46:22: Krass.
00:46:22: Ja.
00:46:23: Was passiert, nachdem der Workshop vorbei war?
00:46:26: Du kamst nach Hause, und wie hast du dich da gefühlt?
00:46:29: Ich hab mich ... toll gefühlt, also so wie schon lange nicht mehr befreit.
00:46:33: Und als wenn ich wieder durchatmen konnte und war so voller Energie auch plötzlich wieder.
00:46:41: Und ich war auch noch nicht dankbar, dass ich da sein durfte, dass ich diese Erfahrung gemacht habe und dachte so, jetzt kannst du wieder von vorne los gehen, jetzt kannst du wieder in eine gute Zeugenehobas sein.
00:46:52: Und das hat dann genau fünf Tage angehalten.
00:46:57: Bis wir nämlich das nächste Mal wieder zur Versammlung gingen mit den Kindern.
00:47:02: Und ich kann mich noch daran erinnern, wir saßen da und vorne stand halt ein Mann und hielt einen Vortrag.
00:47:10: Und ich saß die ganze Zeit nur so und dachte, was erzählst du da für ein Mist?
00:47:16: Wieso?
00:47:16: Wie kommst du dazu?
00:47:18: Sowas zu sagen oder das von mir zu verlangen?
00:47:22: Oder ich merkte sowieso die Wut in mir hochkroch und ich ... Ich hatte eine wahnsinnige Angst, in diesem Gottesdienst praktisch zu explodieren und rumzuschreien.
00:47:34: Ich hab dann nur zu meinem Mann gesagt, wir müssen sofort nach Hause, ganz schnell jetzt.
00:47:39: Und dann sind wir raus.
00:47:41: Und ich konnte dann auch nicht mehr hingehen.
00:47:44: Das ging dann, also ab und zu bin ich dann wahrscheinlich noch mal gegangen, aber es ging irgendwie nicht mehr.
00:47:50: Was hast du deinem Ehemann damals erzählt?
00:47:54: Ja, dass es mir nicht gut geht.
00:47:56: dass ich einfach das nicht schaffe, so psychisch.
00:48:00: Und ich bin dann auch nicht mehr von Haus zu Haus gegangen, was ja auch eine Pflicht ist, weil es wurde damals darüber Buch geführt.
00:48:07: Also man musste am Ende des Monats angeben, wie viele Stunden war man unterwegs, wie viele Bücher hat man verkauft, wie viele Zeitschriften.
00:48:16: Und das war ... Wenn man das nicht macht, tippt ihr eine Hand auf die Schulter und sagt, du hast dein Bericht noch nicht abgegeben.
00:48:24: Und wenn man dann sagen musste, ich war auch nicht, dann hatte man ein Problem.
00:48:29: Dann kam jemand und sagte, was ist denn mit dir los?
00:48:31: Weil das war ein eindeutiges Anzeichen dafür, dass man sprach im Glauben war, so wurde das dann genannt.
00:48:36: Wenn man nicht mehr Zeugnis über seinen Glauben ablegte.
00:48:41: Und ... Ich konnte das aber nicht mehr, weil ich war noch weniger überzeugt als vorher.
00:48:47: Das habe ich dann plötzlich gemerkt.
00:48:48: Ich bin jetzt zurückgekommen mit der Idee, jetzt passe ich wieder.
00:48:52: Und dann habe ich gemerkt, ich passe überhaupt nicht mehr in das System.
00:48:54: Jetzt ist nach hinten losgegangen, das Ding.
00:48:57: Und dann habe ich mir überlegt, ich fälsche diese Berichte einfach.
00:49:03: Ich schreibe dann was drauf.
00:49:04: Und die war ziemlich stolz auf mich, dass ich diese Idee hatte.
00:49:09: Und ... Das hat mich dann davor bewahrt, irgendwie angesprochen zu werden.
00:49:14: Hat dein Mann was gemerkt gehabt?
00:49:16: Ja, der hat das gemerkt, aber der hatte selber gerade eine Phase, wo er auch nicht mehr so stabil war.
00:49:24: Also auch gesundheitlich, psychisch.
00:49:27: Und
00:49:28: weil er da irgendwie beruflich Probleme hatte.
00:49:34: Das heißt aber, die waren nicht mit seinem Glauben verbunden, sondern gegen berufliche Natur.
00:49:40: Wie alt warst du da?
00:49:42: Da war ich wahrscheinlich ... ja, gut, ich war da.
00:49:48: Wenn du das so beschreibst, dann klingt das danach als würden die Zweifel, die du schon länger in dir hattest, nach diesem Wood Workshop viel, viel größer geworden sein.
00:49:59: Wie hat sich das entwickelt, dass du dann tatsächlich ausgestiegen bist?
00:50:04: Ja, also ich war auf jeden Fall schon viel weiter weg vom Glauben als vorher.
00:50:11: Und ich habe auch gemerkt, irgendwie passt das nicht mehr.
00:50:13: Aber ich habe in dem Moment noch keinen Ausweg gesehen.
00:50:15: Weil, wie gesagt, es war der einzig wahre Glaube.
00:50:19: Und wenn ich da rausgehe, dann gehöre ich ja zu dem Bösen.
00:50:22: Und dann werde ich von Gott getötet.
00:50:24: Und meine Kinder auch.
00:50:25: Und das ging in dem Moment einfach noch nicht.
00:50:29: Ich habe dann tatsächlich mich auch über alles hinweggesetzt und habe mir psychologische Hilfe geholt.
00:50:35: Und hatte einen Psychologen, der auch sich ... mit der Thematik auskannte und sensibel genug damit umging.
00:50:44: Also, der hat jetzt nicht gesagt, aber es haben sich dabei gedacht, oder das ist ja alles Mist, sondern er hat mich da so langsam hingeführt und zum selber denken gebracht.
00:50:54: Also, selber wieder die Verantwortung zu übernehmen für mein Leben.
00:51:01: Und das hat mich sehr gut unterstützt.
00:51:03: Also, er hat niemals gesagt, sie müssten aus dem Glauben raus.
00:51:08: Aber es ... das ... Was er gesagt hat, hat mir geholfen, in die Eigenverantwortung zu kommen.
00:51:16: Und damit war es dann auch irgendwann soweit, dass ich diesen Gedanken zulassen konnte.
00:51:26: Du hattest jetzt gesagt, dass du diese Zweifel hattest lange.
00:51:29: Hat
00:51:30: diese Zweifel dich auch beeinflusst in der Art und Weise, wie du deine Kinder erzogen hast?
00:51:36: Ich glaube ja, weil anfangs war es ja schon noch so, dass wir sie dann auch belehrt haben anhand der Bücher, die für die Kinder gemacht wurden und so weiter.
00:51:44: Und das konnte ich nicht mehr.
00:51:45: Das heißt also, du hast deine Kinder auch gar nicht nach dem Strengen Glauben erzogen dann irgendwann, sondern...
00:51:51: Genau.
00:51:51: ...so
00:51:51: wie du es für wichtig gehalten hast.
00:51:53: Ja.
00:51:54: Ich habe das dann so laufen lassen, könnte man sagen.
00:51:56: Also da wurde ich mal drauf hingewiesen, dass die Kinder ja... da jetzt gar nicht so viel Wissen haben und dass es eigentlich nicht so gut ist.
00:52:05: Ja gut, aber das hab ich dann mal so stehen lassen.
00:52:08: Hat dein Mann das dir irgendwann mal angekreidet?
00:52:11: Nein, eigentlich nicht.
00:52:13: Du warst grad dabei, zu erzählen, dass du beim Zischelogen warst, genau.
00:52:17: Und dann ist für dich der Gedanke gereift, dass du gehen möchtest.
00:52:21: Ja,
00:52:21: also es war ja am Anfang ein undenkbarer Gedanke.
00:52:26: Und irgendwann hatte ich dann so einen Trick ... womit ich mir selbst geholfen habe.
00:52:32: Und ich habe mir gedacht, ich erlaubt mir das als erst mal nur im Kopf.
00:52:37: Und ich denke mir einfach nur, ich nehme meine Kinder und gehe.
00:52:42: Und das habe ich immer und immer wieder abgespielt, bis ich das anfühlt, wie das wäre.
00:52:48: Und dann war es tatsächlich eines Tages soweit.
00:52:50: Und zwar, ich wusste nur nicht wohin, ich hatte auch kein Einkommen.
00:52:54: Mein Mann war alleinverdiener nach wie vor, ich hatte ja Haushaltsgeld, aber jetzt nicht irgendwie ein eigenes Konto oder so.
00:53:00: war damit auch wirtschaftlich abhängig.
00:53:03: Ich hatte aber kurz zuvor da von Frauenhäusern gehört.
00:53:08: Und ja, mein Überlebenswille war mittlerweile auch soweit gereift, dass ich dann dort also eine Telefonnummer rausgefunden habe und dort mal angerufen habe.
00:53:22: Und habe ich gesagt, so wie ist das denn, kann man denn ... zu euch nur kommen, wenn man geschlagen wird.
00:53:30: Weil das wurde ich ja nicht.
00:53:32: Und dann sagte sie, nein, es würde auch ausreichen, wenn ich psychisch, wenn es mir nicht gut ging, in der E-Situation.
00:53:41: Und dann war für mich klar, gut, das ist mein Weg, dorthin zu gehen.
00:53:47: Wie hast du den Plan geschmiedet?
00:53:49: Ich habe mir erst mal ein Backup gemacht bei meiner Freundin.
00:53:52: Ich habe sie eingeweiht.
00:53:55: Und hab auch schon nach und nach so ein paar Sachen, die mir wichtig waren, aus dem Haus rausgeschleißt, die sich dann bei ihr untergebracht hatte.
00:54:04: Weil ich auch nicht wusste, also unsere Beziehung eskalierte immer mehr.
00:54:10: Ich wusste nicht, wie schnell das vielleicht eines Tages gehen würde.
00:54:14: Und ja, aber dann hatte ich irgendwann, bekam ich den Anruf.
00:54:19: vom Frauenhaus.
00:54:20: Es sei ein Familienzimmer frei.
00:54:23: Das war nicht unbedingt so selbstverständlich, dass Familien so zusammenbleiben konnten.
00:54:28: Und es war ein Familienzimmer frei.
00:54:30: Und sie sagte, ich weiß nicht, wie lange.
00:54:32: Und wir können in das jetzt drei Tage, sag ich jetzt mal, reservieren.
00:54:37: Und derzeit müssten sich entscheiden.
00:54:40: Dann hab ich kurz überlegt und dann hab ich gesagt, ja, wir kommen.
00:54:43: Ja, und dann bin ich zu meinen Eltern gefahren, weil ich wollte ihn das mitteilen.
00:54:49: Hm.
00:54:50: Ja, es waren so ... dreißig Kilometer etwa ... von uns entfernt.
00:54:56: Und ich hatte mich angekündigt, und ... meine Mutter wusste wohl auch, dass es in unserer Ehe nicht gut läuft, als ich hatte mit ihr schon mal gesprochen.
00:55:06: Und ... sie waren beide so ein bisschen ... ja, sie haben schon das Schlimmste erwartet, eigentlich, als ich dann ankam.
00:55:14: Und dann hab ich ihnen gesagt, ich würde mich trennen von meinem Mann.
00:55:18: Wie haben Sie reagiert?
00:55:20: Sie haben sich erst mal erklären lassen, was los ist, was meine Gründe sind.
00:55:24: Und dann hat mein Vater gesagt, ob das auch eine Trennung vom Glauben sei, gleichzeitig.
00:55:32: Das heißt, der hat ja irgendwie schon was geahnt?
00:55:34: Der hat was geahnt, ja.
00:55:36: Und ich hatte aber nicht den Mut, das so zu sagen.
00:55:39: Und ich hab nur gesagt, ich weiß es noch nicht, obwohl ich es natürlich schon wusste.
00:55:43: Und dann hat er gesagt, wenn das so ist, Und dann ist das ein vorgezogenes Hammergedonfer.
00:55:51: Und das heißt auf Deutsch, du bist tot.
00:55:57: Und das habe ich erwartet.
00:55:58: Ich wusste ja, was die Regeln sind und habe das erwartet und hatte das auch einkalkuliert in meine Überlegungen vorher.
00:56:06: Ich wusste, dass meine Eltern, meine Geschwister, meine Freunde, mein soziales Umfeld, das alle weg sein würden von heute auf morgen.
00:56:15: Und es hat mich trotzdem getroffen.
00:56:19: das dann so wirklich zu hören.
00:56:22: Und das war auch der erste Moment in meinem Leben, wo ich dann ihm mal offen Widerstand entgegen gebracht habe.
00:56:30: Wo ich wirklich gesagt habe, wie könnt ihr so sein?
00:56:34: Und ich stehe hier mit drei kleinen Kindern und bin so auf dem Weg in eine völlig ungewisse Zukunft und euer einziges Problem ist, ob ich in dem Glauben bleibe weiterhin.
00:56:45: Das hat sie relativ unbeeindruckt gelassen.
00:56:49: Und ich bin dann nur ziemlich schnell auch gegangen.
00:56:52: Hast du mit deinem Mann nochmal über deinen Entschluss gesprochen?
00:56:56: Das hatten wir vorher schon, ja.
00:57:00: Und er hat es, ja, es war irgendwie traurig, weil ich glaube unter anderen Umständen hätten wir das vielleicht anders gelöst, aber er wollte auch in dem Glauben bleiben.
00:57:14: Und ja, dann war klar, dass ich gehen würde.
00:57:19: War für ihn auch damit klar, dass du die Kinder mitnimmst?
00:57:22: Ja.
00:57:24: Warum?
00:57:25: Hast du ja Idee heraus, dass die Kinder bei der Mutter sind?
00:57:30: Ich meine, er hätte ja für sich auch sagen können, ich möchte in dem Glauben bleiben und meine Kinder sollen so erzogen werden.
00:57:37: Ja, aber wie ich vorhin schon erwähnte, er war selber psychisch nicht unbedingt auf der Höhe in dem Moment und ich glaube, In dem Moment hätte er es nicht geschafft, sich um die Kinder zu kümmern.
00:57:50: Er hat sie aber dann später regelmäßig gesehen.
00:57:53: Okay.
00:57:54: Das heißt also, dein Gehen war nicht wirklich in Nacht- und Nebelaktion, wie man sich das so ein bisschen klischeehaft
00:58:00: vorstellt?
00:58:00: Nein, das war keine Nacht- und Nebelaktion, aber doch auch recht kurz, ein kurzer Reihenfolge, so die Dinger.
00:58:08: Und hast du mit deinem Mann, bevor du, also hast du mit deinem Mann gesprochen, bevor du mit deinen Eltern gesprochen hattest?
00:58:14: Ja.
00:58:15: Das wusste er.
00:58:16: Mhm.
00:58:18: Du bist dann irgendwann im Frauenhaus gewesen.
00:58:20: Wie hat sich dein Leben danach entwickelt?
00:58:23: Ja.
00:58:25: Erst mal war ich dankbar, dass wir da sein durften.
00:58:28: Und ich hab versucht, irgendwie so ein Stückchen Normalität da reinzubringen in unser Leben.
00:58:33: Weil es natürlich ... Ja, es war ja alles entwurzelt irgendwie.
00:58:37: Also, ich hab ... Wir haben in einem Haus gewohnt und auf einmal wohnten wir in einem Zimmer von zwanzig Quadratmetern.
00:58:43: Und alles beengt und ... mit anderen Menschen zusammen, die jetzt wirklich aus schwierigen Verhältnissen auch kamen und so weiter.
00:58:53: Das war sowohl für mich als auch für die Kinder erst mal eine ganz sonderbare Situation.
00:58:59: oder auch dann von Sozialhilfe abhängig zu sein.
00:59:03: Und ja, ich hatte aber von Anfang an die Idee, dass wir eine Wohnung finden werden.
00:59:12: Also ich muss dazu sagen, ich habe Hundert Mark, Demark in der Tasche gehabt.
00:59:16: Oder vielleicht waren es auch nur fünfzig, also irgendwas zwischen fünfzig und hundert.
00:59:20: Mehr hatte ich mich damals nicht getraut, vom gemeinsamen Konto zu nehmen, weil es war ja sein Geld.
00:59:25: Das war ja nicht meins.
00:59:27: Und so waren wir dann dort angekommen.
00:59:31: Ich hatte den ganz festen Willen und auch die Überzeugung, wir schaffen das.
00:59:38: Und wir werden eine Wohnung finden und wir werden neu anfangen.
00:59:43: Wir haben deine Kinder darauf reagiert, dass ihr plötzlich ...
00:59:47: Also, das sind ja zwei Sachen.
00:59:49: Das eine ist die Trennung und das andere ist der Glauber.
00:59:52: Und die Trennung war sicherlich für die Kinder nicht einfach.
00:59:55: Auch wenn mein Ältester hatte gesehen, dass wir uns streiten und sagte dann auch, ihr streitet euch ja sowieso nur.
01:00:05: Aber es war für die Kinder zweifellos schmerzhaft.
01:00:09: Und auch die Trennung zum Glauben, weil ihr auch damit ihr soziales Umfeld weggebrochen ist?
01:00:15: Ja, das ging eigentlich.
01:00:17: Die beiden Eltern waren schon im Kindergarten.
01:00:19: Die hatten da auch schon ein bisschen Kontakte, was ich ja gar nicht durfte.
01:00:22: Ich war nie im Kindergarten.
01:00:26: Aber sie haben sehr schnell begriffen, dass das Leben auch durchaus neue Variationen haben kann, die auch sehr schön sein können.
01:00:35: Zum Beispiel, wenn man dann Weihnachten und Geburtstag und solche Sachen dann feiert.
01:00:41: Und die haben sich sehr schnell akklimatisiert.
01:00:45: Wie lange hat es gedauert, bis du eine eigene Wohnung für euch gefunden hast?
01:00:49: Vier Monate.
01:00:50: Wow, das ist sehr schnell.
01:00:51: Das ging sehr schnell, ja.
01:00:53: Und ein Job?
01:00:54: Das war noch mal ein bisschen ... vielleicht drei Monate später dann noch mal.
01:00:59: Auch das ist schnell unter der Prämisse, dass du so viele Jahre aus dem Job raushaust?
01:01:03: Ja, das ist richtig gut gelaufen.
01:01:05: Also auch die Wohnung, ich hab mir jede ... Jedes Wochenende habe ich mir aus dem Büro des Frauenhauses die Schreibmaschine geliehen.
01:01:13: Also die Jüngeren wissen gar nicht mehr, was eine Schreibmaschine ist.
01:01:16: Also so was ähnliches wie ein Computer, wo man drauf schreiben konnte und Briefe entwerfen.
01:01:22: Weil ich einfach wollte, dass das möglichst einen guten Eindruck macht.
01:01:28: Weil ich hatte ja denkbar schlechte Voraussetzungen.
01:01:30: Also Sozialhilfe, Alleinheit ziehen, kein Job und dann eine Wohnung finden.
01:01:35: Aber ich wollte halt ... Zumindest sicherstellen, dass diese äußeren Rahmenbedingungen stimmen.
01:01:43: Und ich bin dann auch zu allen Wohnungsbaugesellschaften in der Stadt, habe mich persönlich vorgestellt, habe gesagt, so sieht es aus, ich möchte eine Wohnung.
01:01:51: Und dann hat das irgendwann funktioniert.
01:01:53: Und dann waren wir in dieser Wohnung und das war ein sehr erhebendes Gefühl, muss ich sagen.
01:01:57: Das war richtig toll.
01:01:58: Und dann hatte ich irgendwo gesehen, Das war die Stadt Oldenburg, in der wir damals lebten, dass die Stadt alleinerziehende Mütter unterstützt, indem sie die Tagesmutter bezahlt, zum Beispiel.
01:02:12: Und dann habe ich gedacht, das ist eine gute Idee.
01:02:16: Und dann habe ich auf der einen Seite geschaut, nach einer Tagesmutter und bin dann auch relativ schnell fündig geworden.
01:02:24: Und ich habe geguckt, was mache ich denn jetzt so beruflich?
01:02:27: Wie finde ich den Anfang?
01:02:29: Und da gab es eine Übungsfirma.
01:02:31: Ich weiß nicht, ob dir das was sagt.
01:02:32: Also das gibt es, glaube ich, heute immer noch.
01:02:34: von der deutschen Angestelltenakademie war das, wo so Leute, die so ein bisschen aus dem Beruf raus sind, da wieder reingebracht werden.
01:02:43: Also in meinem Fall halt in alle Vorgänge in einem Büro.
01:02:48: Und ... Da war ich dann, so wie zur Arbeit ging das dann, also wurde, glaube ich, auch vom Arbeitsamt mit finanziert.
01:02:56: Und nach sechs Wochen kam dann von der Metro, die die Personalbeauftragte, die schaute da immer mal vorbei nach neuen Arbeitskräften.
01:03:09: Und die Maßnahme war eigentlich ein Jahr gegangen.
01:03:11: Aber es waren sechs Wochen und mein Lehrer hatte, wo gesagt wird, die ist ganz gut.
01:03:17: Und dann haben wir uns unterhalten und dann hatte ich einen Job.
01:03:20: Und ... fünf Stunden oder sechs am Tag, ich weiß nicht genau.
01:03:26: Das bedeutete, ich konnte mich vom Sozialhilfebezug abmelden.
01:03:29: Das war von Anfang an mein Ziel gewesen, weil ich wollte aus mir selber heraus existieren können.
01:03:35: Ich kann mich sehr gut erinnern an dieses Gefühl, als ich dahin ging und sagte, vielen Dank, es war gut mit euch, aber ich kann dir selber für uns sorgen.
01:03:43: Worauf warst du in diesem Bereich besonders stolz auf dich?
01:03:46: War es die Tatsache, dass du gegangen bist, dass du eine Wohnung gefunden hast oder dass du dann letztendlich den Job gefunden hast?
01:03:52: Ich glaube, das gehörte alles zu Neustart dazu.
01:03:56: Also einfach, dass ich unser Leben wieder auf die Beine gestellt habe.
01:03:59: So komplett entwurzelt eigentlich und dann nochmal neu anfangen.
01:04:04: Und ja, also ich möchte auch erzählen, das dauert ja, bis man so diese Sachen aus dem Kopf los wird.
01:04:14: Und ich hatte am Anfang ja immer noch Angst, dass Jehova mich töten würde.
01:04:20: Das kriegt man ja nicht einfach so weg.
01:04:21: Das habe ich von klein an so eingesogen.
01:04:25: Es war in jeder Zelle verankert, dieses Gefühl.
01:04:29: Und als ich gegangen bin, daran kann ich mich auch sehr gut erinnern, war so ein bisschen trotz, wo ich gesagt habe, hey, wenn du so grausam bist, dass du mich dafür tötest, dass ich so nicht mehr leben kann und deshalb in meine Freiheit gehe.
01:04:43: Da musst du das tun.
01:04:44: Aber bis dahin habe ich gelebt.
01:04:46: Und ich habe wirklich gehofft in dem Moment, dass wir noch ein paar Jahre haben.
01:04:51: Das ist noch ein bisschen dauert, weil wir hatten ja jetzt kein neues Datum mehr.
01:04:56: Und wir wussten ja nicht mehr, wann Hammer Gedon kommen würde.
01:04:59: Aber es war auf jeden Fall jederzeit immer dichter, als je zuvor, weil es Zeit ging ja voran.
01:05:04: Das heißt aber, du hast dir eigentlich nicht am Glauben gezweifelt per se, dass er irgendwann eintritt, sondern du hast an die Existenz weiterhin geglaubt.
01:05:11: Ja, ich habe weiterhin daran geglaubt, dass die das richtig machen, dass ich jetzt falsch bin.
01:05:17: Aber mein Wunsch, frei zu sein und zu leben, der war so groß, dass ich das auf mich genommen habe.
01:05:24: Ich wollte einfach diese paar Jährchen noch haben.
01:05:28: Und dann ... Kann ich mich erinnern, ich war auf einem Spielplatz mit meinen Kindern.
01:05:32: Es war ein sonniger Herbsttag oder Frühlingstag.
01:05:36: Und ich beobachtete sie so.
01:05:39: Und dann kam auf einmal ein Gedanke auf.
01:05:42: Und das war der Gedanke, ich darf alt werden und sterben.
01:05:47: Das hört sich total bescheuert an.
01:05:50: Aber dieser Gedanke, dass mein Leben begrenzt ist, hat mich mit einer wahnsinnigen Freude erfüllt.
01:05:57: Und ich hatte ... Auf einmal wieder auch diese Gedanken, was mache ich mit meinem Leben?
01:06:04: Das war ja vorher völlig unwichtig, weil es kann ja sowieso Armageddon, das Paradies und all diese Sachen.
01:06:12: Damit würde es ja auch bedeuten, dass du eine Art von eigenem Charakter entwickelt hast und eigene Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt hast.
01:06:21: Liege ich da richtig?
01:06:23: Ich habe verdrängt am Anfang.
01:06:26: Also ich habe es wirklich verdrängt, den Gedanken, dass Hammergedonk kommt.
01:06:30: Und habe versucht, das wirklich ganz rauszuschieben und einfach von heute auf morgen zu leben, wirklich im Hier und Jetzt zu sein.
01:06:40: Und ich habe es wirklich genossen.
01:06:43: Ich habe es genossen, die Welt zu entdecken.
01:06:45: Das war ja wie durch die Augen eines Kindes.
01:06:48: Denn das gab es, also vieles gab es ja vorher von mich nicht.
01:06:52: Weihnachtsmärkte zum Beispiel.
01:06:54: oder überhaupt mich zu interessieren für das, was um mich herum los war.
01:07:00: Und das habe ich ja wie aufgesogen.
01:07:04: Hast du dein soziales, dein altes soziales Umfeld da vermisst?
01:07:09: Ich wusste ja, dass die irgendwie völlig anders ticken als ich.
01:07:15: Also ich versuch mich da so ein bisschen reinzudenken und... Ich bin schon oft umgezogen und immer, wenn ich umgezogen bin und dich in schönen Momenten war, hab ich mir gedacht, ah, es wär jetzt schön, diesen Moment mit dem und dem Menschen zu teilen, den ich so gern habe und liebe.
01:07:31: Aber der ist ja grade de facto physisch nicht hier.
01:07:34: Gab es für dich ähnliche Momente?
01:07:36: Weil, wenn du genau das hattest, das Fühlen und das Leben, ich werd alt und da kommt noch ganz viel, hattest du nicht das Bedürfnis, das mit einem Menschen, den du liebst, zu teilen?
01:07:47: Ich glaube, das kam einfach in meinem Kopf nicht vor, weil ich einfach wusste, die sind anders drauf als ich.
01:07:53: Das passt nicht.
01:07:54: Und sie wollen mich ja auch nicht.
01:07:55: Und da war auch immer noch dieses Stück Schuldgefühl, dass ich jetzt ein Weg gegangen bin, der nicht in Ordnung war.
01:08:03: Also es war immer so ein Hin und Her.
01:08:05: Es gab diese Momente, wo ich es unheimlich genossen habe und das auch schön finden konnte.
01:08:09: Es gab aber auch immer wieder diese dunklen Momente.
01:08:13: Haben diese Zeitabstände, in denen du diese schlechten Tage hattest und diese drei, vier guten Tage, hat der Abstand sich vergrößert über den Zeitraum?
01:08:22: Du sprichst jetzt von den depressiven Verstimmungen vorher, damit hatte ich nichts mehr zu tun.
01:08:27: Das heißt, es ging sofort mit dem Gehen, haben diese depressiven Verstimmungen...
01:08:32: Also, dann ging der Weg eigentlich nur nach nach vorne.
01:08:35: Dann ging es ins neue Leben und wie pass ich mich an?
01:08:39: wie mache ich das alles und wie lerne ich das alles und so weiter.
01:08:42: Das heißt also auch immer deine Momente, in denen du vielleicht ein bisschen mehr wieder das Gefühl hattest von ich mache ja eigentlich Dinge falsch und ich darf das nicht, haben dich nicht umgestimmt in deiner mentalen Situation?
01:08:54: Absolut nicht.
01:08:55: Ich hatte mich entschieden und diesen Weg würde ich gehen.
01:08:58: Also das war für mich vollkommen klar.
01:09:02: Hast du dir denn irdische Freunde gesucht?
01:09:04: Also welche, die nicht den Glauben jetzt Zeugen Jehovas geteilt haben?
01:09:08: Ja, ich hatte einige Freundschaften geschlossen damals im Frauenhaus und das hat auch durchaus noch ein bisschen gehalten.
01:09:15: Jetzt nicht für ewig, weil das sind ja oft dann auch in so Ausnahmesituationen findet man Freunde und man denkt, das ist was fürs Leben und dann merkt man, jeder geht so seinen eigenen Weg wieder.
01:09:25: Also es hat sich dynamisch entwickelt.
01:09:27: Wie hat sich deine Ansicht auf deine Familie verändert?
01:09:32: Du meinst auf meine Herkunftsfamilie?
01:09:36: Also, anfangs war da irgendwie eine ganz große Wut in mir, auf meine Eltern, dass sie mich jetzt wirklich so haben fallen lassen.
01:09:50: Das habe ich eigentlich auch jedem erzählt, der nicht bei drei auf dem Baum war, dass ... dass ich halt verstoßen worden bin und dass meine Familie nichts mehr mit mir zu tun hat und so weiter.
01:10:00: Und das ging einige Zeit so, dass ich das so gesehen habe.
01:10:08: Und ja, ich habe mich sehr mit dem Thema beschäftigt auch.
01:10:14: Und irgendwann habe ich für mich beschlossen, ich möchte gern Frieden finden damit.
01:10:20: Und ich möchte nicht den Rest meines lebenstraurige Geschichten erzählen.
01:10:26: Und ich habe einen Weg gefunden, mich innerlich zu versöhnen mit meinen Eltern.
01:10:35: Und ich habe es damals angefangen so zu sehen und ich sehe es heute immer noch so.
01:10:41: Sie haben diesen Glauben für sich als wahrerkannt.
01:10:44: Also das war ihre Wahrheit, die sie gelebt haben.
01:10:47: Und sie haben versucht, uns so zu erziehen.
01:10:51: Und für sie ist es einfach die Wahrheit geblieben bis zum Schluss.
01:10:58: Ihre Wahrheit.
01:11:00: Ihre Überzeugung.
01:11:02: Im Prinzip wollten sie nichts Schlechtes für mich, sondern sie wollten in ihrem Sinne etwas Gutes für mich, weil sie wollten mich in diesem Glauben erziehen, damit ich auch ihren Weg gehe und auch in das ewige Leben gehe, so wie sie sich das für sich auch gewünscht haben.
01:11:20: Und das hat mir sehr geholfen.
01:11:25: Sie haben mich nicht so geliebt, wie ich mir das gewünscht hätte.
01:11:31: Also, sie haben mir nicht das gegeben, was ich mir vorgestellt habe, dass für mich gut gewesen wäre.
01:11:38: Aber ich bezweifle nicht, dass sie mich geliebt haben.
01:11:42: Und ich bezweifle auch nicht, dass es ihnen Schmerzen bereitet hat, dass ich ihren Weg nicht gegangen bin.
01:11:48: Hast du deine Familie noch mal gesehen?
01:11:50: Ja.
01:11:51: Magst du davon erzählen?
01:11:52: Mhm.
01:11:53: Also, ich hab einige Jahre Pause gehabt.
01:11:57: Aber dann hab ich auch noch mal geheiratet und dann
01:12:01: ...
01:12:01: waren die Zwillinge auf der Welt und dann dachte ich doch, dass wir doch schön jetzt nochmal zu meinen Eltern zu fahren, einfach mal zu versuchen.
01:12:10: Und sie waren tatsächlich bereit, dass wir kommen durften.
01:12:15: Und ja, wir sind dann hingefahren und sie haben sich zweifellos gefreut.
01:12:22: Das konnte ich an ihren Gesichtern sehen, vor allen Dingen natürlich auch über die Kleinen.
01:12:27: Es war aber gleichzeitig auch eine Distanz, die nicht überwindbar war.
01:12:33: Weil ich einfach, ja, ich war falsch.
01:12:37: Ich war die Geistervaterin.
01:12:39: Waren deine Brüder da auch anwesend?
01:12:42: Ich glaube nicht, nein.
01:12:44: Hast du denn über die Jahre nochmal Kontakt zu deinen Brüdern aufgebaut?
01:12:47: Eigentlich erst als mein Vater starb.
01:12:51: Hatte das einen bestimmten Grund, oder?
01:12:54: Das war von ihnen auch nicht unbedingt gewünscht.
01:12:58: Und deshalb ist es dann auch dabei geblieben,
01:13:00: ja.
01:13:02: Wenn du sagst, dass er es durch den Tod deines Vaters noch mal Kontakt entstanden ist, wie hast du denn dann vom Tod deines Vaters erfahren?
01:13:11: Ich hatte irgendwann mal meinem Bruder meine Telefonnummer gegeben, auch schon im Hinblick auf dieses Ereignis, was ja irgendwann kommen musste.
01:13:19: Und ich saß im Büro und ich bekam eine Nachricht per WhatsApp und da ist es mein Bruder und ich wusste, da ist jetzt irgendwas passiert, weil sonst würde er mich nicht kontaktieren.
01:13:32: Und das hieß dann, ja, den Papa geht's nicht gut.
01:13:35: Und wenn du ihn noch mal sehen möchtest, dann sollte das jetzt möglichst bald sein.
01:13:40: Ich hab meine Sachen geparkt und bin am nächsten Tag hingefahren.
01:13:44: Und ich war schon ganz schön aufgeregt.
01:13:47: Das muss ich wirklich sagen.
01:13:48: Weil ich nicht wusste, empfängt er mich überhaupt.
01:13:51: Und wenn ja, wie?
01:13:53: Meine Mutter war schon ein paar Jahre vorher verstorben.
01:13:57: Und mein Vater war fast fünfundneunzig.
01:14:00: Und ich bin dann wieder in dieses Dorf gefahren, in dem ich groß geworden bin und merkte so, fünfhundert Meter vorher, ich muss jetzt erst mal mein Auto parken und muss mal durchatmen und mich sammeln.
01:14:14: Und ja, dann habe ich das gemacht und da bin ich losgefahren.
01:14:18: Und mein Bruder eröffnete mir die Tür und rief dann auch so meinem Vater, die Elke ist jetzt da und ich bin dann rein und er Konnte nicht mehr sehen, also er war nur noch hell und dunkel.
01:14:35: Aber er hörte und er war geistig, vollkommen klar.
01:14:40: Und ich bin dann zu ihm hin und habe ihn umarmt und er weinte und freute sich.
01:14:47: Also es war ein Tränener Freude einfach.
01:14:49: Wir haben beide geweint, ja.
01:14:51: Und ich hab mich neben ihm gesetzt und er wollte wirklich wissen, wie mein Leben war.
01:14:56: Und ich hatte auch so ein bisschen das Gefühl, als wenn er einiges wusste.
01:15:01: als ob er irgendwie Informationen bekommen hat.
01:15:05: Und das war ein sehr schönes Gespräch und es war auch so was wie so ein Eingeständnis, dass es nicht alles gut gelaufen ist.
01:15:15: So verklausuliert hat er dann das gesagt und ich habe eigentlich, dann habe ich zu ihm gesagt, weißt du Papa, ich bin auch Mama und ich habe auch nicht alles richtig gemacht und wir haben unser Bestes getan.
01:15:30: Dann fing er plötzlich an.
01:15:33: Also er war ja wirklich schon alt und auch ein bisschen zittrig.
01:15:37: Aber dann bekam er, als wenn er wieder Kraft bekam und mit einer Donnerstimme loslegte und noch mal versuchte, mich in den Glauben zurückzuholen.
01:15:46: Also wirklich, komm zurück, sagte er.
01:15:49: Und ich dachte, er meinte, ich soll wieder ins Elternhaus ziehen oder so.
01:15:53: Und ich dachte, Papa, wie soll das gehen?
01:15:54: Ich habe die Kinder zu Hause.
01:15:58: dann merkte ich, das meint er gar nicht, er möchte, dass ich zurück in den Glauben komme.
01:16:03: Und dann hat er mir so eine Art Vortrag gehalten, also, dass jetzt wirklich das Ende ganz kurz bevorsteht und so dicht wie noch nie zuvor und dass nur die gerettet werden, die dann dabei sind.
01:16:16: Und da habe ich gemerkt, ich habe wirklich den Frieden in mir vorher schon gemacht, weil das hat mich null aufgeregt.
01:16:24: Ich hatte überhaupt keinen Widerstand dagegen, was er sagt.
01:16:27: Ich saß nur da, hab ihn liebevoll angeschaut und hab in mir gedacht, das ist okay, Papa, du darfst so sein.
01:16:34: Du darfst das so glauben, wie du möchtest.
01:16:37: Das ist in Ordnung.
01:16:38: Und ich geh meinen Weg.
01:16:41: Es war einfach nur Frieden in mir.
01:16:43: Und ich war so froh, dass ich ihn besucht hatte.
01:16:48: Und dann ... musste ich mich irgendwann verabschieden.
01:16:52: Und ja, wie verabschiedest du dich von jemandem, wo du weißt, du siehst ihn nicht mehr.
01:16:57: Und ich habe ihn einfach in den Arm genommen und hab gesagt, Papa, ich hab dich lieb.
01:17:03: Und dann sagt er zu mir, ich hab dich auch lieb, mein Kind.
01:17:07: Und der kann mir heute noch die trennen, wenn ich darüber denke.
01:17:12: Er hat es noch nie in meinem Leben zuvor zu mir gesagt.
01:17:15: Und ich auch nicht zu ihm.
01:17:17: Und das war wirklich ... Das war so ein Wind unter meinen Flügeln.
01:17:22: mit dem ich da rausgegangen bin, trotz aller Traurigkeit.
01:17:26: Aber doch unheimlich glücklich, so dass sich der Kreis geschlossen hat für mich.
01:17:32: In einem guten Sinne.
01:17:34: Und wenn ich das mal so als Schlusswort auch noch vielleicht dazu fügen darf, das finde ich wichtig, dass, wenn man sich von diesem Glauben trennt, weil man nicht davon überzeugt ist, also erstmal sollte man das tun.
01:17:50: Ja, also wenn man merkt, es geht nicht dann nicht aushalten, sondern wirklich in Betracht ziehen, dass es auch andere Lebensentwürfe gibt und dass es vielleicht ein Märchen ist, was man uns da erzählt hat, dass wir sterben werden.
01:18:07: Das glaube ich nämlich mittlerweile natürlich längst nicht mehr.
01:18:10: Aber dass man dann auch Frieden findet mit seiner Vergangenheit, mit dem was war.
01:18:15: Ich habe viel gelesen, viele Bücher gelesen von Ehemaligen und Ich habe bei vielen diesen Vorwurf immer noch gehört, auch wenn das schon viele Jahrzehnte auch her war, so was habt ihr uns da angetan?
01:18:28: Wieso habt ihr das mit uns gemacht?
01:18:29: Was hatte ich für eine bescheuerte Kindheit und Jugend und was hätte das alles schön sein können?
01:18:36: Und das ist meiner Meinung nach der falsche Ansatz.
01:18:39: Wir kaum jemand von uns hat die optimale Kindheit und Jugend.
01:18:44: Es sind vielleicht fünf Prozent oder so, die sagen können, ich hatte ein tolles Elternhaus, die haben mich nur gefördert.
01:18:49: Und das war immer alles toll und super.
01:18:52: Die meisten haben irgendetwas.
01:18:55: Und ich glaube, unsere Aufgabe ist es dann auch, wenn wir unsere Entscheidungen treffen, wenn wir uns für unser Leben entscheiden, dann auch wirklich zu gucken, was möchte ich mit meinem Leben anfangen.
01:19:10: Und aus dieser Situation heraus, egal ... welche Ausgangssituation das war, dann unsere Persönlichkeit zu entwickeln und dann etwas Gutes draus zu machen und nicht den Rest unseres lebenstraurige Geschichten erzählen.
01:19:27: Das, was ich besonders Schätzen gelernt habe, ist einfach die Freiheit, die ich jetzt habe.
01:19:35: Ich glaube, das ist besonders stark, weil ich die Unfreiheit erlebt habe.
01:19:41: Ich bin jeden Tag dankbar dafür.
01:19:43: dass ich Entscheidungen treffen kann über mein Leben und dass ich den Mut hatte, daraus zu gehen, an meinem Herzen zu folgen, obwohl ich nicht Schweineangst hatte.
01:19:52: Aber wirklich diesen Weg dann trotzdem zu gehen, trotz allem.
01:19:57: Und als ich mich erst mal entschieden hatte, dann hat sich ja auch vieles dann, als wenn es dann auch irgendwie so der Teppich ausgerollt wurde.
01:20:05: Also so schön, du hast doch deinem Herzen gehandelt und hier ist das Leben.
01:20:10: Was wünschst du dir für deine Zukunft?
01:20:12: Meine Geschichte ist ja noch nicht zu Ende.
01:20:14: Darüber möchte ich ja auch noch erzählen.
01:20:19: In der nächsten Folge?
01:20:20: Jawohl.
01:20:21: Da bin ich gespannt.
01:20:22: Aber an dieser Stelle erst mal danke dir für deine reflektierte und ehrliche offene Geschichte, die du uns geteilt hast.
01:20:29: Sehr gerne.
01:20:29: Danke schön.
01:20:30: Wir wünschen dir bis zum nächsten Mal alles
01:20:32: Gute.
01:20:34: Hier noch eine Anmerkung.
01:20:36: Wenn du von den besprochenen Themen betroffen bist oder Unterstützung benötigst.
01:20:40: Bitte zögere nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
01:20:43: Wohl die Unterstützung bei professionellen Hilfeinrichtungen oder dir vertrauten Personen.
01:20:47: Bis zum nächsten Mal bei
01:20:49: Von Bohne zu Bohne.
01:20:52: Du willst
01:20:53: selbst bei uns dabei sein?
01:20:54: Denn melde dich auf unserer Website oder unsere Social Media.
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