#6 Michael Klein: Gefangen in der Stille
Shownotes
In unserer heutigen Folge erzählt Michael Klein, Professor für klinische Psychologie und Anwalt, wie er sein Leben der Unterstützung von Kindern suchtkranker Eltern widmet. Dabei berichtet er, wie Kinder auf die Suchterkrankung ihrer Eltern reagieren. Hyperaktivität, Depression, Wutanfälle – die Kinder tragen eine unsichtbare Last, die oft übersehen wird.
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0: 00:00Triggerwarnung! Bevor wir beginnen, möchten wir dich auf etwas Wichtiges hinweisen. Uns sind deine Sicherheit und Gefühle wichtig. Wir möchten gewährleisten, dass du dich während des Hörens unseres Podcasts wohlfühlst und keine unerwarteten Auslöser erlebst. In dieser Episode werden wir Themen ansprechen, die für einige Hörende verstörend sein könnten. Zu Beginn der Folge stellen wir das Thema vor. Falls du denkst, dass das genannte Thema für dich persönlich belastend sein könnte, dann möchten wir dich bitten, die Folge direkt zu beenden. Stell dir vor, du kommst in einen Raum, vor dir sitzt ein Mensch und du hast keine Ahnung, wer das ist. Das passiert mir in jeder Folge bei unserem Podcast von Bohne zu Bohne. Mein Name ist Charlotte und ich weiß vorher nichts über unsere Gäste. Kein Name, keine Information, keine Themen. Also werden meine Fragen auch deine Fragen sein. Ich bin Sanja und ich suche die Gäste.
0: 00:54Hier achte ich darauf, dass es Menschen mit spannenden Persönlichkeiten und faszinierenden Erlebnissen sind. Und genau die wollen wir mit euch teilen. Bist du bereit, gemeinsam mit Charlotte neue Geschichten kennenzulernen? Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge. Mein Name ist Charlotte. Mein Name ist Sanja. Mein Name ist Michael Klein. Ich bin Anwalt für Kinder von Suchtkranken. Wow. Hallo und herzlich willkommen.
0: 01:23Das war überraschend. Damit habe ich nicht gerechnet. Schön, dass Sie heute hier sind und vielen Dank für den Dienst an Ihrem Job. Also das ist schon eine große Sache. Da muss ich sagen, habe ich einen besonderen Respekt vor. Wollen Sie erst mal ein bisschen was über sich erzählen. Wer sind Sie? Woher kommen Sie? Ja, gerne. Also ich bin Psychologe, psychologischer Psychotherapeut, hier in eigener Praxis für ambulante Psychotherapie. Zuvor war ich in verschiedenen Suchtkliniken tätig, Alkohol-Drogenabhängigkeit, dann knapp 30 Jahre Professor für klinische Psychologie und Suchtforschung und jetzt im Ruhestand, was sich so Ruhestand nennt. Also das bedeutet, ich bin nach wie vor engagiert und arbeite auch hier in Teilzeit und befasse mich mit den Themen oder auch mit den Personen, die die mit diesem Thema auch was zu tun haben. Das heißt eben suchtkranke Eltern, Großeltern sind es manchmal auch, die dann aber schon trocken geworden sind oder clean geworden sind und den betroffenen Kindern, um die es da in der Hauptsache geht. Ja, ich kann auch berichten, wie ich auf das Thema gekommen bin. Sehr gerne, haben wir gefallen. Das geht zurück auf meine Tätigkeit in der Suchtklinik.
0: 02:50Die war tief in der Eifel. Früher waren die Suchtkliniken in den deutschen Mittelgebirgen. Das hat sich inzwischen ein bisschen geändert, dass wir doch näher an den Städten sind. In meinen ersten Dienstjahren gab es so eine, naja, man könnte schon fast sagen, so eine Erweckungssituation, dass ich nämlich im Wochenenddienst eine Konstellation hatte. Wir hatten eine Patientin, die sechs oder sieben Kinder hatte und was natürlich für sie völlige Überforderung war, auch zusammen mit ihrer Drogenabhängigkeit. Und da war eben dann sehr deutlich, dass die Kinder in diesen Situationen im haben als die Mutter selbst, weil sie eben vernachlässigt wurden, angeschrien wurden, im Grunde nicht gesehen wurden, weil die Mutter für sie emotional nicht erreichbar war.
0: 03:49Und wie haben Sie das gemerkt, dass die Kinder damit ziemlich zu kämpfen hatten? Also sind sie dann emotional ausfällig geworden? Hatten sie Wutanfälle oder wie haben Sie das gemerkt? Alles Mögliche. Die Kinder reagieren darauf ja sehr unterschiedlich. Also einige waren heute würde man sagen hyperaktiv. Der Begriff war damals noch nicht so bekannt. Also das heißt sehr unruhig und sehr unkonzentriert. Und dann sind die natürlich auch öfters gestürzt beim Umherlaufen, weil sie ja auch ihren Körper nicht so gut kontrollieren können.
0: 04:22Andere waren eher in sich zurückgezogen, also wirkten dann auch fast depressiv und teilnahmslos. Das war so, wie ich eben sagte, so das Erweckungserlebnis für dieses Thema. Wie alt waren Sie da, wenn ich fragen darf? Ja, natürlich. Moment, ich kann Ihnen sagen, ich muss 29 gewesen sein. Also das war auch der Zeitpunkt, wo wir zusammen unser erstes Kind erwartet hatten. Also das ist ja oft so, dass man dann so eine besondere Sensibilität für so ein Thema hat. Weil eigentlich ist das ja überraschend, dass man bis in die 80er Jahre das Thema in Deutschland gar nicht entdeckt hatte. Das war einfach tabu. Das war nicht bekannt, nicht präsent. Die Suchterkrankung per se oder die mentalen Schwierigkeiten? Die Schwierigkeiten der Kinder, also der nächsten Generation. Das war tabu und wir wissen heute oder man hätte es auch damals schon wissen können, dass die größte Risikogruppe für Suchterkrankungen Kinder von Suchtkranken sind. Das ist heute so ganz selbstverständlich. Damals wollte das keiner wahrhaben, keiner hören. Das hat ganz viel Widerstand und Abwehr erzeugt, auch bei den Fachkräften, nicht nur in der Öffentlichkeit.
0: 05:43Warum, glauben Sie, hat das bei den Fachkräften so viel Widerstand erzeugt? Weil das ihr Weltbild gestört hat. Das Weltbild ändert sich ja immer wieder mal. Und Menschen sind ja auch ganz groß darin, Tabus hochzuziehen und sich auch eine Scheinwelt vorzumachen. Und das kann die Fachkräfte genauso betreffen wie auch Menschen, die woanders im Leben stehen. Man muss ja auch sagen, dass häufig die Kinder ja dann auch schon selber damit in Berührung kamen, durch die Schwangerschaft oder ähnliches. Das heißt also, diese Auffälligkeiten könnten ja damit auch nochmal einhergehen. Genau, also wenn das jetzt suchtkranke Frauen waren, also klar, natürlich, dann ist in der Schwangerschaft die Gefahr ja auch groß. Das sogenannte fetale Alkoholsyndrom, dass die Kinder da auch schon vorgeburtlich geschädigt wurden, was dann ja auch ein Leben lang anhält.
0: 06:40Es geht ja nie mehr weg, diese Schädigung. Auch das war damals noch großes Tabu in der Öffentlichkeit und hat sich erst so ganz langsam geöffnet, dass die Menschen das wissen, aber trotzdem konsumieren immer noch mehr als 20 Prozent der Schwangeren in Deutschland Alkohol in ihrer Schwangerschaft. Also da ist noch viel Arbeit nötig. Aber wenn Sie gesagt haben, dass Sie im Prinzip zu dem Zeitraum selber voraussichtlich Vater wurden, wie war das dann für Sie, das Gefühl, was Sie damit verbunden hatten? Naja, das war schon erschreckend und auch überraschend zugleich. Also was in einer Familie geschieht, wenn dort jetzt ein Suchtproblem besteht. Inzwischen wissen wir, dass das bei anderen psychischen Störungen ganz ähnlich laufen kann. Also jetzt, wenn die Eltern Depression oder Persönlichkeitsstörung oder Angsterkrankung haben.
0: 07:41Aber bei der Sucht ist es besonders dramatisch, das kann man schon sagen, weil da viel mehr auch Gewalt im Spiel ist. Also Sucht ist ja auch sehr eng mit Gewalt assoziiert in vielen Fällen. Und natürlich Abwehr, also nicht wahrhaben wollen und ganz viele schon auch Besonderheiten, die mit der Suchterkrankung zusammenhängen. Und dann hatten Sie für sich entschieden, das wird mein Schwerpunkt? Ja, nicht bewusst entschieden, dann ist es so gekommen. Ich habe dann die Kollegen, Kolleginnen in der Klinik, wir hatten 170 Patienten und das Therapeutische Team waren so etwa 30 Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter, also Sozialarbeiter und Psychologen und Ärzte, also diese ganzen und natürlich Beschäftigungs- und Musiktherapeuten und so weiter, die dann mit diesem Thema bekannt gemacht und dann gab es auch viel Offenheit und Unterstützung dieses Themas. Und das obwohl es so ein Tabu gab? Ja, ich denke, dann war es so dicht dran, dass es auch nicht, dass es nicht mehr abgewährt, nicht mehr verleugnet werden konnte.
0: 08:46Wenn man sagt, jetzt schaut doch mal hin, also wir können das jeden Tag sehen und beobachten, dass da was schiefläuft in den Familien. Und es langt nicht aus, nur den erwachsenen Patienten zu behandeln. Das heißt, Sie sind dann auch schon in die Forschung parallel gegangen, um das eben mit zu fördern, damit dafür mehr Sensibilität geschaffen wurde. Ja, das war jetzt ein besonderes Glück, dass in dieser Klinik, in der ich tätig war, sowohl Behandlung als auch Forschung möglich war. Normalerweise ist das ja streng getrennt in Deutschland und es findet bestenfalls an einer Uniklinik statt, die aber immer relativ wenige Patienten hat.
0: 09:42Aber das war ein großes Glück, sodass wir dann eben auch Begleitforschung da machen konnten und die Kinder mit ihren Eltern entwickelt und diese Kinder dann auch nach Jahren noch nachbefragen konnten. Also dann war der Fokus eben ganz klar auf der Familie und auch auf dem Kind, was da exponiert war. Das heißt, also Sie konnten, ich weiß nicht, bei uns hat man immer Probanden gesagt, ich weiß nicht, ob man das bei Ihnen dann auch sagt. In der Forschung sind es Probanden, in der Therapie sind es Patienten.
0: 10:03Und insofern ist es beides. Beziehungsweise die Kinder waren ja nicht die eigentlichen Patienten, sondern ihre Eltern. Also die Kinder waren dann, weil das auch eine heimatferne Klinik war, das waren eben dann Gäste im wahrsten Sinne des Wortes. Das heißt aber, Sie haben die Probanden auch über einen längeren Zeitraum begleitet. Über welchen Zeitraum reden wir hier? Ja, Es ist ja immer auch eine Frage der Ressourcen und der Mittel. Wir hatten zumindest mal Mittel nach acht Jahren, da die Kinder, das waren dann eben im Schnitt dann Jugendliche oder junge Erwachsene, die dann nochmal zu kontaktieren und zu interviewen. Und später haben wir dann auch andere Studien noch gemacht mit anderen Verläufen. Aber diese für mich eingängigste Studie war das mit diesen acht Jahren, nachdem die Eltern aus der Behandlung entlassen worden waren. Und wie groß war Ihre Stichprose?
0: 10:58Das waren 98, also knapp 100, was schon ganz ordentlich ist für Deutschland. Also diese knapp 100 ehemaligen Kinder dann danach zu befragen. Und was konnten Sie feststellen? Was waren die Ergebnisse? Das Hauptergebnis war, dass die Kinder, wenn die Eltern in dieser Therapie mit dem Suchtverhalten aufgehört haben, und wenn das dauerhaft und erfolgreich war, dass die Kinder dann acht Jahre später ziemlich bis völlig unauffällig waren. Das heißt, die haben sich nochmal gut entwickelt. Vor allen Dingen, wenn die Kinder jünger als zwölf Jahre waren, als die Eltern in Therapie waren. Also relativ jung noch, aber durchaus auch mit 8, 9, 10 Jahren und so weiter.
0: 11:43Aber auf der anderen Seite war es desaströs, wenn die Eltern nicht aufgehört haben. Also dann haben die Kinder nach diesen 8 Jahren deutliche Anpassungsstörungen, Verhaltensstörungen und eben auch psychische Störungen gezeigt und waren dann eben oft auch schon Suchtmittelkonsumenten, Alkoholdrogen. Was waren die häufigsten Auffälligkeiten, die sich ergeben hatten bei den Kindern in diesem Fall? Naja, das deckt sich dann auch sehr mit der internationalen Forschung, die in Deutschland gar nicht bekannt war zu der Zeit, die es schon gab. Nämlich, dass die Jungen eher nach außen, also externalisieren, sagen wir dann ja, Das ist dann sowas wie Hyperaktivität, ADHS, Hyperaggressivität, teilweise auch Devianz und Kriminalität gezeigt haben und dass die Mädchen eher, oder tendenziell eher so internalisierend, also Depression, Angst, Essstörungen, Selbstwertproblematik gezeigt haben. Und konnte man schon erkennen, was die Kinder auch später für eine Berufswahl dann eingeschlagen haben, konnte man da eine Verbindung feststellen? Also auch nicht nur Berufswahl, sondern den Bildungsweg, den sie am Ende des Tages eingeschlagen haben?
0: 12:55Sehr unterschiedlich. Die Suchtkranken kommen ja aus allen Schichten in Deutschland. Da gibt es ja keinen so durchschlagenden Schichtunterschied. Insofern haben die sicherlich auch diese verschiedensten Wege dann eingeschlagen. Wobei auch da, wenn die Eltern eben nicht zur Verfügung stehen, also nicht erreichbar sind, aufgrund ihres Suchtverhaltens oder ihrer psychischen Störung, dass für die Schulkarriere der Kinder meistens ein Knick nach unten bedeutet, bis hin zum völligen Schulversagen. Wobei die Jungs da viel mehr Schulversager sind als die Mädchen. Das ist aber bekannt. Das ist schon lange bekannt, aber es wird nichts dagegen getan. Das ist das Dilemma. Aber diese Kinder sind dann eben noch stärker Schulversager, als die Jungs ohnehin schon sind. Was dann natürlich wieder jede Menge Folgeprobleme hat.
0: 13:57Also was ich frühe Schulabgänge und Leistungsversagen und Mobbing in der Schule, aber auch dann natürlich aggressive Gegenreaktionen. Wie hat man die Kinder mental begleitet in der Phase oder grundsätzlich in diesen acht Jahren, in der sie das betrachtet haben? Da ist nicht viel möglich gewesen, weil wir war eine heimatferne Klinik und in den Heimatorten dieser Kinder gab es noch kaum eine Hilfestruktur. Das ist heute natürlich anders. Wir haben heute flächendeckend erziehungsehe Lebensberatungsstellen, wir haben Suchtberatungsstellen. Das heißt, diese Beratungsstellen könnten eigentlich flächendeckend den Kindern helfen. Aber jetzt kommen wir zu einem anderen Problem, nämlich dass das heute immer noch nicht geschieht. Flächendeckend. Also es ist ein rein zufälliges Ergebnis, ob Kinder, die suchtkranke Eltern haben und die auch, wo die Kinder auch selbst Verhaltensprobleme haben, ob die eine Hilfe bekommen oder nicht. Das hängt davon ab, ob die meinetwegen in Stuttgart oder in Magdeburg wohnen oder in Rostock.
0: 15:24Jetzt nichts gegen Magdeburg. Dieses Ergebnis ist halt, dass die psychosozialen Hilfen in Ländern wie Baden-Württemberg eben besser aufgestellt, also wesentlich besser sind als in Sachsen-Anhalt, weil es diese Unterschiede in Deutschland da gibt. Aber würden Sie sagen, man konnte merken, dass das Jugendamt sich dann zwischengeschaltet hat oder haben Sie das Jugendamt informiert oder die Lehrkräfte damit da mehr... Das Jugendamt ist im Regelfall nicht präsent. Nur wenn die Eltern eine Drogenabhängigkeit haben, weil das so sozial auffällig ist. Dann wird das Jugendamt sehr früh eingeschaltet, oft schon in der Schwangerschaft. Allein schon, weil wenn es dann substituierte Eltern sind, also die das Heroinsubstitut kriegen, dann ist das im Hilfesystem bekannt. Aber das Kro der Kinder, wo die Eltern alkoholabhängig sind, ist dem Jugendamt gar nicht bekannt. Aber warum? Woran liegt das? Wissen Sie das?
0: 16:02Das sind viele Faktoren. Die Eltern tun alles, um nicht auffällig zu werden, sozial auffällig zu werden, bei einer Alkoholabhängigkeit. Bei Drogenabhängigkeit ist das anders. Das ist ja etwas, was im öffentlichen Raum geschieht und wo es Strafverfolgung gibt. Irgendwann wird ein Drogenabhängiger mal erwischt. Bei Alkoholabhängigkeit, das wird verborgen und versteckt und das geschieht heimlich und da muss schon eine Menge zusammenkommen, bis da ein Jugendamt präsent wird. Das geschieht sicherlich auch in Fällen, aber zu selten und die Jugendämter sind auch nicht immer so sensibel, was jetzt psychische Misshandlung der Kinder angeht. Physisch ja, also wenn ein Kind geschlagen wird oder meinetwegen sexuell misshandelt wird, missbraucht wird.
0: 16:53Bei einer psychischen Schädigung des Kindes ist man da nicht so sensibel oft. Hat sich das im Laufe der Jahre geändert? Haben Sie das beobachten können? Ja, etwas sicherlich. Wir hatten ja diesen Fall 2006 in Bremen, das war dieser Kevin-K-Fall. Fall. Das war ein Kind eines drogenabhängigen Elternpaares, also drogenabhängige Mutter und ein Stiefvater, wo das Kind dann am Ende so knapp mit 18 Monaten mit, ich glaube, 39 gebrochenen Knochen da in der Gefriertruhe gefunden wurde. Aber alles viel zu spät, viel zu spät. Auch ein Weggucken der Behörden, eine mangelnde Sensibilität, eine riesengroße Akte über diese Familie. Aber in 18 Monaten zwei oder drei Hausbesuche, glaube ich, und die sogar überwiegend noch angemeldet, also vorangemeldet. Das hat damals natürlich vieles ausgelöst bei den Jugendämtern, auch im Jugendhilferecht, die da für mehr Sensibilität gesorgt haben.
0: 18:09Aber insgesamt bin ich mit der Situation da noch lange nicht zufrieden, vor allem was die Frühintervention für diese betroffenen Kinder angeht. Also dass man früh den Familien und den betroffenen Kindern hilft, zum Beispiel mit Prävention oder mit Therapie, wenn das nötig ist. Das ist viel zu sehr dem Zufall überlassen, ob da jetzt meinetwegen vielleicht so eine Gefährdungsmeldung von den Nachbarn ans Jugendamt kommt oder nicht. Was würden Sie sagen, wie früh soll das passieren? In welchem Alter sollen da irgendwie oder nach wie vielen Jahren Sucht soll da interveniert werden? Im Prinzip so schnell wie möglich. Je länger die Sucht der Eltern anhält, desto mehr ist das Kind gefährdet in seiner Entwicklung, desto mehr steigt das Risiko. Also insofern so früh wie möglich. Natürlich schon Breinatal, das wäre dann in Verbindung mit Gynäkologie oder Geburtshilfe oder Neonatologie später oder dann eben nachgeburtlich Kindergarten.
0: 19:19Wobei das für die Fachkräfte da schwierig ist, weil die haben natürlich dann schon auch Angst, machen sie was falsch oder sind sie vielleicht zu offensiv den Eltern gegenüber. Das ist dann in der Grundschule oft noch schwieriger als im Kindergarten, weil bei den Erzieherinnen herrscht oft noch eine ganz gute Sensibilität für sowas. In der Grundschule verteilt sich das auf Klassen und Fachlehrer und da ist oft nicht dieses intensive Wissen über den Hintergrund der Kinder. Auf den weiterführenden Schulen wird es dann im Grunde Vereinzelungen, Individualisierung stattfindet. Was könnte man denn da machen? Was meinen Sie da? Wie könnte die Sensibilisierung seitens Lehrkräfte oder ähnlichem aussehen? Na ja, okay, also ich denke, die Lehrkräfte, die Erzieherinnen, die sollen und dürfen natürlich nicht damit alleine stehen, weil dann sind sie auch schnell überfordert. Da müsste ein intensiver Austausch mit der Suchthilfe, also den Suchtberatungsstellen oder mit der Jugendhilfe, Jugendamt stattfinden. Das tut es auch in manchen Fällen. Wir sind da im Einzelfall vielleicht gar nicht schlecht, aber was uns fehlt ist sozusagen ein routinehaftes Vorgehen in so Fällen. Auch das ist wieder zufällig davon abhängig, ob wir Lehrkräfte haben oder Jugendamtsmitarbeiter, die für das Thema Kinder von Suchtkranken engagiert oder sensibilisiert sind oder solche, denen das Thema nicht wichtig erscheint. Es gibt jede Menge Möglichkeiten, das Suchtthema zu verdrängen und zu tabuisieren. Also wenn man sagt, das ist nicht das wichtigste Thema, das ist eine Familie, die ist von Armut betroffen und Armut ist das wichtigste Thema, was ist sicherlich ein Thema, aber das ist natürlich die Armut, aber das ist auch eine Unterschätzung der destruktiven Auswirkungen von Suchterkrankungen, dann, wenn das dann das Thema so abgewährt wird. Also im Sinne von man müsste es mehr als dritt variable Kontrolle voranziehen oder betrachten als alles andere?
0: 21:38Ja, man muss seine destruktiven Auswirkungen erkennen und verstehen. In einer armen Familie kann durchaus sowas wie Liebe und Wärme herrschen gegenüber den Kindern, auch wenn sie viele Dinge entbehren. In einer suchtbelasteten Familie ist das sehr unwahrscheinlich, weil die Eltern, solange sie konsumieren, sich anders verhalten. Sie sind emotional nicht erreichbar, sie sind unberechenbar, sie verändern ihr Verhalten sehr schnell, sie können aggressiv werden, sie können depressiv werden. Das heißt, es gibt ein Riesenproblem für die Kinder, für die betroffenen Kinder, mit dem Verhalten ihrer Eltern. Also wir nennen es dann Parentifizierung. Also das heißt, die Kinder übernehmen quasi Kontroll- und Steuerungsaufgaben für ihre Eltern, weil sie zum Beispiel Angst haben, dass dann was Schlimmes passiert oder dass das Thema die Sucht nach außen trinkt und so weiter und so weiter. Aber das sind ja Faktoren, die durchaus offensichtlich sind bei Kindern. Also Empathie, das wäre ja ein Faktor, soziale Intelligenz, das sind ja Faktoren, die man beim Kind durchaus erkennen kann.
0: 22:59Oder sind die Eltern hinterherkommend zu Veranstaltungen, also zu Elternabenden oder ähnlichem. Ich habe keine Kinder offensichtlich. Also das müsste man ja in diesem Zuge dann erkennen können. Das verändert das Verhalten der Kinder? Ja. Die Kinder sind sehr gut darin, das Familientabu zu bewahren, weil sie auch selbst Angst haben, das zum Beispiel ihrer Eltern zu verlieren oder dass sie von den Eltern getrennt werden. Je älter die Kinder werden, desto bessere Tabubewahrer werden sie. Und sie glauben, dass sie das alles selbst lösen können oder müssen. Und insofern ist die Empathie der Kinder, das ist eine zwiespältige Sache. Auf der einen Seite ist es sicherlich gut zu erkennen, was los ist und sich zu kümmern und so weiter. Auf der anderen Seite ist ein Zuviel an Empathie schädlich, weil das Kind sich überfordert. Viele der Kinder, wenn wir jetzt auf die erwachsene Kinder von Suchtkranken gucken, haben dann nie gelernt, sich um ihre Bedürfnisse zu kümmern. Die sind dann immer für andere da. Also kümmern, kümmern, kümmern.
0: 24:13Für Mutter oder Vater, aber eben nicht für sich selbst. Und dann, wenn das bis zum Erwachsenenalter nicht gelernt worden ist, dann bringt das eben oft viele Folgeprobleme nach sich. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass für Kinder ist es ja häufig so, dass die Eltern niemals schuld sind. Egal was passiert, es sind immer die Kinder, die schuldig sind. Und wenn dann die Kinder aber die Verantwortung für die Eltern übernehmen müssen, dann sehen sie gar nicht, wie schädlich das für sie selber ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass das auch eine sehr große Rolle spielt bei den Kindern und den jungen Erwachsenen? Das gibt es oft oder das hat es auch in Fällen, die ich dann erlebt habe, oft gegeben. Also dass man sich als Kind oder später als Jugendlicher eher selbst beschuldigt oder als schuldig sieht, statt die Eltern. Klar, im Hintergrund steht ja auch, dass Kinder sozusagen diese Bindung brauchen und diese Liebe brauchen und wollen. Und wenn sie die Liebe der Eltern nicht bekommen, dann tun sie über Jahre alles dafür, um sie dann doch zu bekommen, in dieser Hoffnung, es könnte ja klappen. Und klar, wenn die Eltern sich dann verändern oder meinetwegen erfolgreich in Therapie sind, dann kann das auch gelingen. Aber in vielen Fällen gelingt es eben nicht.
0: 25:34Wie hoch ist denn die Anzahl bei denen, denen das nicht gelingt? Also in der Studie, die Sie vorhin erklärt haben, im Sinne von der Rückweg der Eltern ist gelungen und die Kinder haben im Prinzip sich ein normales, Anfangszeichen, Leben aufbauen können. Wie viel Prozent der Kinder ist das nicht gelungen? Also das weiß man eigentlich schon relativ genau. Etwa ein Drittel der Kinder wird selbst suchtkrank, dann im Jugend- und Erwachsenenalter. Ein Drittel entwickelt andere Probleme. Mal wegen Depression oder Persönlichkeitsstörung. Gibt es da besonders häufige Auffälligkeiten? Depression, Angst, Persönlichkeitsstörung.
0: 26:16Vor allem Borderline, also emotionale Instabilität oder Antisozialität bei den Jungs eher. Und ein Drittel bleibt gesund, psychisch gesund, erfreulicherweise, aber oft eben aus eigener Kraft, weil so viele Eltern gehen gar nicht in Behandlung in Deutschland. Sie sagten, ein Drittel wird selber suchtkrank. Meinen Sie damit Alkohol- oder Drogensüchtig oder Medikamentensüchtig oder aber auch so etwas wie Kaufsucht oder wie heißt das, Social Media? Also die ganzen Verhaltenssüchte. Nein, ich meine jetzt erstmal Alkohol und Drogen. Also so eine Substanzsüchte. Bei den Verhaltenssüchten wissen wir es noch gar nicht genau. Das ist noch gar nicht genau erforscht. Wir haben es jetzt nur mal bei Kindern von Glücksspülsüchtigen begonnen zu erforschen. Aber insgesamt weiß man das noch nicht so ganz genau, wie viele Kinder von Suchtkranken dann eine Verhaltenssucht entwickeln.
0: 27:17Das ist natürlich durchaus sehr naheliegend. Also mal wegen Mediensucht, irgendwas mit Smartphone oder mit Online-Pornografie bei den Jungs oder Kaufsucht oder auch eine Essstörung, die dann bei den Mädchen häufiger ist, die man ja auch als eine Verhaltenssucht ja auch ansehen kann. Was würden Sie sagen, wie hat sich das Bild zur Suchtkrankheit in den letzten Jahren verändert? Also gerade in der Forschung? Naja, in der Forschung ist man immer relativ distanziert. Also selbst da herrschen immer noch viele latente Vorurteile gegenüber Suchtkranken. Das sieht man daran, wie in Deutschland die klinisch-psychologischen Lehrstühle besetzt sind. Wir haben keinen einzigen Lehrstuhl, der sich schwerpunktmäßig um Substanzsüchte kümmert. In ganz Deutschland. Wir haben welche zur Verhaltenssucht. Also hier so Glücksspielsucht oder sowas. Aber da, glaube ich, ist auch der große Unterschied in den latenten Strukturen der Forscher, dass Verhaltenssucht ist dirty. Das muss man eben mit wissen. Also die Suchtkranken, wenn sie eben noch aktiv konsumierend sind, dann sind die eben auch so im körperlichen Bereich schwierig.
0: 28:38Also auf gut Deutsch, die riechen, die stinken, sie dünsten den Alkohol aus. Das macht einen Verhaltenssüchtigen natürlich nicht. Und ich glaube, dass es einen großen Widerstandsreflex bei vielen Kollegen da gibt gegen die Substanzsüchtigen. Aber sollte nicht gerade wegen der Substanzsüchte, wegen dieser körperlichen Schäden, die die Substanzen anrichten, mehr Interesse daran in der Wissenschaft sein, in der Medizin? Medizin ist es besser als in der Psychologie. Also in der Medizin haben wir im Moment wenigstens drei Lehrstühle in Deutschland, die sich darum kümmern. Das ist besser als null. Ich bin schockiert, ich hätte das nicht erwartet. Es ist natürlich immer noch zu wenig. Ja, dieses ganze Thema Suchtforschung ist in Deutschland kein Top-Thema. Wir sind da im Grunde kein führender Land. Und welches ist das führender Land? Naja, es gibt Länder, die ganz gut aufgestellt sind. USA, Kanada, Australien, die skandinavischen Länder, also zumindest Norwegen, Schweden. Wobei man sagen muss, dass ja gerade die skandinavischen Länder, die haben ja ein weniger ein Problem mit Suchtverhalten, also im Sinne von Alkoholkonsum, weil sie eben da strikter vorgehen. Also jetzt stelle ich mir die Frage, wie ist da die Verbindung, dass man das im Lehrstuhl besser aufbauen kann in den Ländern und in einem Land wie Deutschland, was eben ein Land ist, was für Alkohol steht, im Prinzip das weniger. Das ist die Kulturgeschichte. Die skandinavischen Länder haben diese stark evangelisch-protestantische Kulturgeschichte und da war Alkohol schon ganz früh, also in der Reformationszeit der Teufel. Es gab ja auch die Figur des Saufteufels, tatsächlich, also als Figur, mit denen man den Menschen dann da auf der einen Seite Angst gemacht hat, also du wirst vom Saufteufel besessen, wenn du zu viel trinkst und auf der anderen Seite ist natürlich dieser Schrecken vor dem Alkohol oder vor der entstehenden Sucht etwas, was dann gerade die Menschen in den Ländern sensibler gemacht hat.
0: 30:43Natürlich auch so, dass sie natürlich ihr Trinken auch viel mehr, wenn sie trinken, auch viel mehr verstecken, viel mehr heimlich trinken. Wir haben das ja noch in den USA mit diesen Papptüten, die da um so ein alkoholisches Gebinde rum gemacht werden. Und in Deutschland ist man traditionell da eher indifferent, gleichgültig, wenig problembewusst und nimmt es halt so hin, überwiegend. absehbar, dass es in den nächsten 50 bis 100 Jahren eine radikale Wendung in dem Gebiet wird? Also dass deutlich mehr Lehrstühle belegt werden? Nein, woher sollte das kommen? Die Lehrstühle konkurrieren ja auch miteinander. Also das heißt, nehmen wir mal an, wir haben jetzt vielleicht zehn Lehrstühle, die sich um Depressionsforschung kümmern, was natürlich toll und wichtig ist und verdienstvoll, aber die werden alles tun, dass sie ihre Denomination, also da ihren Forschungsschwerpunkt eben nicht abgeben bei der nächsten Berufung.
0: 31:44Da ist man dann auch in der Forschung egoistisch. Okay, wir haben jetzt unglaublich viel über die Forschung geredet. Sie hatten in Ihrem ersten Satz gesagt, dass Sie Anwalt für Kinder von Suchterkrankten sind. Können Sie das etwas weiter ausführen? Ja, also das ist natürlich auch das Wichtige neben der Forschung, dass eben Hilfe geschieht und dass man, wir können nicht jetzt ewiglich zuwarten, bis sich da die Forschungs- oder Versorgungslandschaft ändert. Und insofern ist es eben wichtig, Fachkräfte zu informieren, aufzuklären, die Öffentlichkeit aufzuklären, zu informieren, zu sensibilisieren und letzten Endes auch die betroffenen Kinder zu erreichen.
0: 32:30Frühzeitig. Das kann man natürlich punktuell durch Präventionsangebote in Suchtberatung stellen oder auch in Erziehungsberatung stellen. Das kann man aber auch sehr gut heutzutage natürlich online für zumindest mal Jugendliche so, vielleicht ab 12 bis 14 Jahren, dass die sich dort informieren. Weil ein großes Problem, was diese Kinder haben, ist, dass sie nicht verstehen, was mit ihren Eltern los ist. Die Eltern werden ihnen das nicht erzählen. Also es gibt jetzt erst mal kein untherapiertes Elternteil, was seinen Kindern sagt, du, ich bin suchtkrank oder ich kann nicht mehr vom Alkohol lassen, sondern es wird ja verborgen und von daher sind solche online Hilfen, die den Kindern erklären, was da mit den Eltern los ist, schon mal ganz hilfreich, damit die Kinder sich nicht selbst, wir hatten das ja mit diesen Schuldgefühlen und dass das Selbstwertgefühl dann immer weniger wird.
0: 33:29Wie findet es online statt? Ja, wir haben glücklicherweise jetzt Webseiten in Deutschland, die dann besucht werden können. Ich nenne jetzt Nummer zwei, vielleicht die größten. Das ist www.kidkid.de und www.nakoa.de. Das sind schon ganz gut ausgereifte Portale, wo die Kinder und Jugendlichen Informationen kriegen, wo sie lernen, das zu verstehen, wo sie Fragen stellen können, wo sie sich beraten lassen können und wo sie sogar auch konkrete Hilfeeinrichtungen in ihrer Nähe finden können. Das ist von der Struktur her schon ganz gut und wir sehen das auch von der Nachfrage her, dass da doch immer mehr Jugendliche eben auch sich dahin wenden. Ich glaube es ist auch so gut, weil es so niedrigschwellig ist.
0: 34:47Also das ist einfach zu sagen, ja jederzeit angeklickt werden kann. Man muss über keine Schwelle und man muss keinen Fragen und so weiter, keinen Termin machen. Also das ist schon recht gut. Das heißt, alle Inhalte sind kindgerecht aufbereitet, sodass im Prinzip die Kinder auf kindgerechtem Wege die Inhalte lernen. Ja, also Altersentsprechend. Es gibt dann zum einen die Gruppe dieser Jüngeren von 12 bis 16 und dann eben 16 bis 21, 24, also junge Erwachsene. Da gibt es also ganz gute Erfahrungen. Wobei ich auch sagen muss, dass das auch ein Bereich ist, wo es wenig öffentliche Förderung gibt. Zumindest bei KitKit leben wir überwiegend von Spenden, schon seit 20 Jahren übrigens. Also irgendwie hat sich eine Spende nach der nächsten angesammelt. Glücklicherweise. Also ab und zu gibt es mal öffentliche Gelder. Im Moment kommt ein Projekt vom Bundesfamilienministerium, wo KitKit und AQA in einem gemeinsamen Projekt gefördert werden. Aber das hat lange gedauert. Und diese öffentliche Förderung, das ist das Problem, die ist auch immer zeitlich begrenzt ist.
0: 35:39Nach drei Jahren ist wieder Schluss und dann stürzt wieder alles ab. Wir sind ja in Deutschland ein Land des Projektismus. Wir zetteln immer wieder Projekte an und nachher werden die dann wieder eingestampft. Es gibt wenig vernünftige Versorgungspolitik, die nachhaltig ist. Und die Schweizer haben was Gutes, wie so oft. Nicht nur gute Schokolade, sondern sie haben ein Projekt, das heißt www.papatränkt.ch. Das ist sehr gut aufbereitet, weil es deutschsprachig ist, eben für unsere Kinder, Jugendlichen natürlich auch prima zugänglich. Finden Sie auch auf Social Media statt? Da gibt es dann ein Instagram und ein Facebook-Kanal. Aber bei Facebook ist das schon fast wieder ausgestorben für die ganz Jungen. Also dann zumindest mal Insta.
0: 36:33Und ich glaube bei TikTok sind die noch nicht. Aber da muss man mal sehen, wie sich das entwickelt. Wie äußert sich denn Ihre Hilfe für Kinder von Suchterkranken? Auf verschiedenen Ebenen. Also das ist natürlich immer ein Ressourcenproblem. Deshalb sind diese online basierten Hilfen so gut, weil sie eigentlich nicht so viele Ressourcen kosten, aber eine große Reichweite haben können. Das andere sind natürlich Angebote in Suchtberatungsstellen. Die sind natürlich wieder sehr regional unterschiedlich. Also wir haben einen großen Schwerpunkt in Bayern und Baden- Württemberg, wo es eine relativ gute Versorgungsstruktur gibt, auch in Hamburg, aber viele andere Bundesländer sind dann schlecht daran. Und natürlich ist es möglich, dass Kinder oder Eltern das Hilfesystem natürlich auch im Bereich Psychotherapie oder Suchttherapie, also die Eltern mit Suchttherapie einsteigen. Aber das klassische Problem bei Sucht ist ja, dass die Betroffenen das nicht akzeptieren, nicht einsehen, ganz ganz ganz lange Zeit.
0: 37:46Also das Grundproblem ist ja die Motivierung zur Behandlung und dann diese viele Abwehr, die da am Anfang geschieht. Und da müssen wir schon, da leben wir schon von in der Suchttherapie, dass am Anfang diese Fremdmotivation durch viel Druck auch entsteht. Also wenn jetzt Druck des Arbeitgebers oder dass eine Partnerin sich trennen will oder eben dass vielleicht auch das Jugendamt eine Maßnahme macht, an deren Ende auch der Kindesentzug steht. Das ist im Sinne der Suchttherapie durchaus gut, wenn man so eine Eskalationsleiter dann hat. Haben sich auch mal Lehrer oder Kinder oder Erzieher oder Kindergärten bei Ihnen gemeldet? Kindergärten und Erzieherinnen, ja, das geschieht relativ oft, weil die, ich glaube, die kriegen einfach viel mehr mit. Und die kriegen auch diese Not der Kinder im Alltag viel mehr mit, ein Kind hat nie ein Frühstück dabei oder ein Kind kommt im Winter in Sandalen oder das Kind hat permanent irgendwelche Wäsche an, die nicht gewaschen ist.
0: 39:02Die sehen dann schon was und sind dann eben auch in Not, also die Erzieherinnen oder ratlos Mit Schulsystemen ist es viel schwieriger. Da wird viel mehr tabuisiert und abgewährt. Es gibt natürlich viele engagierte Lehrerinnen, aber ich glaube, die tun sich dann eben auch in ihrem System Schule schwerer als in den Kindergärten. Aber auch da gibt es natürlich engagierte Schulen oder engagierte Lehrkräfte. Keine Frage, aber da müsste viel mehr geschehen im Sinne von, dass das ganze Schulsystem, dass im Grunde Schule mehr Leben lernen wird, als irgendwelchen Informationsstoff bulimisch aufzunehmen und dann rauszubringen, ohne dass da wirkliche Wissensstrukturen entstehen. Das heißt also im Prinzip, Schulen sollten in dem Fall besser vorbereiten, was das Leben eigentlich bedeutet. Ja, natürlich. Schule, denke ich, müsste sehr stark die Persönlichkeitsbildung der Kinder, auch die körperlich-musische Entwicklung der Kinder, oder kreative, unterstützen was jetzt Wissensstrukturen angeht, begrenzen auf die wirklich wichtigen Dinge, also das Lernen zu lernen. Wir leben ja heute in einer Welt, wo alle Informationen leicht zugänglich sind. Aber was oft fehlt, ist die Strategie. Wie lerne ich, dass ich Wissensstrukturen aufbaue? Oder was vielleicht noch wichtiger ist, Kritik und Skepsis gegenüber dieser Welt, die uns umgibt.
0: 40:55Ich erlebe das schon so, dass Kinder und Jugendliche im Grunde gegen die umgebende Welt immer kritikloser sind. Oder immer weniger die Dinge hinterfragen. Wie drückt sich Ihre Arbeit im Alltag aus? Wie kann ich das greifen jetzt als Ausländer? Naja gut, ich bin ja am Ende meiner Hochschulkarriere und für mich ist es eben zwei Dinge. Zum einen hier in der ambulanten Psychotherapie, das sind dann eben Patientinnen und Patienten, die dann oft aus einer Suchtfamilie stammen oder vielleicht auch selbst ein Suchtproblem haben, was sie dann loswerden möchten. Diese Kinder sind oft sensibler gegenüber ihrem eigenen Suchtproblem, weil sie es von ihren Eltern her kennen und wollen es sozusagen schneller loswerden. Das ist dann die konkrete Psychotherapie. Das andere, was ich auch noch sehr viel mache, ist eben Weiterbildung, Qualifizierung von Fachkräften. Also das sind dann überwiegend Fachkräfte Psychologie, Psychotherapie und soziale Arbeit.
0: 42:05Manchmal auch Medizin natürlich. Sie hatten angedeutet, dass Sie auch von Großeltern oder von den Eltern von Suchterkranken, ich weiß nicht mehr genau Ihre Wortwahl, aber die behandeln Sie auch oder mit denen haben Sie auch... Ja, das finde ich manchmal eine interessante Perspektive. Also das wird auch viel zu sehr vergessen, diese Großelternrolle. Es gibt diesen wunderbaren Film von dem H.P. Kerkeling, Das Kind muss an die frische Luft. Da geht es um elterliche Depression, nicht um Sucht, aber das ist oft nah dran. Das ist im Grunde eine Hommage auch an die Großeltern in diesem Film, was zeigt, wie viel die Großeltern auch an der Kindesgesundheit, an der Kindesentwicklung fördern können.
0: 42:55Das ist da eigentlich sehr gut dargestellt. Das ist ja das Leben von diesem Mann. Und wir erleben es auch manchmal anders. Ich hatte unlängst auch mal einen Patienten, der berichtete, es war ein älterer Mann, seine Tochter hat ein Baby bekommen, ein Kind und sein erstes Enkelkind. Und seine Tochter, die seine ganze Trinkzeit miterlebt hat, sagt jetzt, du kriegst das Enkelkind nicht, solange du noch trinkst. Das ist mir viel zu gefährlich, viel zu riskant. Und dann hatte dieser Mann, der war schon Mitte 60, der hatte dann da zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten eine stabile Motivation mit dem Trinken aufzuhören, weil er sein Enkelkind noch genießen wollte, was ihm gegenüber seiner Tochter nie gelungen ist. Aber sozusagen diese Generation tiefer mit dem Enkelkind, dann war es dann so eine starke Motivation, ich will dieses Kind aufwachsen sehen. Woran kann das liegen? Also im Prinzip, weil man dann in dem Moment im jungen Alter zu nah da dran ist und zu jung ist, um zu verstehen, was man eigentlich tut? Ja, man ist dann zu nah dran, man ist zu unreflektiert, man fühlt sich angegriffen, wenn jemand sagt, dass man mit dem Trinken aufhören soll.
0: 44:17Also man sieht das dann als ungerecht an, ungerechtfertigt. Ebene ist, denke ich, dann hat man vielleicht genug Erfahrungen gemacht oder vielleicht auch so einen Ansatz von Weisheit, dass man weiß, dass es dann im Grunde wertvoller ist, wenn ich mit dem Trinken aufhöre und meinen Enkel genieße, als wenn ich weiter trinke und meinen Enkel nie mehr sehe. Also ich finde jetzt den Gedanken spannend, auch unter der Prämisse, wie fühlt die Tochter sich dabei? Also das ist, also findet sie sich dann weniger wert, weil er hatte ja nicht die Kraft aufbringen können zu der Zeit und hat es einen Einfluss auf die Bindung zwischen Mutter und Kind? Ja, ich glaube also in diesem Fall, dass sie das verstehen konnte, dass sie auch froh war, dass das Kind einen Opa hat, der funktioniert, der gesund ist.
0: 45:10Und dass sie diesen Schmerz, der natürlich auch da drin steckt, der hat das damals für mich nicht gemacht. Der ist schon da, aber dass sie das auch bewältigt hat, im Sinne von, also wenigstens ist er jetzt gegenüber meinem Kind verlässlich und stabil und sozusagen ein liebevoller Großvater. Und bei mir war er eben nicht so durchgängig liebevoll. Aber das wird sicherlich auch wieder aus der Liebe zu dem eigenen Kind dann gespeist, bei dieser Frau. Wenn Sie sagen, dass gerade Großeltern auch einen großen Einfluss auf die Kinder haben können, wäre es dann auch nicht sinnvoll, gerade die Prävention per se bei den Großeltern anzusetzen und dort stattzufinden? Nur dann stelle ich mir die Frage, wie schaffen wir das? Weil es ist schwierig, die ja zu erreichen. Ja, oder dass man sie auch dort ansetzt.
0: 46:05Da gibt es auch Ansätze meinetwegen bei den Elternkreisen für Drogenabhängige, die ja sehr engagiert sind. Und wenn dann, nehmen wir mal auch wieder mal jetzt, dass eine drogenabhängige Frau ein Kind bekommt und dass dann ihre engagierten Eltern Eltern dann sich eben einsetzen für dafür, dass dieses Kind dann nicht in eine Fremderziehung kommt oder in eine Pflegefamilie. Nicht unbedingt. Und dass sie vielleicht auch erreichen wollen, dass ihre Tochter dann irgendwann mal ihr eigenes Kind erziehen kann und dass vielleicht die Großeltern, obwohl sie das ja nicht müssen, aber vielleicht auch bereit sind, erst mal da sich zu engagieren für das eigene Enkelkind. Insofern sollte man generell in der Prävention, in der Therapie diese Großelterngeneration mit berücksichtigen.
0: 47:02Was wir auch haben in manchen Städten, ich kenne es jetzt von Berlin, ist, dass wir Großeltern als engagierte Erziehungsunterstützer haben. Also wenn das Kind eines Suchtgangselternteils nicht entzogen ist, also schon noch bei seiner Mutter lebt oder Vater, aber meistens sind es ja die Mütter, und die Mutter aber noch nicht stabil genug ist, dass dann solche engagierten älteren Menschen, also Stichwort vielleicht Schulaufgaben oder Spielplatz gehen oder so was. Und da eben die oft dann ja alleinerziehenden Mütter entlasten. Inwieweit findet das schon statt? Also Sie haben jetzt gerade gesagt, in Berlin findet das schon statt. Würden Sie sagen, das ist schon sehr publik oder ist es noch so ein Pilotprojekt? Das ist noch sehr punktuell.
0: 47:58Also es gibt sicherlich auch in anderen Städten, aber ich glaube, das ist bei weitem noch nicht flächendeckend. Und das Modell müsste man natürlich auch dann bekannter machen, so in der ehrenamtlichen Hilfe. Es gibt ja viele ältere Menschen, die sich eigentlich schon gerne engagieren wollen und würden und teilweise auch tun. Und dass man für diese älteren Menschen eben da, man muss sie natürlich auch ein bisschen schulen, bilden und so weiter, dass man so Angebote macht. Was sie zum Beispiel unbedingt wissen müssen, ist, dass sie nicht mit der drogenabhängigen Mutter in Konkurrenz geraten, wer hier die bessere Mutter ist. Das ist natürlich dann sehr desaströs für die drogenabhängige Mutter, wenn sie dann permanent das Gefühl bekommt, sie ist schlecht oder schlechter.
0: 48:45Und dann wird sie auch alles tun, um aus der Betreuung dann wieder auszusteigen. Welchen Rat haben Sie an Eltern, an Großeltern oder an die Kinder von Suchterkrankten? Oder auch an Personen, denen das auffällt, dass im Prinzip das stattfindet in Ihrem Umfeld? Das sind jetzt ganz viele Personengruppen, aber man kann ja vielleicht den gemeinsamen Nenner finden. Also ich glaube, was ganz häufig der Fall ist, ist, dass die Menschen, wenn es um Sucht geht, Angst haben. Also vielleicht Angst, dass sie bloß gestellt werden, dass sie eine Aggression des Suchtkranken abkriegen, was auch nicht so ganz unrealistisch ist. Weil solange die Leute noch konsumieren Alkoholtrogen, wollen sie auch ihr Suchtmittel nicht aufgeben. Und wenn sie den Eindruck haben, das will ihnen jemand nehmen, dann können die schon sehr unangenehm werden. Also das ist so ein bisschen wie Revierbetrug.
0: 49:39Was man sagen kann, ist schon keine Angst davor, dass man aber auch nicht unbedingt Aktionen alleine macht. Wenn man alleine mutig ist, dann geht dieser Mut auch ganz schnell verloren. Also dass man sich ein bisschen koordiniert. Also wenn dann zwei Leute schon was unternehmen, ist das vielleicht mit dem Suchtkranken sprechen, dann ist das viel leichter, als wenn es eine Person tut. Also das gilt für alle, für die Erzieherinnen, für die Lehrerinnen, für die Nachbarn, also oder dass man sich eben abspricht und dass man sich Unterstützung holt. Weil letzten Endes ist es ja um dem Suchtkranken zu helfen und vor allen Dingen um diesen Kindern zu helfen. Weil es gibt viel, wenn man nicht rechtzeitig interveniert, gibt es viele problematische Verläufe.
0: 50:31Das Stichwort Teenager-Suizide, also Suizide im jungen Erwachsenenalter, das weiß man schon lange. Das sind gehäuft oder häufiger auch Kinder von Suchtkranken. weil dann eben so viel Negativität und Selbsthass oft schon da ist oder auch Aussichtslosigkeit, dass sich so eine Konstellation ergeben kann. Dann wieder mehr Jungs als Mädchen bei den Suiziden. Es sind ja etwa dreimal mehr Jungs als Mädchen. Sie hatten jetzt schon zwei Webseiten einmal dieses KitKits und dann war das NACOA. Welche weitere Hilfestellungen könnten Sie denn empfehlen jetzt für potenzielle Hilfebedürftige? Naja, wir haben ja in Deutschland eine relativ gute Hilfestruktur und Versorgungssystem, auch im internationalen Vergleich. Das Problem ist, dass die verschiedenen Hilfeinstanzen oft nicht so gut miteinander vernetzt sind und miteinander kooperieren und koordiniert sind. Aber generell wenn es jetzt wirklich um Kinder im Kindesalter geht, natürlich die kinderjugendlichen Psychotherapie. Dann sollte es oft natürlich eine Familientherapie sein. Also dass man jetzt nicht nur das Kind in seiner Symptomatik sieht. Das Kind ist ja im Grunde so der Symptomträger, wo sich die Problematik zeigt. Die Problematik ist im Hintergrund. Das kann auch die Kinder-Jugend-Psychiatrie sein, wenn es jetzt um so etwas stationäres geht. Das müssen dann aber Einrichtungen sein, die eben sensibel für dieses für das Suchtthema sind, auch für das elterliche Suchtthema. Die gibt es, gibt es aber nicht überall.
0: 52:17Gibt es denn Hilfestellungen, die man online direkt findet? Also höchstwahrscheinlich wenn ich über den Google-Weg gehe, dann werde ich sie ja tendenziell schnell finden, aber die sind ja dann weit gestreut innerhalb Deutschlands. Gibt es so eine Art von Not-Telefonnummer oder ähnliche? Ja, es gibt natürlich das Kinder-Jugend-Telefon vom Deutschen Kinderschutzbund, die sicherlich auch empfehlenswert sind, also für Kinder, Jugendliche in Not. Und bei den Webseiten, die ich da schon erwähnt habe, da sind natürlich auch, da kann man, da kann der Jugendliche recherchieren, wo es Hilfe in seiner Nähe gibt. Es gibt auch ein spezialisiertes Kinder-Jugend-Telefon für Kinder von Suchtkranken, das in Hamburg sitzt, aber natürlich bundesweit aktiv ist. Die haben zwar eingeschränkte Sprechzeiten, die können natürlich keinen 24-7-Dienst wie die Telefonseelsorge anbieten, aber dann gibt es eben bestimmte Sprechzeiten und dann bekommt das Kind dort eben einen Berater oder eine Beraterin, die für diese spezielle Problematik geschult ist.
0: 53:26Herr Klein, vielen, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben für uns. Ein unglaublich umfassendes und spannendes Thema. Vielen lieben Dank. Ja klar, gerne. Hier noch eine Anmerkung. Wenn du von den besprochenen Themen betroffen bist oder Unterstützung benötigst, bitte zögere nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hole dir Unterstützung bei professionellen Hilfeeinrichtungen oder dir vertrauten Personen. Bis zum nächsten Mal. Bye, von Bohne zu Bohne. Du wirst selbst bei uns dabei sein? Dann melde dich auf unserer Webseite oder unserer Social Media. unserer Website oder unserer Social Media.
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