Verwahrlosung durch die Mutter, Missbrauch durch den Mitbewohner - sie war nie Kind #59 Nicole
Shownotes
Nicole wächst in einem Zuhause auf, das keines ist. Gewalt, Verwahrlosung, Isolation – schon im Kleinkindalter erlebt sie Misshandlung und extreme Vernachlässigung durch ihre Mutter. Als das Jugendamt eingreift, scheint die Rettung greifbar. Doch was folgt, ist erneut ein Martyrium: In ihrer ersten Wohngruppe wird Nicole über Monate hinweg von einem älteren Mitbewohner sexuell missbraucht. Niemand greift ein. Die Verantwortlichen? Heute in Rente.
In dieser Folge spricht Nicole zum ersten Mal öffentlich über das, was ihr angetan wurde – und was nie hätte passieren dürfen. Sie berichtet vom Gerichtskampf ihrer Eltern, von einer Jugend ohne therapeutische Hilfe, von jahrelanger Selbstverletzung, von suizidalen Gedanken – und vom unglaublichen Kraftakt, sich trotzdem ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen.
Zeitstempel: 0:00 – 1:50 - Triggerwarnung & Einstieg 1:50 – 2:26 - Einstieg ins Thema 2:26 – 8:19 - Frühe Kindheit – Gewalt, Isolation & Verwahrlosung 8:19 – 13:59 - Eingreifen des Jugendamts 13:59 – 21:07 - Wunsch nach Leben mit dem Vater 21:07 – 24:43 - Sexualisierte Gewalt im Heim 24:43 – 33:45 - Vertuschung & Schweigen 33:45 – 43:55 - Isolation & Abwertung 43:55 – 52:33 - Neue Wohngruppe & Aufblühen 52:33 – 59:51 - Selbstverletzung & Realisationsprozess 59:51 – Ende - Offenheit, Mut & Zukunft
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Transkript anzeigen
Transcribed with Cockatoo
0:00:00Als ich so drei Jahre alt war, da kann ich mich auf jeden Fall an eine Situation erinnern, wo wir im Zimmer auf jeden Fall eingesperrt waren. Und ja, wo es auch über einen längeren Zeitraum niemand da war und wir halt auch Durst und Hunger hatten. Wir sahen besonders unterernährt aus, also sehr, sehr untergewichtig tatsächlich, blass, weil wir ja wenig draußen waren. Und wir haben halt auch stark nach Tierurin und generell nach Urin gerochen. Hatte sich dann auch schon ausgezogen und sich nackt auf mich gelegt und hat dann zu mir gesagt, ich will das mit dir machen, was Erwachsene machen, um Kinder zu kriegen und ich wusste
0:00:35ziemlich genau, was das war. Triggerwarnung. Bevor wir beginnen, möchten wir dich auf etwas Wichtiges hinweisen. Uns sind deine Sicherheit und Gefühle wichtig. Wir möchten gewährleisten, dass du dich während des Hörens unseres Podcasts wohlfühlst und keine unerwarteten Auslöser erlebst. In dieser Episode werden wir Themen ansprechen, die für einige Hörende verstörend sein könnten.
0:00:58Zu Beginn der Folge stellen wir das Thema vor. Falls du denkst, dass das genannte Thema für dich persönlich belastend sein könnte, dann möchten wir dich bitten, die Folge direkt zu beenden. Stell dir vor, du kommst in einen Raum, vor dir sitzt ein Mensch und du hast keine Ahnung, wer das ist. Das passiert mir in jeder Folge bei unserem Podcast von Bohne zu Bohne. Mein Name ist Charlotte und ich weiß vorher nichts über unsere Gäste. Kein Name, keine Information, keine Themen. Also werden meine Fragen auch deine Fragen sein.
0:01:30Ich bin Sanja und ich suche die Gäste. Hier achte ich darauf, dass es Menschen mit spannenden Persönlichkeiten und faszinierenden Erlebnissen sind. Und genau die wollen wir mit euch teilen. Bist du bereit, gemeinsam mit Charlotte neue Geschichten kennenzulernen? Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge. Mein Name ist Charlotte. Mein Name ist Sanja. Und mein Name ist Nicole und ich möchte heute über die Misshandlung von meiner Mutter und
0:01:58den Missbrauch durch einen Mitbewohner sprechen. Okay, wow, krass. Okay, wo möchtest du anfangen? Vorne. Ich möchte am besten vorne anfangen. Praktisch chronologisch mit der Geburt von dir. Ja, im Prinzip, also mit meiner frühen Kindheit, weil da fängt es an. Okay, wo möchtest du da starten?
0:02:19Ich weiß nicht, ich bin immer, mir fällt es immer ein bisschen schwer, so frei zu sprechen, ohne gefragt zu werden. Deshalb weiß ich immer nicht, wo ich anfangen soll. Lass uns doch dort beginnen, wie hast du deine Mutter als Kind wahrgenommen? Also ich verbinde meine Mutter nicht als meine Mutter so richtig, sondern für mich ist es eine ziemlich dunkle Person in meiner Erinnerung und auch in dem Gefühl, was ich mit ihr verbinde. Und das liegt vermutlich hauptsächlich daran,
0:02:47dass meine Mutter mich und meine Schwester stark vernachlässigt hat und auch misshandelt hat. Und das hat sich halt häufig darin geäußert, dass wir sowohl geschlagen wurden, als auch uns wurden halt die Grundbedürfnisse eigentlich komplett nicht erfüllt. Also wir haben nicht genug Essen zu bekommen, wir wurden nicht regelmäßig gewaschen. Also halt das volle Programm an Vernachlässigung, was man eigentlich so kennt, haben wir eigentlich erlebt. War dein Vater präsent in deinem Leben? Ja, mein Vater war
0:03:26insoweit präsent, dass er... er war zwar nie so häufig da daheim, aber wenn er da war, waren das immer die Tage, an denen das Familienleben sozusagen halbwegs normal ablief. Und das ist auch heute noch eine Person, die ich eher positiv sehe. Also positiv war es meine Mutter auf jeden Fall. Aber er hat natürlich auch nie eingegriffen, weshalb das natürlich immer ein bisschen schwierig ist, das so zu sehen. Aber er war auf jeden Fall da, aber nicht so oft, wie es hätte sein müssen. Auf jeden Fall.
0:04:05Das heißt, deine Eltern waren noch zusammen oder die haben auch noch zusammen gewohnt? Genau, die waren nie getrennt. Okay. Wir waren praktisch meine Schwester, ich, meine Mutter und mein Vater. Warum machst du dann die Vernachlässigung so stark von deiner Mutter abhängig? Weil sie halt die Hauptperson war, die halt da war, mit der wir zu tun hatten und mit der wir praktisch klarkommen mussten.
0:04:28Und weil unser Vater halt die meiste Zeit, der hat in der Bank gearbeitet und war halt eigentlich von montags bis samstags nicht da und halt eigentlich wirklich nur sonntags da und halt wenn er Urlaub hatte. Und deshalb ist die Vernachlässigung hauptsächlich bei meiner Mutter und weil unser Vater uns nie geschlagen hat. Der hat uns Essen gekocht, der hat uns lieb gehabt sozusagen, also auch mal in den Arm genommen oder so und das war bei unserer Mutter, wenn dann nur der Fall, wenn fremde Menschen da waren und wenn der Schein sozusagen gewahrt werden musste, dann war das schon mal so, aber wenn niemand da war, dann war das eher ziemlich, ziemlich das pure Schrecken.
0:05:07Woran lag das? Das lag daran, dass man nie wusste, wie sie drauf ist. Man wusste jetzt nicht, ob man jetzt Schläge kassiert, ob man angeschrien wird, oder ob sie einem jetzt irgendwas kauft oder einen umarmen möchte. Also man wusste eigentlich nie, woran man an ihr ist. Und das hat es immer so schwierig und so bedrohlich gemacht. War sie selbst mental gesund?
0:05:34Wohl nicht. Also was ich mittlerweile weiß, also sie hatte tatsächlich auch einen Grad einer körperlichen Behinderung. Und auch geistig. Das wurde aber nie offiziell psychologisch festgestellt, aber ich weiß, dass sie einen Behindertenausweis hatte. Das heißt, irgendwas muss da mal festgestellt worden sein, aber so genau kann ich das nicht sagen. Ich würde aber schon sagen, dass sie nicht ganz so gesund war und dass sie auch mental nicht so gesund war, weil das Verhalten
0:06:00halt schon sehr ambivalent war. War deine Mutter permanent zu Hause? War sie Hausfrau? Sie war tatsächlich nicht so häufig daheim, wie man meinen mag. Also sie hätte eigentlich die Aufgabe der Hausfrau praktisch erfüllen müssen, weil sie keinen Job hatte. Sie hat sich aber viel ehrenamtlich wohl engagiert. Also sie war beim Roten Kreuz und hat wohl auch mal eine Lehre zur Krankenpflege gemacht. Aber sie war halt hauptsächlich,
0:06:25wenn, also sie war gar nicht so häufig daheim, wie man jetzt meinen würde. Aber das Problem war halt, wenn sie halt nicht daheim war, dann waren meine Schwester und ich halt praktisch eingesperrt. Also wir waren halt praktisch in diesem, in dieser Wohnung alleine und mussten uns halt komplett den ganzen Tag von morgens bis abends halt allein versorgen. Wenn du sagst, ihr wart eingesperrt, kann ich mir das so vorstellen, dass ihr einfach, dass die Tür hinter euch zugemacht wurde und ihr die ganze Wohnung für euch hattet?
0:06:55Oder wie kann ich mir das vorstellen? Also sowohl als auch. Wir waren sowohl, war die Wohnung komplett abgesperrt und wir hatten Zugang zu der vollen Wohnung, also auch zu der Küche und allem. Aber es gab auch Zeiten, wo wir im Zimmer eingesperrt waren, auch mehr als nur für ein paar Stunden, sondern auch mal zwei Tage und dann war unsere Mutter auch nicht daheim offensichtlich. Ja, das kam mal vor. Häufiger war es aber tatsächlich so, dass wir die komplette
0:07:26Wohnung hatten und aber trotzdem halt eingesperrt waren. Häufiger waren die Rollos tatsächlich auch unten und uns wurde auch gesagt, wir sollen die unten lassen. Also es war auch sehr sehr dunkel. Bist du die ältere Schwester? Nee, ich bin die jüngere Schwester. Okay, wie viel Altersunterschied habt ihr? Meine Schwester ist zwei Jahre älter als ich. In welchem Alter war das sehr präsent, wo ihr eingesperrt wart? Also in welcher Altersspanne wart ihr da? Also ziemlich kurz,
0:07:50bevor wir da rausgeholt wurden, also bis als ich so drei Jahre alt war. Da kann ich mich auf jeden Fall an eine Situation erinnern, wo wir im Zimmer auf jeden Fall eingesperrt waren und ja, wo es auch über einen längeren Zeitraum niemand da war und wir halt auch Durst und Hunger hatten. Daran kann ich mich auf jeden Fall erinnern. Okay, also du warst drei Jahre und kurz danach wurdet ihr da rausgeholt.
0:08:19Genau, es war halt so, dass meine Schwester dann natürlich irgendwann in den, also ich bin in den, sollte in den Kindergarten kommen und sie war halt auch in der Grundschule und das fällt ja irgendwann auf, wenn, also sollte zumindest auffallen, dass die Kinder nicht so normal aussehen und es fiel vor allem darin auf, dass wir halt nie richtig angezogen waren, als zum Beispiel Wintertemperaturen, aber wir hatten keine Winterjacken an oder hatten irgendwie kurze Hosen an, weil wir uns ja häufig selbst anziehen mussten. Wir sahen besonders unterernährt aus, also sehr, sehr
0:08:47untergewichtig tatsächlich, blass, weil wir ja wenig draußen waren. Und wir haben halt auch stark nach Tierurin und generell nach Urin gerochen. Und das ist halt irgendwann sowohl den Nachbarn als auch den Leuten, also bei meiner Schwester in der Grundschule aufgefallen. Und daraufhin wurde halt das Jugendamt kontaktiert. Ich weiß, dass das vorher schon mal kontaktiert wurde, aber meine Eltern sind halt sehr oft umgezogen,
0:09:14um halt praktisch der, ja, der Justiz des Jugendamtes praktisch zu entkommen, weil dann ja immer ein anderes Jugendamt zuständig war. Und ja, die waren wohl damals noch nicht so gut vernetzt, dass man sich da abgesprochen hätte und deshalb eigentlich hätten wir vermutlich schon früher rausgeholt werden können. Hatte dein Vater irgendwann mal mit deiner Mutter darüber gesprochen? Hast du das mitbekommen? Ich weiß, dass mein Vater, das weiß ich aus
0:09:42späteren Gesprächen nicht, dass ich das als Kind aktiv gefragt hätte, dass mein Vater, das weiß ich aus späteren Gesprächen, nicht, dass ich das als Kind aktiv gefragt hätte, dass er auch von ihr geschlagen wurde und dass er auch ziemlich unter Druck von ihr gesetzt wurde. Sie hat auch eigentlich sehr oft, wie gesagt, geschrien und ihn auch angeschrien und dass er auch wirklich Angst vor ihr hatte. Und sie hat ihn auch schon mehrmals geschlagen. Also wir haben das gesehen und ich glaube, das war häufig der Grund, dass er halt nie eingegriffen hat, weil er halt einfach selbst auch von ihr geschlagen wurde und sowohl psychisch als auch körperlich Gewalt erfahren hat. Wenn du daran zurückdenkst, meinst du, als Kind ist dir aufgefallen, dass so wie ihr
0:10:22aufgewachsen seid, dass das nicht richtig ist? Gar nicht. Also ich hatte ja kein anderes Beispiel als Familienleben. Also für mich war das ja das, was ich kannte. Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich das als mein Zuhause betitelt habe, einfach weil ich in dem Alter noch keine Vorstellung von einem Zuhause hatte. Aber für mich war halt meine Schwester meine ganze Familie.
0:10:45Also für mich war mein Vater natürlich auch, aber der war halt nicht so oft da. Aber für mich war meine Schwester halt irgendwie der Muttersatz. Und deshalb war das meine Familie und der Zeitraum, in dem ich mit meiner Mutter interagieren musste, war halt der, den ich ertragen musste, damit ich mit meiner Schwester wieder eine glückliche Zeit verbringen konnte. Magst du uns einmal von dem Tag berichten, an dem ihr dann letztendlich von zu Hause rausgeholt wurdet vom Jugendamt? Ja, also ich wurde aus dem Kindergarten geholt von einer Jugendamtsmitarbeiterin.
0:11:18Die kam dann einfach und hat gesagt, ich muss jetzt mitkommen und ich habe das jetzt auch nicht hinterfragt als dreieinhalbjähriges Kind und bin dann halt mitgegangen und meine Schwester saß auch schon in dem Auto drin, wo wir dann mitgenommen wurden. Die sagten uns auch, die sind vom Jugendamt und ihr werdet jetzt aus eurer Familie rausgeholt und wir fahren jetzt erstmal wohin. Und genau, dann sind wir auch wohin gefahren und zwar in ein Heim,
0:11:45beziehungsweise in eine stationäre Unterbringung. Aber es war halt ein Heim, klassisches Kinderheim, Kinderheim würde man das nennen. So würde ich es auch nennen. Und da waren wir dann erstmal und da wurde uns aber auch relativ schnell gesagt, dass wir erstmal hier sein sollen. Und ich muss auch ehrlich sagen, dass ich das schön fand, also dass ich das sehr, sehr positiv in Erinnerung habe,
0:12:09diesen Moment. Und dass ich mich auch ziemlich gefreut darüber habe, weil für mich war es halt okay, nicht mehr zurück in dieses dunkle Loch und nicht mehr Angst haben zu müssen, dass unsere Mutter irgendwie Zugriff auf uns hat und meine Schwester hatte sich auch gefreut und deshalb war das für mich halt auch kein Grund irgendwie besorgt zu sein, sondern für mich war das einfach Erleichterung. Hattest du Großeltern, Tanten oder Onkeln, die da hätten eingreifen können oder
0:12:36euch auch übernehmen hätten können? Tatsächlich ja, also das weiß ich nicht aus meiner Erinnerung, sondern das weiß ich natürlich auch aus Nacherzählungen und Berichten. Es war halt so, dass der Kontakt zu unseren Großeltern von den Eltern, also sowohl von meinem Vater als auch von meiner Mutter halt sehr stark unterbunden wurde. Also wenn wir mal gezeigt wurden, dann halt immer gut angezogen, vorbildlich. Also das war nie so ersichtlich, dass da Misshandlungen stattgefunden hätten und wir durften ja auch nicht darüber reden. Also das wurde uns verboten.
0:13:07Aber es gab auch nicht viel Kontakt. Also es war eigentlich immer nur so zu Feiertagen, wo wir unsere Großeltern gesehen haben. Aber da gab es wie gesagt keinen großen Kontakt. Wir hätten praktisch zu den Großeltern unseres Vaters gehen können. Das hat sein Vater ihm angeboten, das hat er aber ausgeschlagen, weil er hatte zu dem Zeitpunkt noch das volle Sorgerecht für uns. Unsere Mutter hatte das wohl schon ein Jahr davor verloren oder ein halbes
0:13:36Jahr davor verloren und das war halt der Moment, wo halt das Jugendamt eingesprungen ist, wo dann das Aufenthaltsbestimmungsrecht halt ans Jugendamt gehen sollte. Aber mein Vater hatte nach wie vor alles andere und er konnte halt entscheiden. In dem Moment aber ja selber für sich, okay, er konnte ja dann nicht mehr entscheiden, wo die Kinder hin sollen. Aber ich weiß, dass das Angebot vorher schon bestand, dass sein Vater zu ihm gesagt hatte, dass er sich
0:13:59nur von ihr trennen müsse und er dann mit seinen Kindern dahin könnte. Hättest du dir das gewünscht, dass er das gemacht hätte? Das war der größte Traum von meiner Schwester und mir, mit unserem Vater zusammen zu leben, ohne sie. Das haben wir uns eigentlich immer gewünscht. Hast du ihm das auch mal so gesagt? Das haben wir ihm als Kind ständig gesagt. Wie hat er darauf reagiert? Ziemlich emotionslos würde ich sagen.
0:14:26Er sagte immer, er könne sich nicht trennen, weil er kann ja mit 45 Jahren nicht alleine sein und er hat ja Angst. Wir haben ihn immer gefragt als Kind, ob er sie überhaupt liebt. Und dann sagte er aber auch immer, das tut er gar nicht. Die Liebe zu seinen Kindern hat im Prinzip nicht gereicht, um sich von ihr trennen zu können. Und das hat ja als Kind schon sehr wehgetan, auf jeden Fall. Als du im Kinderheim warst mit deiner Schwester, wie war die erste Zeit da für euch?
0:14:56Krass, krass gut auf jeden Fall. Also es war einfach, wir hatten das erste Mal Zugang zu Essen so richtig. Also wir haben auch auch mir wurde auch immer gesagt ich habe als junges mädchen so viel gegessen wie fünf wachsende männer Weil wir endlich genug essen hatten regelmäßig wir hatten den tagesablauf Wir konnten uns waschen wann wir wollten wir konnten auf die toilette gehen wann wir wollten also das war auf einmal alles So viel neues Schönes und
0:15:25wir mussten keine Angst mehr haben, geschlagen zu werden. Also es war für meine Schwester und mich und wir waren zusammen und das war ja noch das Allerwichtigste. Wir hatten uns und wir hatten endlich mal eine Umgebung, die irgendwie sicher schien. Und das war ein unglaubliches Gefühl. Ich weiß noch, dass die Betreuer damals gesagt haben, dass meine Schwester und ich zum Beispiel gar nicht wussten, was es ist, am Tisch zu sitzen. Also, dass wir gar nicht wussten, was das bedeutet. Also, dass sie uns das gesagt haben, weil wir gar kein Verständnis dafür hatten.
0:15:53Weil wir halt entwicklungstechnisch natürlich ziemlich weit zurück hingen. Und ja, das hat man halt in allen Lebensbereichen gemerkt. Also, wir wussten ganz viel gar nicht. Als Kind hattest du ja nicht die Möglichkeit, so was wie ein Zuhause kennenzulernen. Würdest du behaupten, dass das Heim an sich dein Zuhause geworden ist oder dass du da zum ersten Mal das Gefühl von Geborgenheit gefühlt hast? Es war auf jeden Fall, also die Zeit im Heim war auf jeden Fall das erste Mal, dass ich so ein kleines Gefühl von zu Hause hatte oder so ein Bild von wie ein Familienleben eigentlich auch sein könnte hatte.
0:16:31Und wie gesagt, das war sehr schön für mich zu der Zeit. Und auch für mich war halt immer zu Hause dort, wo meine Schwester war. Und jetzt war halt zu Hause nicht nur dort, wo meine Schwester war, sondern dort, wo auch Menschen sind, die sich für mich interessieren. Und das war dort, wie gesagt, das erste Mal so, zumindest die Anfangszeit. Ist es üblich, dass Geschwister im selben Heim sind? Nein, das ist nicht üblich, tatsächlich. Also, was heißt nicht üblich? Aber es ist, da entscheidet man gewissermaßen aus den Gründen, weshalb die Kinder praktisch in ein Heim kommen.
0:17:05Und häufig trennt man große Geschwistergruppen auch, wenn es da irgendwie so, ja, so dysfunktionale Beziehungen innerhalb der Geschwisterpaare gibt. Dann macht man das. Aber bei uns war es halt, da hat unser Vormund sozusagen eingegriffen und hat halt gesagt, das ist unheimlich wichtig, dass wir zusammenbleiben und das war es auch. Also uns hätte man auf gar keinen Fall trennen dürfen, aber es ist tatsächlich nicht gängig. Es ist aber auch nicht gängig, so jung in ein Heim zu kommen, tatsächlich. Also wir waren da mit Abstand die Jüngsten. Das ist ungewöhnlich, auf jeden Fall. Durften eure Eltern euch besuchen? Ja, das durften die. Also sowohl unsere Mutter als auch unser Vater. In der Anfangszeit waren das auch, also dass die praktisch, also das erste halbe Jahr gar nicht, also da ist sowas wie so eine Besuchssperre. Und dann wird halt, mein Vater hatte ja noch das Sorgerecht
0:17:54außerhalb des Aufenthaltsbestimmungsrecht, das lag bei unserem Vormittwoch im Jugendamt. Das heißt, die kamen so nach dieser, nach diesem halben Jahr so alle vier Wochen mal zu Besuch. Beziehungsweise eigentlich nur mein Vater, weil unsere Mutter kam zweimal mit und da haben die Betreuer halt schnell gemerkt, okay, da wird alles irgendwie wieder aufgebrochen und das tut den Kindern gar nicht gut. Die machen irgendwie Entwicklungsschritte zurück und dann durfte irgendwann mein Vater auch nur
0:18:21noch kommen. Aber der ist bei ganz vielen Terminen gar nicht erst erschienen. Also er kam ganz oft gar nicht. Auch wenn er angekündigt war, was natürlich schlimm war für uns beide, weil wir ihn natürlich sehen wollten. Und irgendwann war es auch so, dass im späteren Verlauf, dass wir beurlaubt wurden dorthin. Erst nur ganz sporadisch und erst nachdem unser Vater auch öfter mal mitgearbeitet hat. Aber es war schon oft so, dass er eher abwesend war und wie gesagt nicht zu besuchen gekommen ist. Aber das Ziel ist halt eigentlich immer, eigentlich sollen die Kinder ja irgendwann zurück in die Familie.
0:18:55Meine Schwester und ich wollten das natürlich nie, aber meine Mutter und mein Vater haben halt alles dafür getan, dass wir da wieder zurückkommen und sind halt vor jede Instanz, vor jedes Gericht zurückkommen. Wir mussten vor jedes Gericht jedes Jahr vor das Gericht, bis wir dann vor dem Oberlandesgericht waren. Danach geht es halt nicht mehr weiter. Wir mussten jedes Jahr vor Gericht, weil die immer uns zurückholen wollten. Mein Vater wollte praktisch unter Einfluss meiner Mutter
0:19:21dieses Aufenthaltsbestimmungsrecht zurückbekommen. Er hat immer eingeklagt hat, immer eingeklagt hat. Ja, und wir halt immer gesagt haben, wir möchten nicht. Und es war auch immer schrecklich, dort zu sitzen im Gericht und nicht zu wissen, oh Gott, müssen wir da jetzt wieder hin oder nicht, weil wir wollten ja auf gar keinen Fall wieder dahin zurück. Also nicht zu unserer Mutter zurück. Wir wollten schon unseren Vater immer sehen, aber wir wollten nie zu unserer Mutter zurück. Warum ist euer
0:19:45Vater zu den Terminen nicht gekommen? Boah, kann ich tatsächlich nicht sagen. Ich weiß das tatsächlich auch nicht aus meiner Erinnerung, sondern auch aus Berichten, die ich gelesen habe. Kann ich nicht sagen. Das war tatsächlich häufiger so, dass er ziemlich unzuverlässig war. Müsste ich ihn fragen dafür und das weiß ich nicht, ob ich das kann. Ich finde es erstaunlich, ehrlicherweise, dass er sich so dafür eingesetzt hat, dass ihr wieder nach Hause kommt, aber er nicht den Weg zu euch gesucht hat, um
0:20:11aktiv bei euch zu sein, weil das wäre ja für mich jetzt als Außenstehende die logische Folgerung, dass man ja zuerst zu den Kindern geht und versucht, diese Verbindung aufzubauen, bevor man dann gerichtlich versucht, das einzuklagen. Ich glaube halt stark, dass er, er stand ja immer noch wie gesagt stark unter dem Einfluss meiner Mutter und deshalb, sie hat halt gesagt, wir müssen jetzt vor Gericht ziehen, damit die Kinder zu uns kommen, weil man kann mir doch nicht meine Kinder wegnehmen. Das war ja so immer ihr, es ging ja nicht darum, ich
0:20:41liebe meine Kinder und möchte meine Kinder bei mir haben, sondern das war ja ganz klar ein, mir wurden meine Kinder weggenommen, was sollen die Leute denn denken? Man kann mir doch meine Kinder nicht wegnehmen. Also wir wurden praktisch, ja, so wie als Besitz, der zu ihr gehört, gesehen. Und deswegen wurde halt so oft vor Gericht gezogen. Das kam halt nicht aus der Intention von meinem Vater heraus. Also zumindest nicht voll. Natürlich hat er da mitgemacht.
0:21:07Aber das meiste ging dann schon von meiner Mutter aus. Was ist deine letzte Erinnerung an deine Mutter? Ich habe ihr erzählt, dass wir beurlaubt wurden. Im vier Wochen Abstand für immer so ein Wochenende. Das bedeutet, dass du zu deinen Eltern durftest? Genau, dass ich dahin beurlaubt wurde.
0:21:28Ich weiß gar nicht, wie das am Anfang war. Als ich älter war, war das dann irgendwann, dass ich selbstständig dahin gegangen bin. Aber ich glaube, am Anfang war das so, dass wir dahin gebracht wurden und wieder abgeholt wurden. Meine Schwester wollte aber schon nach zwei Jahren nicht mehr mit dahin, weil sie war halt immer da. Wir wollten halt unbedingt hin, um unseren Vater zu sehen und haben halt in Kauf genommen,
0:21:48dass sie halt auch da ist. Die hat uns nicht mehr geschlagen oder so, wenn wir da zur Beurlaubung waren. Das hat sie sich dann nicht mehr getraut. Generell hat sie eigentlich während der Beurlaubung nie was gemacht. Also es war, sie hat halt immer Unsinn erzählt, so ihr kommt bald zu uns nach Hause und ich melde euch hier in der Schule an. Sowas hatte ich schon immer gesagt, aber die hat, das hat uns natürlich tierisch Angst gemacht. Genau und meine Mutter habe ich das letzte Mal gesehen mit 14 Jahren.
0:22:16Das heißt auch bis zu diesem Alter warst du und deine Schwester im Heim. Da war sie 16 und du 14. Wir waren dann noch im Heim, nur nicht mehr in den gleichen. Ah, okay. Das heißt, man hat euch irgendwann getrennt. Ja. Das war mit 14 Jahren, als ich meine Mutter das letzte Mal gesehen habe. Das war auch die letzte Beurlaubung, wo ich dort war. Und danach habe ich gesagt, ich kann das nicht mehr.
0:22:37Also meine letzte Erinnerung war, wie jede Erinnerung auch, die war eigentlich nur daheim und hat vor dem Fernseher gesessen und ich hatte jetzt keine Interaktion mit ihr gemacht. Also ich habe kein Gefühl zu dieser Erinnerung geknüpft. Also generell habe ich zu der Frau, wenn Gefühle überhaupt nur, Hass mittlerweile natürlich, also wirklich da ist ein tiefer Hass, aber zu der letzten Begegnung mit ihr habe ich keine Verbindung. Deinen Vater hast du dann weiterhin noch gesehen? Nein, ich bin ab dem Zeitpunkt
0:23:10gar nicht mehr nach Hause gegangen, also gar nicht mehr zu diesen Beurlaubungen gegangen. Okay, das heißt du hast deinen Vater auch außerhalb, man hätte das doch vereinbaren können, oder? Das haben wir auch zwischenzeitlich mal gemacht, aber ich habe das wie gesagt, ab dem 14. Lebensjahr habe ich das komplett gecuttet. Also da habe ich den Kontakt komplett abgebrochen. Deine Schwester auch mit 16? Viel früher. Die hatte schon mit, da waren wir glaube ich, das war das zweite Jahr, dass wir in
0:23:37den Beurlaubungen waren und da konnte sie schon nicht mehr. Also hat sie schon gesagt, sie will nicht mehr nach Hause fahren und da habe ich mich ziemlich schuldig gefühlt, weil ich dann so das Gefühl hatte, okay, dann muss ich ja wenigstens meinen Vater besuchen. Und ja, deshalb bin ich. Das war eigentlich der einzige Grund, warum ich überhaupt noch dahin gefahren bin, weil ich mich irgendwie so verpflichtet gefühlt habe gegenüber meinem Vater. Aber sie ist schon viel früher nicht mehr gefahren. in diesem Kinderheim gewesen, wo ihr die jüngsten wart. Wie lange war das?
0:24:05Also ich war bis zu meinem zehnten Lebensjahr in diesem Heim und meine Schwester bis sie volljährig war. Ach krass, wieso ist da so eine große Dissonanz? Da ist so eine große Dissonanz, weil ich im Alter von sechs Jahren von einem Mitbewohner dort in diesem Heim über einen längeren Zeitraum sexuell misshandelt wurde. Magst du uns erzählen, wie das überhaupt stattfinden konnte? Also ihr wart da ja unter Betreuung. Da sind ja Mitarbeiter, die auf euch achten.
0:24:43Ja, sollte so sein. Es war häufig so, dass wir in den Mittagsstunden in so was wie einer Mittagspause waren. Da sollten wir auf unsere Zimmer gehen. Das waren immer so anderthalb bis zwei Stunden. Das kam mal ein bisschen drauf an. Das war praktisch die Dienstübergabe von der Frühschicht zur Spätschicht.
0:25:00Und da waren wir dann immer in den Zimmern halt. Und das war dann auch der Moment, den der Täter praktisch genutzt hatte. Also das waren die Zeiträume, in denen ich halt missbraucht wurde, weil da natürlich, das hat ja keiner mitgekriegt zu der Zeit, weil die waren halt vorne im Büro, die Zimmer waren hinten. Also da hört man nichts.
0:25:23Das hat auch recht harmlos gestartet tatsächlich. Also das war nicht so, dass er mich in sein Zimmer gerissen hätte und missbraucht hätte oder so. Also so lief das nicht, sondern es fing so mit Geschenken an. Also er hat mich immer in sein Zimmer geholt und so. Er wollte mir seine Kartensammlung zeigen oder er wollte mir was schenken oder ich wollte ihm auch was zeigen. Ich war halt ein ziemlich aufgeschlossenes Kind. Also ich war sehr extrovertiert und war auch immer sehr
0:25:48offen, eigentlich mit allem, mit allem und jedem. Und ja, dann hat es halt irgendwann angefangen, dass er mich mal da angefasst hat, er sich mal dabei angefasst hat. Und das hat sich halt so im Laufe eines Jahres, so ein Jahr lang ging das insgesamt, immer in diesen Mittagspausen, auch nicht jeden Tag, aber häufig auf jeden Fall, hat sich dann gesteigert, ja, hat sich halt immer weiter gesteigert, der Missbrauch. Wie alt war er?
0:26:20Er, das weiß ich nicht genau, aber er dürfte 15 gewesen sein. Aber wieso durfte denn ein 15-Jähriger mit einer 6-jährigen Zeit verbringen? Also das wusste ja keiner. Aber gibt es da keine Regelungen? Natürlich durfte niemand einfach auf ein fremdes Zimmer. Das war schon so gesetzt.
0:26:40Also es war schon so, niemand durfte ohne Absprache auf ein anderes Zimmer. Aber wenn die Betreuer vorne in ihrem Kabuff sitzen, ihre Übergabe machen und die Tür geschlossen haben, dann kriegt, also das kriegt ja keiner mit. Also die Zimmer liegen ja nicht gegenüber. Das war wirklich so, dass die Zimmer sehr weit hinten waren und das Büro sehr weit vorne und dazwischen noch ein Riesenflur lag. Aber er hatte ja offensichtlich, ich nenne es mal böse Avancen gemacht. Haben die das nicht gemerkt?
0:27:06Nee, also der war nie im Gruppengeschehen oder so besonders nett zu mir. Das heißt immer im 1 zu 1? Im 1 zu 1 war das so. Also wirklich im Gruppengeschehen war das tatsächlich nicht so. Das einzige was war, aber ich war halt auch immer die Jüngste. Ich wurde schon immer auch wie das jüngste Kind behandelt. Also es war schon so, dass die meisten Jugendlichen natürlich mit mir ein bisschen mehr Rücksicht
0:27:29hatten als mit anderen. Und so war es bei ihm auch so. Bei ihm war vielleicht die Besonderheit, er hat ein ziemliches Aggressionsproblem gehabt. Also er hat immer Mitbewohner angegriffen und sowas und gedroht sie zu schlagen und ist auch öfter mal an die Decke gegangen und ausgerastet. Und das habe ich zum Beispiel nie abbekommen. Also ich habe zum Beispiel nie seine Gewalt in der Hinsicht abbekommen. Aber das ist glaube ich jetzt nichts, was einem als Betreuer auffallen würde. Also kann ich nicht sagen natürlich, aber... Ist das in seinem Zimmer passiert oder in deinem?
0:28:04Es war in seinem Zimmer passiert oder in deinem? Es war in seinem Zimmer. Hat er sich kein Zimmer geteilt mit einem anderen Kind? Nee, also da hat sich eigentlich keiner ein Zimmer geteilt. Das war eher so, dass jeder so ein Einzelzimmer hatte. Es gab ein Doppelzimmer, aber das war meistens auch nur einzeln belegt. Also das gab keine Doppelzimmer. Jeder hatte Hast du verstanden, was da passiert ist in dem Alter? So jein. Also ich wusste so was sexuelle Handlungen sind. Also einfach von den Erzählungen von den Jugendlichen und so, das kriegt man ja dann schon mal mit.
0:28:34Und so was man halt im Fernsehen sieht. Aber ich hatte jetzt nicht im Kopf, dass das irgendwie verboten wäre oder so. Also ich hatte nicht irgendwie das Gefühl, dass das falsch wäre. Also zumindest nicht so richtig. Also es hat sich halt nie so mega bedrohlich für mich angefühlt, dass ich irgendwie Angst hatte, dass was jetzt passiert ist irgendwie nicht ganz so richtig. Aber wie ist das dann aufgeflogen?
0:29:05Genau, das ist dann aufgeflogen und darüber gibt es wisslicherweise auch einen Bericht. Er hat mich auch wieder in sein Zimmer geholt und hatte sich dann auch schon ausgezogen und sich nackt auf mich gelegt und hat dann zu mir gesagt, ich will das mit dir machen, was Erwachsene machen, um Kinder zu kriegen. Und ich wusste ziemlich genau, was das war und habe dann halt sehr, sehr laut angefangen zu schreien. Ich hatte, wie gesagt, vorher war das nie so eine... Für mich war das ja irgendwann
0:29:34Alltag, dass er sich so auf mich legt, so sexuelle Handlungen an mir aufführt. Für mich war das nie bedrohlich. Deshalb habe ich nie geschrien oder irgendwas gemacht, weil für mich war das, gehört irgendwie zur Mittagspause dazu. Und an dem Augenblick hatte ich dann wie gesagt geschrien, weil ich das absolut nicht wollte. Und dann kam wohl eine, es war eine Praktikantin und die hat ans Zimmer geklopft, weil sie mich gehört hatte, weil sie so in dem Zeitpunkt auf Toilette gegangen ist und die Betreuertoilette lag genau gegenüber dieses Zimmers und hat dann geklopft, dass ich aufmachen sollte, weil man konnte die Zimmer von innen abschließen.
0:30:10Das heißt, es wurde auch immer abgeschlossen, wenn ich bei ihm war. Und dann ist er auch ganz schnell aufgesprungen und hat sich zurückgezogen, also ist so in die Ecke und ich habe mich halt angezogen dann und hab die Tür aufgemacht und bin dieser Betreuerin mehr oder weniger in den Arm gefallen, weil ich natürlich dann schon Angst hatte. Und sie hat mich dann auch da weg geholt und ist dann mit mir praktisch vorne ins Betreuerbüro, weil die hatten ja gerade noch Übergabe bzw. die war gerade fertig so und ja, hat mich dann erstmal da reingeholt. Wie alt warst du da?
0:30:43Da dürfte ich Ende sechs gewesen sein. Hast du das Gefühl gehabt, das müsstest du deiner Schwester erzählen? Nein, nie. Also ich habe mit ihr da nie drüber geredet, also als Kind nicht, weil wie gesagt, für mich war das wirklich nichts, was irgendwie ungewöhnlich gewesen wäre. Also nichts, was ich komisch fand irgendwie. Und deshalb war das für mich auch keine Sache, über die ich hätte reden müssen. Mir wurde auch nie gesagt, dass ich nicht hätte
0:31:18darüber reden können von ihm oder so. Ich wurde in der Hinsicht nicht bedroht, aber für mich war das halt irgendwie so normal. Und ich habe ja auch immer danach irgendwas geschenkt bekommen. Das hatte ja irgendwie dann Nutzen für mich. Was war die Konsequenz daraus? Die Konsequenz war leider nicht so das, was ich mir heute gewünscht hätte auf jeden Fall. Also ganz grob, es gab keine Konsequenz. Aber es fing halt damit an, ich wurde halt wie gesagt in dieses Büro gerufen und da war
0:31:50ein männlicher Betreuer und der hat dann erstmal gefragt, er wollte dann erstmal ganz detailliert wissen, was passiert ist, wie, wo, was und hat auch suggestiv Fragen gestellt und das habe ich dann halt alles beantwortet. Und dann eine Stunde später ungefähr wurde der Täter praktisch dazu geholt in dieses Gespräch und dann sollte ich das noch mal erzählen und dann sollte er seine Sicht darlegen. Er hat natürlich gesagt, stimmt nicht und ich habe eine
0:32:16blühende Fantasie und ich denke mir das alles aus. Und dann wurde das so ein bisschen wie so ein Konflikt behandelt. Also so jeder sagt so, was er zu sagen hat. Und ja, er wurde dann halt auf sein Zimmer geschickt. Ich glaube, wir haben später aber trotzdem nochmal Abend gegessen. Und ich weiß noch, dass ich aber nicht allein in meinem Zimmer geschlafen habe, sondern dass ich bei einer deutlich älteren Mitbewohnerin geschlafen habe.
0:32:39Die war so ein bisschen kampferprobt, sage ich mal. Und ich glaube, deswegen haben die mich bei ihr mit ins Zimmer gesteckt, damit er halt nicht einfach wieder da reingeht. Aber im Grunde war das die Konsequenz daraus. Es gab zwar später ein Gerichtsverfahren, das wurde aber, also ungefähr ein Jahr später, also so lange habe ich auch noch mit dieser Person zusammengelebt in der Wohngruppe. Es fanden danach keine Übergriffe mehr statt und es gab wie gesagt diese Gerichtsverhandlung, die wurde aber, also ich war nur ein Punkt, warum diese Gerichtsverhandlung geführt wurde, aber der Hauptpunkt war, weil der ist ja öfter mal ausgerastet und hat Leute in der Wohngruppe geschlagen und deswegen wurde der
0:33:18verurteilt. Und wegen ich war als Punkt da halt auch gelistet, weil die Praktikantin halt eben diesen Bericht schreiben musste und das halt weitergeben musste. Also das war eigentlich der einzige Grund, warum das überhaupt irgendwie vor Gericht gelandet ist, weil sie das halt weitergeben musste. Genau. Und ja, bei der Verhandlung wurde aber dann gesagt, an Mangel, an Beweisen wurde das halt eingestellt. Also er wurde wegen diesem Punkt nie verklagt oder hat keine Strafe bekommen,
0:33:45keine Jugendstrafe, ist dann aber trotzdem in eine geschlossene Unterkunft gekommen, ja weil er wie gesagt diese Probleme hatte, diese Aggressionsprobleme. Warum hat man ihn nicht aus dieser Unterkunft rausgenommen, nachdem er das verstanden hat, was da passiert ist? Also ein Jahr mit seinem Peiniger zusammen zu leben, ich verstehe nicht warum man das... Also die sind doch vom Fach. Ja, das Problem... Also ich weiß, dass das heute gemacht wurde, um halt kein Aufsehen zu erreden.
0:34:12Und der Träger von dieser Unterbringung ist die evangelische Kirche gewesen. Und dass man... Ich vermute, ich kann es natürlich alles nicht beweisen, aber meine Vermutung ist halt, dass man natürlich nicht wollte, dass so was an die Öffentlichkeit kommt und dass das deswegen so gehandhabt wurde, wie das gehandhabt wurde. Ich war auch nicht die einzige Person, ich werde aber nicht über die anderen Personen sprechen, mit der das so gehandhabt wurde und der das so passiert ist. Mit dem gleichen Täter oder anderen Tätern? Also das war gängige Praxis dort und das war jetzt nicht 1980, sondern das war 2007, 8, 9. Also das war tatsächlich Vertuschung im Prinzip. Und dass meins vor Gericht gang lag wie gesagt nur daran, dass diese Praktikantin,
0:34:59die ja dann nicht mehr intern in dieser Gruppe war, das gemeldet hat. Was für Folgen hatte das für die Praktikantin, die das gemeldet hat? Wurde gefeuert. Echt? Ja, die hat auch danach nicht mehr ausgesagt, weil sie wohl bedroht wurde. Hä, was ist das für ein Verein? Ja, das war nicht schön. Krass. Ja. Was hat das mit dir gemacht, emotional, dass dieser Typ, dieser Täter, weiter mit dir zusammen auf einem Stockwerk gewohnt hat?
0:35:31Ich muss sagen, die erste Zeit hatte ich Todesangst. Also, da hatte ich wirklich ... Weil ich ja wusste, wie er sein kann. Und ich hatte einfach Angst. Also, ich hatte einfach die gleiche Angst, die ich hatte, als ich daheim war im Prinzip. Also, danach hat sich mein mentaler Zustand auf jeden Fall auch, der war vorher schon nicht gut.
0:35:50Also jetzt rückblickend gesehen, war ich als Kind auf jeden Fall schon immer sehr sehr auffällig. Aber danach war es dann halt komplett auffällig. Und da ich nie Therapie bekommen habe, also weder als wir aus dem Elternhaus, als ich aus dem Elternhaus, als ich aus dem Elternhaus rausgekommen bin, noch nach dem Übergriff hat sich das natürlich in so einem Kinderkopf immer weiter gesteigert. Und ja. Warum hast du keine Therapie bekommen, weißt du das? Ja, tatsächlich
0:36:15weiß ich das. Da ist nicht die Wohngruppe dran schuld, sondern mein Vater. Der hat einfach diese Anträge dafür, dass ich, also nach dem Übergriff wurden dann Anträge gestellt, dass ich Therapie haben möchte und ich wollte auch immer Therapie, weil das war Spieltherapie und ich mochte Spielzeug und ich wollte halt Spieltherapie, da hatte ich auch Lust drauf, so, auch wenn ich nicht wusste, was Therapie ist. Aber der hat das halt einfach nicht unterschrieben, beziehungsweise nicht
0:36:40genehmigt. Also wegen meinem Vater habe ich eigentlich keine Therapie bekommen. Man muss deinem Vater ja erzählt haben, was passiert ist, weil er ist ja immer noch, er hatte ja immer noch das Sorgerecht für euch. Also über den sexuellen Missbrauch weiß er nichts. Bis heute? Bis heute. Ach krass. Aber hat man ihm erklärt, warum man dir Therapie empfohlen hat? Ja, weil ich halt immer aggressiver werde und irgendwie auffällig und Schlafstörungen habe und teilweise auch Wahnvorstellungen. Und ja, das wurde ihm so gesagt.
0:37:13Würdest du es ihm gerne sagen heute? Ich weiß nicht, was er... Also ich weiß halt, dass er es nicht weiß, weil ich weiß, dass wenn meine Mutter das mitgekriegt hätte, die ja alles in die Wege geleitet hätte, dann wären wir ja da rausgekommen. Wenn das irgendwie rausgekommen wäre, so wie die sich angestrengt hat, dass wir aus dieser Wohngruppe rauskommen, das hätte die ja niemals so stehen lassen. Deshalb weiß ich, dass er es nicht wissen kann.
0:37:37Würdest du es vieles gerne sagen, ja, aber das ist schwierig, darüber zu reden. Wenn du ihm das sagen könntest, ohne es ihm ins Gesicht zu sagen, also wenn er gar nicht mit dabei ist, würdest du die Chance nutzen? Ich glaube, ich würde auch die Chance nutzen, ihm das ins Gesicht zu sagen, aber ich... Also zumindest habe ich das vor, ich habe halt noch einfach noch nicht die Kraft und den Mut dafür aufgebracht, weil wir über all das noch nie geredet haben. Du hattest vorhin erzählt, dass du immer aggressiver geworden bist. Kannst du das ein bisschen erläutern? Inwiefern bist du aggressiv geworden? Bist du dir selbst gegenüber aggressiv geworden?
0:38:17Also ich war immer sehr... Ich war, wie gesagt, immer ein sehr extrovertiertes Kind und immer schon sehr hippelig. Ich hatte aber auch immer arge Probleme damit, wenn ich irgendwie ein Gefühl hatte oder so, was irgendwie zu stark war oder ein negatives Gefühl, dass ich irgendwie nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte. Meine erste Reaktion war dann halt entweder meistens gegen eine Wand zu hauen, meinen Kopf irgendwo gegen zu hauen oder halt auch Leute anzuschreien oder auch andere Leute mal zu schlagen. Das war halt immer als Kind meine erste Reaktion, darauf zu reagieren, weil ich einfach, weil man mir ja keine andere Möglichkeit gezeigt hatte. Wenn ich irgendwas falsch gemacht habe, dann war
0:38:57die Konsequenz, du gehst jetzt in dein Zimmer und hast jetzt eine Woche Hausarrest. Und dann bist du da als Kind allein mit deinen Gedanken und weißt nicht, was du damit anfangen sollst. Warum ist deine Schwester dann nicht mehr bei dir gewesen? Das habe ich noch nicht so ganz verstanden. Also ich bin ja, zu dem Zeitpunkt bin ich ja gerade noch in dem Heim. Und es wurde, wie gesagt, die Symptomatik nach dem Missbrauch wurde bei mir immer, immer schlimmer, so dass es halt auch irgendwann die Wohngruppe nicht mehr ignorieren konnte. Und dann bin ich auch in Psychiatrie
0:39:27gekommen und daraufhin, also da war ich auch drei Wochen, also da habe ich auch nicht viel Erinnerung dran, also das war, da war ich mit zehn Jahren und da hieß es dann, du musst jetzt hier weg. Du musst jetzt von dieser Wohngruppe hier weg. Mir wurde jetzt nicht gesagt warum, einfach, es wäre besser, wenn du jetzt weg bist. Dann habe ich halt gefragt, ja, kommt meine Schwester mit? Und dann hieß es aber nein. Und das habe ich auch verstanden, weil irgendwie wollte ich ja auch nicht weg.
0:39:54Weil das war immerhin das einzige Zuhause, was ich kannte, auch wenn es jetzt dann doch nicht das beste Zuhause war. Aber immerhin dann doch noch irgendwie besser als ganz daheim. Aber ich hatte ja keine Wahl. Also ich musste ja weg. Also das war ja egal, was ich jetzt wollte in dem Moment. Ich muss dich da einmal was fragen. Warum musstest du weg? Wie hat die Wohngruppe darauf reagiert, dass du immer, ich sag mal, intensivere Betreuung gebraucht hast?
0:40:21Ja, eigentlich ja gar nicht. Also wie gesagt, die Therapie habe ich ja nicht bekommen und ich habe halt Konsequenzen bekommen für meinen Handeln, aber mir wurde jetzt nicht mit mir gesprochen oder ich meine der ganze Missbrauch wurde ja auch gar nicht behandelt. Also mir wurde ja gar nicht suggeriert, das ist wieder irgendwas, was ich falsch gemacht habe und ich kriege eine Konsequenz dafür. So, und...
0:40:50so sind die halt immer damit umgegangen. Und irgendwann bin ich halt komplett freigedreht, sag ich mal so, und hab alle meine Spielsachen aus dem Zimmer verbannt, hab das Zimmer komplett leer geräumt, konnte unheimlich schlecht schlafen, also ich konnte nie einschlafen. Ich habe immer Angst vor der Dunkelheit gehabt und habe wirklich sehr, sehr wenig geschlafen in der Zeit und bin auch immer schreiend aufgewacht, weil ich Albträume hatte. Und sie haben es halt
0:41:13symptomatisch dann in dem Moment behandelt, aber viel gemacht wurde da jetzt nicht. Wurdest du weiter ins Gruppengeschehen integriert? Was das letzte halbe Jahr gemacht wurde, bevor ich dann aus dieser Wohngruppe raus sollte und eine neue gefunden wurde für mich, die habe ich mir auch angeguckt, wurde ich komplett aus dem Gruppengeschehen rausgenommen. Also man hat mich praktisch absichtlich ignoriert. Das ist auch in dem Bericht genauso als Erziehungsmaßnahme festgeschrieben worden, damit mir der Abschied nicht so schwer fällt.
0:41:45Was für mich ganz schlimm war, weil ich ja eine sehr mitteilungsbedürftige Person war und dann einfach komplett ignoriert wurde und man es sich ja sich selbst vielleicht auch einfacher machen wollte. Ich wollte dann auch unbedingt da weg, weil ich habe ja dann gar nichts mehr mitgekriegt. Du hast ja auch gar keine Bezugsperson mehr gehabt und auch du konntest dich ja niemandem anvertrauen. Also es ist ja offensichtlich, dass die Chaosvereine versucht haben, dich da einfach rauszukriegen.
0:42:17Das war halt ein Problem. Also so wäre ja dann spätestens irgendwann vielleicht mal rausgebrochen und ich hätte geplappert. Also ich glaube schon, dass da versucht wurde, es sich sehr leicht zu machen. Ich springe jetzt gerade ein bisschen, aber hast du das jemals angezeigt, dieses Verhalten? Geht das? Nein, das geht nicht. Also ich weiß nicht, ob es geht, ehrlich gesagt. Ich glaube, es ist irgendwie Verlet, die zu der Zeit da gelebt haben, die Heimaufsicht kontaktiert haben.
0:42:47Aber das alles wirklich so krass, also dass die Leute da und auch die Kinder dort so krass manipuliert wurden, dass halt sehr viel einfach nicht nach außen getragen wurde, weil halt darauf gepocht wurde, dass bei uns passiert sowas nicht und bei uns passiert das alles nicht. Aber es war schon schlimm dort. Also es war schon nicht okay und die sind mittlerweile alle in Rente, das weiß ich. Und ich habe auch mit ehemaligen Betreuern, es gab auch Betreuer, bei denen das nicht so war, also die mit denen ich sehr positives Verhältnis hatte, aber sobald die irgendwie zu nah an den Kindern waren,
0:43:21emotional wurden die halt aus diesem Team raus gemobbt von dieser einen Gruppe und halt dazu gedrängt in andere Gruppen sich zu verteilen oder aus diesem Heim zu gehen. Du hattest jetzt gerade erzählt, dass man dich isoliert hatte von der restlichen Gruppe. Das heißt also man hat dich auch von deiner Schwester isoliert. Tatsächlich ja. Wie hat sich das angefühlt? Weil sie war ja im Prinzip die einzige Familie, die du hattest. Naja, ich dachte halt, ich wollte ja ihr auch keine Probleme machen. Also für mich war ja dann in dem Moment nicht wichtig, wie ich mich fühle, sondern ich möchte meiner Schwester keine Probleme
0:43:55machen, also mache ich hier jetzt auch mit und es wird schon so richtig sein, wie man mich jetzt behandelt. Und ich wollte ja dann auch weg, weil da war ja niemand mehr, der mich lieb hatte, so in meinem Gefühl und für mich war das dann auch schön, da rauszukommen. Du bist dann, hast du gesagt, in die Psychiatrie gekommen für drei Wochen. Genau. Wie ging es dann noch weiter? Dann wurde halt, das war ungefähr ein halbes Jahr, das kann ich nicht genau so zeitlich einordnen, wurde dann diese neue Wohngruppe gesucht. Das waren drei Stück, hatte ich mir glaube ich angeguckt und bei der dritten, die hat mir
0:44:27dann auch wirklich sehr sehr gut gefallen. Die wollten mich dann auch nehmen und ich wollte da unbedingt hin und da bin ich dann auch recht schnell hingekommen. Hat man in der Psychiatrie erkannt, was denn die eigentliche Problemstellung bei dir ist? Nein, also ich habe ja nicht darüber geredet. Also für mich, also in meinem Kopf war zu dieser Zeit keine Erinnerung an all das, was zu diesem Zeitpunkt passiert ist. Also ich wusste nicht, was passiert ist, deshalb war es für mich kein Problem an der Stelle. Also ich hatte zwar Schlafprobleme und das alles, aber ich konnte das nicht in Verbindung setzen. Also für mich war das alles
0:45:05praktisch so, da war nichts mehr. Also ich konnte mich an nichts mehr erinnern einfach. Du hast ja erzählt, dass du vieles von diesen ganzen Protokollen weißt. Hatte die Psychiatrie kein Anrecht auf diese Protokolle, um zu verstehen, wer du bist und welche Geschichte du mitbringst? Ne, das war tatsächlich sogar so, dass ich ja auf praktisch Andenken von meinen Eltern da reingekommen bin, dass das nicht, also die Wohngruppe wollte mich auch in eine Psychiatrie
0:45:29stecken, aber ich bin wegen meinen Eltern in eine gekommen, bei denen in die Nähe, das konnte mein Vater halt entscheiden, weil er die Gesundheitsfürsorge hatte. Und deshalb bin ich in eine Psychiatrie bei denen in der Nähe gekommen und die haben mich auch da hingebracht. Und dann sollte ich halt lügen. Also ich sollte halt sagen, dass ich bei meiner Familie lebe und dies das. Und das habe ich dann auch gemacht. Das ist dann zwar irgendwie nach zwei Wochen oder so rausgekommen, aber ja, ich habe mich halt nicht geöffnet oder so.
0:45:53Wer hat dir gesagt, du sollst lügen? Meine Mutter. Hatten die Zugriff auf diese Berichte, wenn sie gewollt hätten? Auf welche Berichte? Vom Verein oder bei dem Träger, bei dem du warst die ganze Zeit? Naja, das was sie halt rausgegeben haben. Okay, aber so rein theoretisch... Also so diese Gruppenbuchberichte und so, ich weiß nicht inwieweit mein Vater da Einsicht hatte,
0:46:13aber ich glaube, wenn er es angefordert hätte, halt auf alles was die aufgeschrieben haben. Aber die haben natürlich nicht alles aufgeschrieben. Nur das was ich weiß, sind halt Dokumente vom Jugendamt. Ich habe halt Akteneinsicht beantragt. Viel später. Deshalb weiß ich das alles. Wurde von deiner ersten Wohngruppe das ganze Wissen über diesen Missbrauch an deine zweite Wohngruppe weitergeleitet? Nein, das wurde nicht gemacht. Also es wurde alles von meinen Eltern weitergeleitet. Also alles, was im Elternhaus praktisch passiert ist, wurde weitergeleitet. Aber alles was mit dem
0:46:48Missbrauch innerhalb der Wohngruppe zu tun hatte, wurde nicht an die andere Wohngruppe weitergeleitet, auch nicht in dokumentarischer Form. Also weder, dass es da eine Gerichtsverhandlung gab, also diese ganzen Akten, die vorhanden sind und waren, die wurden nicht weitergegeben an das neue Team in meiner neuen Wohngruppe. Aber die Akten, da hast du doch gerade eben gesagt, lagen auch dem Jugendamt vor. Ja.
0:47:09Hä, wieso haben die das denn nicht weitergereicht? Naja, weil das Einzige, also da stand halt dieser Bericht von der Praktikantin drin, also dass halt die diesen einen Vorfall mitgekriegt hat, aber die wussten ja nicht, dass das noch länger ging und so. Das hatte ich ja, ich habe da ja nie drüber gesprochen. So das war ja, weil, weil dieser eine Vorfall, der wurde vor Gericht und dann kam nix bei raus und dann wurde das halt. Aber wussten die denn über diesen Vorfall Bescheid? Naja, zumindest das, was im Bericht steht, was, was da halt stand, dass es diese Gerichtsverhandlungen gibt. Das stammt schon in der Akte, aber ich weiß jetzt nicht warum das vom Jugendamt nicht weitergeleitet wurde. Aber da stand auch
0:47:49nicht sehr viel in der Akte. Ich habe die ja gesehen. Das war jetzt nicht super aussagekräftig, was da stand. Sagen wir es mal so. Du hast gerade eben erzählt, dass du dann in die dritte Wohngruppe kamst. In die zweite Wohngruppe kamst. In der warst du dann auch zufrieden und glücklich? Das war mein Zuhause. Okay, kannst du uns das näher beschreiben, wie es dir da ging? Das war ein komplettes Kontrastprogramm. Das war so
0:48:16super familiär in dieser Wohngruppe. Da waren Gleichalter, ich war immer noch die jüngste, ich war zehn Jahre alt, aber war immer noch so, da waren auch so 13- jährige, zwölfjährige, auch ältere Jugendliche. Aber die Betreuer waren halt unheimlich herzlich. Also ich wurde, ich hatte viel lockerer, es wurde viel lockerer mit mir umgegangen. Also in der ersten, im ersten Heim war es halt wirklich so, man hatte ganz klare Regeln, wenn man dagegen verstoßen hat, hat man Konsequenzen bekommen. Sehr strikt strukturierten Alltag, was ja auch gewissermaßen gut ist,
0:48:49aber halt es war schon sehr, sehr streng und da war das halt nicht mal ansatzweise so streng. Und die haben auch unheimlich viele Aktivitäten gemacht mit den Kindern, also sowas wie Wandern, Kajak fahren, also ganz viel sportliche Sachen. Das hat mir unheimlich gut gefallen. Und ich habe da halt so, so viel gelernt und so viel Anerkennung. Also eigentlich das erste Mal in meinem Leben Anerkennung für die Person, ich irgendwie bekommen und überhaupt erst mal, das erste Mal in meinem Leben Zugang zu mir selbst bekommen, was ich vorher so gar nie hatte. Also es war halt wirklich das erste Mal normal normal behandelt zu werden, im Prinzip. Hättest du dir gewünscht, dass deine Schwester dann auch dort gewesen wäre?
0:49:32Voll. Ich fand das so, mir hat es ja da so gut gefallen. Ich habe ihr das auch immer erzählt, wir machen das und das. Aber ich habe sie auch verstanden, dass sie da nicht weg will, weil für sie war das halt auch ihr Zuhause. Und ich wollte ja erst auch nicht da weg. Und deshalb war es für mich, ich, klar fand ich es schade, aber ich habe sie
0:49:50verstanden. Wie oft konntet ihr euch da noch sehen? Oft. Also wenn wir uns besuchen wollten, also wenn wir gesagt haben, dass wir uns sehen wollen, dann ging das. Also es war schon so mindestens einmal im Monat. Also natürlich weniger als vorher, wenn man sich gesehen hatte, aber das war schon regelmäßig und war ja auch wichtig. Wie lange warst du dort? Dort war ich bis ich 20 Jahre alt war. Ach krass, das ist doch sehr sehr lange. Ja, sehr lange. Und wie gesagt, das ist einfach mein Zuhause. Also Die haben mich unterstützt in allem, was ich konnte.
0:50:27Ich habe irgendwann auch über den Missbrauch und so geredet. Ich hatte, wie gesagt, bis ich so, ich würde sagen, kurz vor der Pubertät, hatte ich wirklich nicht wirklich eine Erinnerung an das alles. Ich wusste, dass das irgendwie mal passiert war, aber ich war da nicht so connected zu. Und mit der Pubertät kam dann halt die Connection zu all diesem Trauma im Prinzip und natürlich, damit kamen natürlich nochmal neue Probleme.
0:50:54Aber ich habe mit den Betreuern da ganz offen geredet über alles, was da passiert ist und die haben auch, waren natürlich auch ziemlich empört und haben auch überall nachgefragt, aber hatten halt auch nicht so viel Handhabe als Wohngruppe, was sie da machen konnten. Leider auch strafrechtlich nicht, weil es ein bisschen schwierig ist, wenn im Prinzip keine Beweise so richtig vorliegen, aber sie haben es probiert. Auf jeden Fall, weil sie das natürlich auch unerhört fanden, dass dieser Missbrauch nicht weitergegeben wurde. Gab es da bestimmte Trigger, die ausgelöst wurden bei dir, sodass du dann diese Flashbacks hattest?
0:51:27Das ist mittlerweile echt schwer zu beantworten. Also ich kann immer nur so die Pubertät an sich als Trigger setzen, weil das natürlich irgendwie eine anstrengende Zeit war. Man verliebt sich das erste Mal, man trinkt irgendwie das erste Mal Alkohol, man will zu so einer Gruppe gehören und irgendwie hat das alles dafür gesorgt, dass ich ja nicht nur Flashbacks bekommen hat, sondern auf einmal alles wieder wusste. Auf einmal war diese Vergangenheit da und auf einmal waren diese ganzen Gefühle da. Davor war ich irgendwie wie auf Autopilot
0:52:00und da war dann der Autopilot auf einmal aus und ja, ich habe dann mit 11 Jahren angefangen, mich regelmäßiger selbst zu verletzen. Das war so das erste Symptom, dieser Traumata, die rausgebrochen sind. Und das wurde immer schlimmer. Also ich wurde immer kränker, die Selbstverletzungen wurden immer schlimmer. Die Betreuer haben wirklich getan, was sie konnten. Und ich kam dann auch öfter mal in Kinder- und Jugendpsychiatrien.
0:52:33Also einfach, aber das habe ich halt auch gebraucht. Also ich war halt wirklich eine Gefahr für mich selbst. Wenn du sagst, du warst eine Gefahr für dich selbst,st du uns beschreiben, wie gewisse Selbstverletzungen dich beeinflusst haben? Ja, also ich habe ja wie gesagt mit ungefähr elf Jahren angefangen, mich selbst zu verletzen, was immer schlimmer wurde. Und irgendwann musste ich halt bei jeder Selbstverletzung halt in die Notaufnahme und da das fast täglich vorkam, war es halt irgendwann so schlimm, dass es halt
0:53:02lebensbedrohlich wurde. So dass allein die Selbstverletzung, auch wenn ich keine Intention hatte, mich zu töten, halt so schlimm war, dass ich halt operiert werden musste. Das heißt, man musste um dein Leben kämpfen, damit du es schaffst. So schlimm war es dann auch nicht, aber es war schon so, dass ich einmal zumindest notoperiert werden musste, weil sich was entzündet hatte und dann ja, das dann halt ganz schlimm war. Und wie gesagt, ich war zu der Zeit öfter mal in Kinder- und Jugendpsychiatrien, aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich so in dieser Zeit halt auch noch keine Krankheitseinsicht hatte, weil ich das alles ja gar nicht, also immer noch nicht einordnen konnte. Für mich war ich einfach nur irgendwie komisch und keiner kann mir sowieso helfen
0:53:51und ich weiß gar nicht, was das Problem ist. Ja, ich war halt immer noch irgendwie ein Kind und irgendwie hilflos zu der Zeit und wusste halt einfach auch nicht anders damit umzugehen, außer irgendwie mich selbst zu schädigen. Das war halt mein Ventil. Hast du dich selbst verletzt, um dich zu bestrafen oder um dich zu fühlen? Keins von beiden, würde ich sagen, tatsächlich. Also ich habe das angefangen, habe ich damit, um ja schon um irgendwie eine Reaktion von anderen Menschen
0:54:20darauf zu bekommen. Aber das war wirklich so vielleicht das erste halbe Jahr. Und dann irgendwann war ich so süchtig wirklich nach diesem Gefühl, dass da was ist, was irgendwie weh tut, aber was ich ganz klar zuordnen kann, warum es weh tut. Also für mich war das kontrollierbar als alles. Also es war kontrollierbarer als alles, was halt in mir drin war. Und deshalb wurde das so zu einer richtigen Sucht und deshalb musste es auch immer schlimmer werden, weil dann hat das nicht
0:54:49mehr gereicht und also ich habe es irgendwann tatsächlich aus einem reinen Suchtdruck nur noch gemacht. Also nicht mehr um Gefühlen zu entkommen, um starke Gefühle irgendwie Ausdruck zu verleihen, ich habe das dann nur noch gemacht, weil wie der Alkoholiker, der wieder zur Flasche greift, ich brauche das jetzt. Wann hast du der Wohngruppe dann geäußert, was dir denn widerfahren ist? In welchem Alter warst du dann? Das habe ich schon viel viel früher gemacht. Tatsächlich habe ich das mal in so einem Nebensatz einfach erwähitet, weil man das so macht als Erwachsene und deshalb habe ich das so einen Nebensatz erwähnt und die sind natürlich aus allen Wolken
0:55:26gefallen und dann habe ich denen das alles so erzählt. Also das war schon bevor ich so krank war überhaupt wussten die, dass es da Probleme gibt. Und hast du dann auch mit dem Herauskommen des ganzen therapeutisch Unterstützung bekommen außerhalb der stationären Behandlung, die du immer wieder hattest? Ja also tatsächlich also das erste Mal richtig Therapie, so ambulant, hatte ich dann mit 14 Jahren, nachdem ich das erste Mal in der KJP war, hatte ich dann auch sehr lange, bis ich 19 war, hatte ich die, glaube ich, eine ambulante Therapeutin.
0:55:58Wie gesagt, ich hatte sehr lange keine Krankheitseinsicht, also bis ich eigentlich volljährig war, war es für mich so, okay, ich mache das jetzt alles mit, weil die wollen das von mir und irgendwie möchte ich ja auch hier bleiben. Und deswegen habe ich das halt einfach gemacht, aber ich wollte nie so richtig gesund werden zu dem Zeitpunkt. Du hast gerade eben beschrieben, dass du gar nicht verstanden hast, dass all das, was dir passiert ist, eigentlich die Konsequenz war aus dem, was dir in der Vergangenheit widerfahren ist. Wann kam dann der Moment, wo sich das irgendwie zusammengelegt hat und du dieses Verständnis bekommen hast?
0:56:33Mit der Volljährigkeit tatsächlich, also viel, viel später. Also als ich 18 wurde und das war tatsächlich der Moment, wo ich zwei Wochen wegen einer Selbstverletzung auch im Krankenhaus lag, weil jetzt konnte man mich ja nicht mehr in die KJP schicken. Also mache ich jetzt nochmal richtig, weil jetzt kann mich ja keiner mehr, jetzt hält mich ja keiner mehr auf, meinen Suchtdruck auszuleben. Und das war dann aber so schlimm, dass ich dann auch selbst irgendwie gemerkt habe, okay, das ist
0:57:00irgendwie, ist das doch nicht normal und du kannst doch nicht dein Leben lang so weiterleben. Und das war dann eigentlich so die Realisation, dass alles, was ich irgendwie die letzten Jahre gemacht habe, doch irgendwie darauf zurückzuführen ist. Und da hat eigentlich der Heilungsprozess erst so richtig begonnen. Hast du mit deiner Therapeutin dann nochmal darüber gesprochen?
0:57:24Mit meiner Kinder- und Jugendtherapeutin? Mit der habe ich dann nie darüber gesprochen tatsächlich. Also nie so über diese Connection zu dem Trauma und der Selbstverletzung. Da ging es tatsächlich viel um, weil ich war wirklich sehr tief in diesen Krankheiten drin und da ging es halt sehr viel darum, einen normalen Umgang mit mir selbst zu finden und weniger um die Traumata. Wie hast du das dann aufgearbeitet? Aufgearbeitet habe ich das mit nach meiner Ausbildung. Ich habe zu dem Zeitpunkt trotzdem dann meine Ausbildung
0:57:53angefangen, also Schule fertig gemacht, Ausbildung angefangen, Ausbildung abgeschlossen und danach habe ich dann für mich entschieden, da habe ich auch schon nicht mehr in der Wohngruppe gewohnt, dass das irgendwie, weil ich hatte, ich war praktisch drei Jahre komplett krankheitssymptomlos, also in der Zeit der Ausbildung hatte ich nicht ein bisschen Probleme mit irgendeiner mentalen Krankheit, hab halt vieles auch weggedrückt, also ich habe alles dann schon noch mal sehr stark weggedrückt,
0:58:21was so meine Vergangenheit angeht, einfach weil ich durchziehen wollte. Und dann kam es aber auf einmal alles wieder hoch, weil ich eine Prüfung verhauen habe. Und dann kam das alles wieder hoch und dann war mir klar, okay, das wird immer wieder hochkommen, wenn du es nicht angehst und wenn du da nicht aktiv dran arbeitest. Und du wirst dann in der Krankheit versterben, wenn du das nicht tust. Und das war für mich der Moment, wo ich gesagt habe, jetzt gehst du da richtig tief rein. War das dann ambulant oder stationär? Beides. Ich habe angefangen mit einer ambulanten Traumatherapie.
0:58:57Das war allerdings nicht das Richtige, weil die Art von Traumatherapie ein Trauma behandelt hatte und da mein Trauma halt über längeren Zeitraum anhielt und mehrere Faktoren betraf, war das nicht geeignet. Ich habe zur gleichen Zeit, als ich in der Klinik war, schon eine ambulante Therapie gesucht. Das hat natürlich lange gedauert, wie das halt momentan immer lange dauert. Ich habe dann auch eine Therapeutin gefunden, nach einem Jahr habe ich da dann den Platz
0:59:23bekommen. Und mit ihr mache ich bis heute eine ambulante Traumatherapie. Das ist so ein bisschen sehr auf mich abgestimmt und sehr auf mein Trauma abgestimmt. Es gibt verschiedene Trauma-Behandlungsarten und das ist extra praktisch für eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung. Dafür ist halt die Therapieform, die sie macht, angedacht. Und gleichzeitig kann ich halt trotzdem noch an meinem Leben, so mein Leben hier so weiterleben,
0:59:51was mir sehr sehr wichtig ist, weil mir Struktur unheimlich wichtig ist. Und deshalb war das die richtige Entscheidung auf jeden Fall. Hast du mit deiner Schwester dann irgendwann noch mal darüber gesprochen? Noch nie. Steht das auch noch auf deiner To-Do-Liste? Ja, das steht auch noch auf der sehr schweren To-Do-Liste, dass wir mal darüber reden, wenn sie darüber reden möchte, wenn nicht, verstehe ich das.
1:00:14Ja, jetzt sitzen wir ja hier im Podcast und man sieht dich und ich finde, das ist eine unfassbare Stärkung von dir, dass du dich so offen zeigst und da auch so offen drüber sprichst. Die Wahrscheinlichkeit ist ja recht hoch, dass sie das sehen könnte oder auch dein Vater vielleicht. Ja, mein Vater glaube ich nicht, aber ja die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch. Das macht mich auch nervös, aber nicht so nervös. Also weil ich weiß, also meine Schwester liebt mich so oder so und ich
1:00:42sie auch und ich sehe da trotzdem kein Problem da drin, dass wir das nicht, dass sie das nicht genauso okay findet, dass ich darüber rede, wie sie nicht darüber reden möchte. Nee, das würde ich auch gar nicht davon ausgehen. Also ich würde, das ist ja eine unfassbare Stärke, die du mitbringst, dass du ihr das sagst, ohne dass du ihr gegenüber sitzen musst, in Anführungszeichen, um ihr das so zu sagen. Das stimmt, aber ich werde ihr das trotzdem auch noch mal anmerken, dass da was kommt. Ich werde sie auch aktiv darauf hinweisen, dass sie sich das angucken darf, wenn sie das möchte. Okay, kannst du dir das auch bei deinem Vater vorstellen? Ja, ehrlich gesagt schon. Das macht es natürlich schon einfacher, wenn man so darüber redet.
1:01:28Weil mir das unheimlich schwerfallen würde, mich mit ihm zu treffen und offen so darüber zu reden. Weil gar nicht, weil ich eine Entschuldigung von ihm erwarte. Das erwarte ich nicht, weil das kann er nicht entschuldigen. Und das muss ich auch nicht verzeihen. Aber ich habe einfach Angst davor, dass ich mit seiner Reaktion darauf nicht klarkomme. Also wenn er dann eine tiefe Traurigkeit damit empfindet und er selbst starke Schuldgefühle hätte, weiß ich nicht, ob ich das aushalten könnte tatsächlich.
1:01:56Warum? Was kommt da in dir hoch, wenn du dir vorstellst, dass es ihm schwerfällt? Weiß nicht, vielleicht habe ich irgendwie Angst, dass... also mir fällt das, was heißt leicht, darüber zu reden, aber wenn ich... also ich kann mich halt irgendwie in ihn hineinversetzen. Ich weiß, dass vieles, was er getan hat, unheimlich falsch ist und dass das nicht geht und ich würde, wenn ich selbst Kinder hätte, niemals so mit meinen Kindern umgehen und ich bin auch keine Person, die sich in so eine Beziehung stürzen würde, in so eine Abhängigkeit.
1:02:26Aber ich kann ihn verstehen, weil ich dieses Dilemma in so einer Person drin verstehen kann. Ich kann verstehen, dass man sich so stark abhängig von der Person fühlt, dass alles andere egal ist, dass man es selbst aus eigener Kraft nicht daraus schafft. Also ich kann das verstehen und deshalb, das macht es aber auch irgendwie nicht einfacher, weil man irgendwie, irgendwie möchte man ja sauer sein und irgendwie möchte man ja auch seiner Wut, die man berechtigterweise hat, irgendwie Luft machen, aber ich habe das Gefühl, so fällt es mir halt irgendwie schwerer. Wenn du auf dein Leben zurückblickst, was hat dir am meisten geholfen?
1:03:07Also am allermeisten hat mir tatsächlich die Verbindung zu meiner Schwester geholfen und der Wechsel in die andere Wohngruppe. Also es war einfach diese, das erste Mal in meinem Leben bestätigt zu werden, in dem, dass ich gut bin und dass ich Gutes leisten kann und dass, was ich bin, dass das eigentlich was ganz Besonderes ist, das war für mich so, das hat mir unheimlich geholfen zu wachsen und halt auch irgendwie so sehr an mich selbst zu glauben, dass ich es halt auch schaffen wollte. Also ich wollte dann halt auch unbedingt über mich hinaus wachsen und es allen jetzt erst recht zeigen. Man hat mich so lange scheiße behandelt und jetzt zeigt man mir, das war nicht okay, wie du so
1:03:54behandelt wurdest. Und jetzt tue ich alles dafür, dass ich denen zeige, nicht dass ich wegen ihnen, dass es mir wegen ihnen schlecht geht, sondern dass ich trotz ihnen, dass es mir trotz diesen Personen unheimlich gut geht. Was würdest du Menschen empfehlen, die bemerken, dass ein Kind unter Misshandlung oder Vernachlässigung leidet? Das sollte,
1:04:20wenn ihr das seht, wenn ihr das mitbekommt, dann solltet ihr als allererstes Euch direkt an die Polizei wenden. Ich weiß, dass das schwierig sein kann, wenn man vielleicht auch Angst hat, irgendwie seinen Job dadurch zu verlieren, aber denkt mal daran, wie viel ihr diesem Kind nehmt damit, wenn ihr diesem Kind nicht helft in der Situation. Ihr macht so viel mehr kaputt, als nur euren Job zu verlieren in diesem Kind. Und was würdest du Kindern empfehlen, die tatsächlich unter Misshandlung leiden und das aber gar nicht so verstehen? Tatsächlich, auch wenn sie nicht verstehen, was da passiert, halt einfach dieses so sehr,
1:04:59also mitzuteilen, was einem passiert und wie es einem geht und einfach reden. Also tatsächlich einfach ziemlich offen zu sein. Also auch wenn man jetzt vielleicht nicht weiß, dass das was Schlechtes ist, was da, dass es was Schlechtes ist, was da passiert ist, aber dass man halt trotzdem praktisch über das redet, was einem vielleicht an einem Tag so durch den Kopf gegangen ist. Ich glaube, hätte ich mehr auch... Also ich weiß nicht, ob es so
1:05:25gewesen wäre, aber... Wenn jetzt dein siebenjähriges Ich dir gegenüber sitzen würde, was würdest du dem Kind sagen? Schrei! Einfach schreien. Es soll einfach laut sein. Noch viel lauter. Also ich war laut, aber ich war nicht laut genug. Was wünschst du dir für deine persönliche Zukunft? Ich wünsche, dass ich weiterhin so ein gutes Leben führe, wie ich es jetzt führe. Dass ich mich beruflich und persönlich auf jeden Fall noch viel weiterentwickele.
1:06:01Und dass ich es auch schaffe, das insoweit hinter mir zu lassen, dass das vielleicht irgendwann keine Belastung mehr ist. Und ich hoffe, dass ich anderen, die in einer ziemlich ähnlichen Situation sind, in irgendeiner Form helfen kann, indem ich ihnen erzähle, wie ich es daraus geschafft habe. Danke dir, ich finde, du bist eine sehr beeindruckende Persönlichkeit und eine sehr starke Frau. Ich danke dir, dass du uns vertraut hast und deine Geschichte mit uns geteilt hast. Danke schön für dein Vertrauen, wie Charlotte schon sagt.
1:06:34Du hast dich ja aktiv bei uns gemeldet. Du wolltest die Geschichte erzählen, ich musste dich nicht suchen. Und das ist extrem mutig. Sei dir dessen bewusst. Dankeschön für dein Sein und für deinen Mut. Danke, dass ich hier sein durfte und dass ich mich mitteilen durfte. Hier noch eine Anmerkung.
1:06:54Wenn du von den besprochenen Themen betroffen bist oder Unterstützung benötigst, bitte zögere nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hol die Unterstützung bei professionellen Hilfseinrichtungen oder dir vertrauten Personen. Bis zum nächsten Mal bei Von Bohne zu Bohne. Du willst selbst bei uns dabei sein? Dann melde dich auf unserer Website oder unserer Social Media.
Transcribed with Cockatoo
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