Freier Vollzug - kann eine fremde Familie Straftäter verändern? #34 Tobias Merckle
Shownotes
In unserer #34. Folge erzählt Tobias Merckle von seiner einzigartigen Vision eines Strafvollzugs, der echte Veränderung bringt. Als Gründer von Seehaus e.V. und der Hoffnungsträger Stiftung gibt Tobias einen tiefen Einblick in die Projekte, die das deutsche Straf- und Justizsystem revolutionieren können. Während herkömmliche Gefängnisse oft von Gewalt und negativen Subkulturen geprägt sind, zeigt Tobias einen anderen Weg auf: Strafvollzug in freien Formen, in dem Resozialisierung und Opferhilfe im Fokus stehen.
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0:00:00Stell dir vor, du kommst in einen Raum, vor dir sitzt ein Mensch und du hast keine Ahnung, wer das ist. Das passiert mir in jeder Folge bei unserem Podcast von Bohne zu Bohne. Mein Name ist Charlotte und ich weiß vorher nichts über unsere Gäste. Kein Name, keine Information, keine Themen. Also werden meine Fragen auch deine Fragen sein.
0:00:20Ich bin Sanja und ich suche die Gäste. Hier achte ich darauf, dass es Menschen mit spannenden Persönlichkeiten und faszinierenden Erlebnissen sind. Und genau die wollen wir mit euch teilen. Bist du bereit, gemeinsam mit Charlotte neue Geschichten kennenzulernen? Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge.
0:00:43Mein Name ist Charlotte. Mein Name ist Sanja. Mein Name ist Tobias Mörgle und ich bin der Gründer von Seehaus e.V. und der Hoffnungsträger Stiftung. Hallo Tobias, was genau macht eure Stiftung? Also die Stiftung, die Hoffnungsträger Stiftung, da haben wir integratives Wohnen, wo Flüchtlinge und Deutsche zusammen wohnen.
0:01:02Wir bauen bezahlbaren Wohnraum und dann eben immer 50 Prozent Deutsche, 50 Prozent Flüchtlinge. Okay, alles klar. Und womit beschäftigt sich die Seehaus e.V.? Seehaus e.V. hat als einen Schwerpunkt Strafvollzug in freien Firmen als Alternative zum herkömmlichen Jugendstrafvollzug und gleichzeitig sind wir in der Opferhilfe tätig und Präventionsarbeit und bieten verschiedene Programme im Gefängnis an. Okay, das ist jetzt sehr viel, sehr breit gefasst. Über was reden wir jetzt heute genau? Schwerpunktmäßig über CAUS als Strafvollzug
0:01:34in freien Firmen. Okay, dann fragen wir jetzt so, wie bist du dazu gekommen und was musst du genau machen? Wie bin ich dazu gekommen, das Sehwurst zu gründen? Gut, das ist eine lange Geschichte. Ich habe nach der Schule so ein artsoziales Jahr gemacht in Amerika und mit Drogenabhängigen gearbeitet und dann ja besucht im Gefängnis. Und das war für mich so ein Schlüsselerlebnis. Da habe ich gesehen, was Gefängnis bedeutet und habe gedacht, das ist keine Lösung.
0:01:56Nicht für die jungen Männer, aber auch nicht für die Gesellschaft. Irgendwann kommen sie wieder raus und sind wahrscheinlich Krimineller wie vorher und davon hat niemand was. Und als ich zurückgefahren bin, habe ich gedacht, okay, das kann es nicht sein, da muss man was ändern, aber wenn es dabei bleibt, dass man was ändert, ändert sich halt nichts. Und von dem her habe ich mir vorgenommen, eine Alternative zu schaffen zum Stapelzug
0:02:18und wusste dann einfach auch, dass das mein Weg ist und habe mich dann darauf vorbereitet, 13 Jahre lang das Studium, die Arbeit bei Prison Fellowship International und nach 13 Jahren konnte ich dann das CEOS gründen. War das für dich ein Vergleichswett in den USA zu sein mit einem deutschen Gefängnis? Ich stelle mir das ehrlicherweise nochmal ein bisschen harmlos sein Anfangszeichen vor. Das auf jeden Fall. Die Zustände in Amerika sind natürlich katastrophal.
0:02:40In Deutschland gibt es sehr gute Angebote im Gefängnis. Schule, Ausbildung im Jugendschraubenzug, aber auch in den Wachstumsanstalten gibt es sehr viel mehr Angebote als in den USA. Und trotzdem ist immer das Problem die negative Subkultur. Wenn man reinkommt als Jugendlicher oder auch Erwachsener, muss man sich da anpassen, ob man will oder nicht. Und da gilt halt die Macht des Stärkeren.
0:02:58Und da gilt halt der, der am meisten mit seiner Kriminalität praht. Und das ist nie ein gutes Umfeld, um Leute vorzubereiten und leben ohne Straftaten. Was braucht es denn, um am Ende des Tages das aufzubauen, was du heute aufgebaut hast? Du hast gesagt, du hast 13 Jahre dafür gebraucht, um all die Bildung zu erlangen, die es gebraucht hat. Was bedeutet das genau? Zum einen habe ich studiert und durchs Studium, aber vor allem dann auch durch Praktika viele verschiedene Projekte kennengelernt. Das war
0:03:26für mich höchst interessant. Nach dem Studium habe ich auch Projekte in Brasilien besucht. Das war ganz toll, weil ich da gesehen habe, das, was ich mir die ganze Zeit vorgestellt habe und wo ich mich darauf vorbereitet habe, gab es schon. Ich habe ein Gefängnis besucht, das irgendwann geschlossen werden sollte wegen Gewalt. Und wenn in Brasilien mal ein Gefängnis wegen Gewalt geschlossen wird, dann heißt das schon was. Und dann hat eine Gruppe von Ehrenamtlichen aus einer katholischen Leidenorganisation gefragt, ob sie das Gefängnis übernehmen dürfen. Die haben dann die Genehmigung bekommen und haben
0:03:59dann mit den Insassen zusammen ein super Konzept entwickelt und absolut faszinierend. Ich bin da hingekommen, mir ist aufgemacht worden vom freundlichen jungen Mann, der hat uns herumgeführt und nachher sagt jemand, der hat eine Haftstrafe von 105 Jahren und der hat einen Schlüssel von der Außenpforte. Und es gibt keine Beamten, sondern die Sicherheit wird durch die Insassen selber umgesetzt. Es gibt einen gewählten Insassenberater, die bestimmen, wer den Schlüssel hat von den Zellen,
0:04:25wer den Schlüssel hat von der Außenpforte und das ist absolut faszinierend. Ich war jetzt dieses Jahr wieder dort und inzwischen gibt es 69 Abwrackgefängnisse, die eben nach dieser Methode funktionieren und absolut faszinierend. Und auch in den Rückfallquoten sieht man, dass das funktioniert. 15 Prozent im Vergleich zu 80 Prozent staatlichen Gefängnissen. Und von dem her ist meine Hoffnung natürlich, dass das sich weiter ausbreitet. Aber damals gab es mir dann nochmal eine zusätzliche
0:04:54Inspiration und konnte ich auch unheimlich viel davon lernen. Was würdest du sagen, was hast du am meisten für dich mitgenommen? Welche Learnings hast du für dich so mitgenommen, dass du sagst, das will ich nicht selbst den gleichen Fehler machen? Genau, die negativen Learnings. Im normalen Vollzug ist die negative Subkultur. Sobald es eine negative Subkultur gibt, hat man sich keine Chance mehr. Dann kann man noch so gute Angebote machen.
0:05:18Die sind alle gut und richtig. Und im deutschen Strafvollzug gibt es sehr gute Angebote. Aber das Problem ist eben, sobald es eine negative Subkultur gibt, wird vieles davon wieder zerstört und angerissen. Und können sich die Leute, die im Gefängnis sind, gar nicht darauf konzentrieren, ihr Leben zu verändern,
0:05:36weil sie immer mit einem Fuß oder nicht nur mit einem Fuß ganz in der Subkultur drin sind. Und da gelten natürlich andere Normen. Wie kann man denn diese Subkultur aufspalten oder auflösen? Zum einen hängt es zusammen mit der Größe der Einrichtungen. Unsere ehemalige Anstaltsleiter hat immer gesagt, je größer und je geschlossener die Einrichtung, desto mehr Macht hat die Subkultur.
0:05:56Und von dem her ist es wichtig, dass es kleine Einrichtungen gibt. Wir sind auch bei einer Bewegung dabei, Riesgeld, die sich auf europäischer Ebene dafür einsetzt, dass es kleine Hafthäuser gibt und gerade jetzt haben auch die Justizminister der EU- Mitgliedsländer beschlossen oder als Enteilung gegeben, dass es in Zukunft mehr auf kleine Hafthäuser bauen soll. Und das ist der eine Punkt und wir haben ja keine Mauern, keine Gitter.
0:06:26Bei uns ist die Sicherheit nicht über bauliche Sicherheitsmaßnahmen, sondern über Vertrauen, über Verantwortungsübergabe, über Beziehungen. Die meisten von unseren Jungs kennen das gar nicht, dass man ihnen mit Vertrauen entgegenkommt. Von dem her ist das an sich eine viel größere Hürde wie irgendwelche Mauern. Gibt es einen Personenkreis, die davon ausgeschlossen sind,
0:06:46dass sie jemals hier wohnen dürfen? Sexualstraftäter nehmen wir nicht auf, weil wir die Jungs aufnehmen in Familien. Immer bis zu sieben Jungs wohnen mit einer Mitarbeiterfamilie zusammen, weil viele von ihnen kein funktionierendes Familienleben kennen. Was bedeutet das? Die Hauseltern haben ihre eigene Wohnung, wo sie am freien Wochenende oder freien Tag sich auch zurückziehen können, aber sonst ist es ein Lebensmittelpunkt in der Wohngemeinschaft und so nehmen sie eben zu ihren
0:07:12eigenen Kindern dazu fünf oder sieben ältere Brüder auf, was eine wahnsinns Herausforderung ist, aber eine unheimliche Chance, dass die Jungs merken, ich bin auch noch mit einer Familie, auch noch mit einer Lebensgemeinschaft und es ist eine völlig andere Atmosphäre allein dadurch, dass Kinder dabei sind. Die Kinder sind an sich unseren besten Erzieher, weil die Jungs wissen ganz genau, wenn ich hier mit Schimpfwörtern um mich schmeiße, plappern die Kinder das nach.
0:07:33Und so übernehmen sie auch Verantwortung und verstehen auch, weil wir gewisse Regeln haben und lernen so eben nochmal ein ganz neues Lebenskonzept kennen. Das heißt also, bestehende Familien nehmen Sträflinge im Prinzip mit auf? Genau, also die wohnen bei uns, also wir haben bei uns drei Wohngemeinschaften und im Anschluss jeweils die Haushälterwohnung, die ziehen dann hierher und nehmen dann in ihre eigene Familie fünf oder sieben Jugendliche auf.
0:08:01Ach verrückt. Und gibt es da so was wie ein Vorlagengespräch, dass man schaut, dass die Familien sich miteinander mit den jeweiligen Personen versteht? Oder wie schafft man, dass da eine Gemeinschaft entsteht? Gut, die kennen sich vorher nicht. Die Irmina Abrell, das ist die Leiterin vom Strafvollzug in Vrenenform, geht jede Woche nach Adelsheim, das ist unsere Jugendanstalt, Vorstellungsgespräche, spricht jeden Neuen an und guckt dann, wer kommt in Frage und die kann natürlich auch gut einschätzen, wer passt zu welcher Familie und zu welcher Gruppe. Kann die Familie auch äußern, welche Charaktereigenschaften oder ähnliche Dinge eine
0:08:38Person haben soll, die in die Familie eintritt? Gut, die sind nicht so wählerisch. Sie sind prinzipiell, haben so die Einstellung, dass sie jedem eine Chance geben wollen und von dem her sind sie da sehr offen. Okay, weil also ich kann mir vorstellen, nehmen wir jetzt mal an, ich hätte eine Familie und ich würde ein Kind haben, was recht schwierig ist. Es ist recht laut, es ist keiner, ich nenne es jetzt mal böse anstrengend, dann kann sich ja keine Person aufgreifen, die letztendlich vielleicht ja sehr wusig ist in seinem Wesen oder eben recht laut spricht.
0:09:09Das kann ja dann eben auch negativ oder nachteilig sein? Ja, also es ist immer spannend hier, es wird nie langweilig mit den Jungs und es ist für die Kinder natürlich auch eine Herausforderung, eben ihre Eltern zu teilen, aber andererseits ist es nie langweilig und es ist immer was los und so ist es auch für die Kinder eine Bereicherung. Haben die Eltern eine Sozialarbeiterausbildung oder Schulung oder ähnliche? Im Normalfall schon, aber muss nicht unbedingt sein. Wir haben uns, der Charakter und die Persönlichkeit viel wichtiger. Und manche machen dann nebenher noch ihren Sozialwiederholungsabschluss.
0:09:45Manche bringen das schon mit. Wie ist denn das rein rechtlich? Gibt es da oder gibt es da Barrieren oder Grenzen, wo man sagt, die müssen ja eigentlich in der geschlossenen Anstalt sein. Das hier ist aber keine geschlossene Anstalt. Wie klärt ihr das?
0:09:57Wie regelt ihr das? Wir sind Jugendstrafvollzug in freien Formen. Das heißt, die dritte Form von Strafvollzug. Es gibt den geschlossenen Vollzug, den offenen Vollzug und wir sind zwischendrin. Strafvollzug in freien Formen. Das war an sich vom Gesetz her schon seit 1953 möglich, wurde aber nie umgesetzt. Da war Baden-Württemberg das erste Bundesland, das das dann umgesetzt
0:10:19hat und so konnten wir 2003 beginnen, eben Strafvollzug in freien Formen, dürfen freien Träger umzusetzen. Was bedeutet das genau? Die Jungs können sich bewerben eben aus dem normalen Strafvollzug, sind dann die gesamte Haftzeit bei uns. Wir nehmen sie auf in der Familien und gleichzeitig haben sie einen sehr durchstufierten Tagesablauf von 5.45 Uhr angefangen mit Frühsport bis abends 10 ist volles Programm.
0:10:44Also Frühsport, dann eine Zeit der Stille, dann nach dem Frühstück Hausputz, jeder hat seinen Dienst. Dann um 8 Uhr haben wir einen Impuls für den Tag, wo alle Mitarbeiter und Jungs zusammenkommen und einer einen Gedanken als Mutter für den Tag gibt. Und dann von 8 Uhr 15 Uhr eine Schule oder Ausbildung. Die meisten haben keinen Schulabschluss und so haben wir eine einjährige Berufsfachschule und können die Jungs das erste Lehrjahr machen in Bau, Holz, Metall, Garten- und Landschaftsbau.
0:11:11Und da bilden wir aus in der Praxis anhand von Kundenaufträgen und gleichzeitig machen wir den schulischen Anteil, sodass sie dann das erste Lehrjahr eben machen können und damit einhergehen auch den Hauptschulabschluss. Und dann abends geht es weiter. Nach der Arbeit 17.15 Uhr sind hilfreiche Hinweise, wo sie sich gegenseitig auch konfrontieren oder sagen, was nicht gut gelaufen ist. Und dann gibt es eine zweite Runde, wo sie sich gegenseitig loben und sagen, was gut gelaufen ist.
0:11:41Und beides ist für sie ein wahnsinniges Lernfeld. Bisher gab es auf Kritik nur eine Antwort, die Faust. Und Kritik zu üben, um anderen zu helfen, ist ein ganz neues Konzept. Und gleich sie loben, gelobt zu werden, kennen viele gar nicht. Und es ist wichtig, dass sie einfach sich selber und auch andere reflektieren können. Genau, abends nach dem Abendessen tun wir Nachrichten angucken.
0:12:02Und sonst ist abends immer noch ein anderes Programm. Und so ist eben von 5.45 bis 10 voll durchgetaktet. In welchem Alter sind denn die Sträflinge bei euch im Durchschnitt? Also theoretisch zwischen 14 und 24. In Sachsen ist das Stapelzugsgesetz geändert worden. Da haben wir eine zweite Einrichtung.
0:12:20Dort können wir auch bis zu 27-Jährige aufnehmen. Okay und im Durchschnitt was würdest du sagen, was ist die häufigste Altersspanne, die ihr da habt? So die meisten sind so zwischen 17 und 21, 22. Okay, du hast jetzt vorhin von dem, ich nenne es mal Beispiel in Brasilien gesprochen, bei dem letztendlich selbst der Pförtner ein Gefangener ist und entscheidet, wer rein und wer rauskommt. Jetzt hast du das so ein bisschen berichtet, da fehlt mir jetzt noch so ein bisschen der Anhaltspunkt, wo strukturieren sich die
0:12:52Insassen selbst und wo greift ihr ein? Zum einen ist die Tagesstruktur von uns vorgegeben, aber sonst haben die Jungs unheimlich viel Verantwortung. Zum einen, wenn ein Neuer kommt, erklären nicht wir als Mitarbeiter die Regeln, das geht dann ganz schnell in ein Ohr rein und ins andere noch schneller raus. Aber wenn ein anderer Jugendlicher Ihnen das erklärt, da hören sie zu. Weil sie wollen erst mal zur Gruppe der Jugendlichen dazugehören und von dem her hat ein anderer Jugendlicher die
0:13:19Verantwortung, ihn einzuweisen, ihm zu sagen, was die Regeln sind, was man machen kann, was nicht. Und gleichzeitig bei den hilfreichen Hinweisen, also die Reflexionsrunde abends wird von einem von den Jungs selber geleitet und wir haben so Seehausrunden, also Gesprächsgruppen, wo es dann darum geht, Gewalt und Suchterfahrung aufzuarbeiten und auch die wird vom Gruppenleiter an den Jungs geleitet. Und so haben sie eben im Alltag sehr viel Verantwortung. Okay. Ist das denn letztendlich auch so, dass die Rückfallquote eine geringere ist?
0:13:53Konntet ihr das schon feststellen? Sie ist geringer. 75 Prozent bei uns schaffen es, dass sie nicht wieder inhaftiert worden. Okay, warum spezialisiert ihr euch auf junge Erwachsene? Warum geht die Altersrange nicht höher? Zum einen vom Gesetz her, es sind eben Jugendstrafe in freien Formen hier in Baden-Württemberg und dann geht es eben nur bis 24. In Sachsen haben wir auch so angefangen, dann hat sich das Gesetz noch mal geändert für Erwachsene und so können wir bis 27-Jährige aufnehmen und
0:14:24es gibt zwei andere Einrichtungen, eine für Männer, eine für Frauen, die auch rein Erwachsene aufnimmt. Im Prinzip hoffen wir, dass die Schule macht. In Berlin und NRW ist auch ein Koalitionsvertrag drin, und dass auch andere Bundesländer nachziehen und es noch ganz viele Strafvollzüge in freien Firmen gibt, sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene, sowohl für Männer als auch für Frauen. Was würdest du sagen, ist der Grund, warum das noch nicht so populär ist in Deutschland? Es braucht einen Justizminister, der nicht im
0:14:52Vierjahresrhythmus denkt, weil erstmal gibt es immer nur Widerstand. Niemand will Strafe legen in der Nachbarschaft und von dem her ist das ein sehr schwieriger Start und von dem her muss der Minister schon dahinter stehen und eben langfristig denken und inhaltlich eben auch das befürworten. Gleichzeitig muss er auch den Finanzminister überzeugen, weil erstmal kostet es mehr Geld, aber mittel- und langfristig rechnet sich das sehr schnell für jeden, der nicht mehr oder weniger straflich wird.
0:15:19Warum nehmt ihr denn nur junge Männer an und keine Frauen? Also hier im Seehaus? Es gibt nur 5% weibliche Jugendstrafgefängnisse, von dem her steht der Bedarf zum Glück nicht so groß. Für die paar wenigen ist es sehr schade, dass es so eine Möglichkeit bisher nicht gibt. Wir hoffen, dass es in der Zukunft auch da Möglichkeiten gibt. Hattest du auch schon mal einen Jugendlichen in deiner Familie oder einen jungen Mann in deiner Familie aufgenommen? Ich selber habe keine Familie. Ich wohne hier auch auf dem Gelände und esse abwechslend in den Wohngemeinschaften mit.
0:15:50Und auch abends und am Wochenende bin ich oft in den Wohngemeinschaften, sodass ich auch viel Kontakt mit den Jungs habe. Ist es möglich, dass wenn ein junger Mann entlassen wird von hier, allerdings wieder strafrechtlich auffällig wird, dass er wieder hierher kommt? Im Normalfall nicht. Er hat seine Chance gehabt und wir begleiten ihn weiter, sowohl draußen, als auch wenn er dann wieder inhaftiert wird.
0:16:15Aber dass er hierher zurückkommen kann, geht im Normalfall nicht. Die Mitarbeitenden, haben die denn alle eine sozialpädagogische Ausbildung oder Ähnliches genossen? Wir haben sehr bunten Mitarbeiterstamm. Zum einen haben wir die Hauseltern, dann haben wir Sozialpädagogen. In jeder Wohngemeinschaft ist eine Sozialpädagoge zugeordnet. Dann haben wir die Meister und Ausbilder, die eben die berufliche Ausbildung machen.
0:16:35Und Lehrer, Sportlehrer, von dem her eine sehr bunte Mischung. Ist es damit auch möglich, letztendlich, wenn man ehemaliger Bewohner von hier war, seine Lehre zu Beginn, dann letztendlich hier als betreuende Person einzusteigen? Das wäre auf jeden Fall möglich, war bisher noch nicht der Fall, aber ist möglich. Wie reagieren die jungen Männer, wenn sie hierher kommen und diese ganz neue Struktur kennenlernen, die sie ja vorher noch gar nicht kannten? Es ist für sie eine völlig andere Welt und sie kommen
0:17:11hierher und die Tür zur Wohngemeinschaft geht auf und kommt keinem Kind entgegen und fragt, ob es mit wem spielen will. Das sind sie überhaupt nicht gewöhnt. Es ist eine völlige Umstellung vom Tagesablauf her, von der Sprache, von den Regeln, von allem. Das ist schon wahnsinnig anstrengend, wahnsinnig Stress für die Jungs.
0:17:33Es ist auch sehr unterschiedlich, wie sie damit umgehen. Manche sind sehr dankbar, für manche ist das viel zu stressig. Wer denkt, er könnte hier chillen, der wird erleben, dass es hier nur sehr wenig Raum dafür gibt. Und so ist sehr unterschiedlich, wie die Jungs damit umgehen, auch im Verlauf der Zeit. Es gibt immer Punkte, auch wo sie an den Punkt kommen, mir ist hier zu stressig und eigentlich will ich das gar nicht. Und ja, da müssen sie lernen, eben auch damit umzugehen und sich durchzubrechen und dann vorwärts zu gehen. Wie lange bleiben denn die Familie im Durchschnitt hier? Die Familien sind, ja, je nachdem zwischen drei und zehn Jahren hier. Wenn die Kinder in ein ähnliches Alter kommen, dann wird es schwierig.
0:18:18Von dem her ist es dann sinnvoller, wenn sie woanders arbeiten, bei uns oder extern. Warum wird es dann schwierig? Gut, wenn es Mädchen sind und sie sind im ähnlichen Alter, dann ist es sowieso schwierig. Wenn es Jungs sind, dann kann es auch eher eine Konkurrenzsituation werden. Von dem her ist es schwierig. Habt ihr denn die Kinder auch mal befragt, die mittlerweile erwachsen sind,
0:18:42wie das war, in dieser Anstalt aufzuwachsen? Ja, also wir haben eine ehemalige Hauselternfamilie, die haben dann hier auf dem Gelände weiter gewohnt, aber in einer anderen Funktion. Da haben die Kinder jahrelang noch gefragt, wann kriegen wir dann wieder Jungs. Uns ist langweilig, obwohl es auch drei Kinder waren. Die erste ist zurzeit hier und macht ihr Anerkennungsjahr.
0:19:07Von dem her ist sie weiterhin sehr überzeugt davon. Sie hat alles mitgenommen. Sie ist hier geboren und war hier im Kindergarten. Wir haben einen Wald- und Tierkindergarten bei uns auf dem Gelände und war eben in der Hauselternfamilie. Setzt ihr denn auch qualitative Studien um, um letztendlich auch zu überprüfen, in einem gewissen Zeitraum, wie die Kinder sich damit verhalten und wie sie sich entwickeln? In Bezug auf die Kinder haben wir noch
0:19:32keine Studien. Das wäre noch eine gute Idee. Du hattest vorhin gesagt, dass Kosten in einer Einrichtung wie dieser hier höher sind. Woran liegt das? Wir haben mehr Personalaufwand, sehr personalintensiv. Von dem her sind die Kosten auch höher, auch weil in der Berechnung im Vollzug die Baukosten nicht dabei sind. Aber das rechnet sich dann sehr schnell.
0:19:57Wir haben ähnliche Sätze wie in der Jugendhilfe und kriegen ein Tages- und öffentliches Schutzministerium. Bekommen denn letztendlich die Eltern auch Geld für das, was sie hier tun? Im Normalfall ist ein Haushaltsunternehmer angestellt und der andere macht es ehrenamtlich und kann auch außerhalb oder bei uns noch zusätzlich eine andere Arbeit aufnehmen. Die Wohnungen, die Sie letztendlich haben, müssen Sie dafür auch Geld bezahlen? Da zahlen Sie Miete, das müssen wir steuerrechtlich auch so machen, aber eine vergünstigte Miete.
0:20:27Dürfen die jungen Männer hier Besuch empfangen von ihren Eltern oder Freunden? Jede zweite Woche können die Eltern zu Besuch kommen und wir haben so ein Stufensystem, wo sie dann mal aufstehen können und je nach Stufe kriegen sie dann mehr Besuch oder in den letzten Stufen können sie dann nach Raus das Gelände verlassen oder in der höchsten Stufe dann einmal im Monat auf Heimfahrt gehen. Seit der Umsetzung des ganzen Projekts, was hat dich am meisten berührt? Wie viel Zeit haben wir? Da gibt es sehr viel zu erzählen.
0:20:57Es ist einmal toll, Teil vom Leben der Jungs zu sein und sie zu unterstützen dabei, dass sie ihr Leben verändern und es ist dann auch schön zu sehen, wie sie sich weiterentwickeln. Wir haben mit allermeisten noch Kontakt und die Die ersten sind seit 20 Jahren draußen und es ist toll, den Lebensweg weiter zu verfolgen. Inwiefern pflegt ihr den Kontakt? Wir nehmen die Jungs ja auf in Familien und sie sind sozusagen Familienmitglied.
0:21:26Einmal Familienmitglied, immer Familienmitglied. Von dem her wissen auch die Jungs, sie dürfen immer auf uns zukommen. Wir haben verschiedene Formen der Nachsorge, die wir anbieten, dass sie in Familien mitwohnen, dass sie Einzelbetreuung kriegen. Aber vor allem ist ja hier eine Freundschaft auch entstanden. Und so kommen sie immer wieder vorbei oder wir besuchen sie. Und sie dürfen eben auch wissen, auch bei Problemen dürfen sie wiederkommen. Und so verstehen wir uns auch als lebenslanges Begleiten.
0:21:56Was würdest du sagen, war die größte Herausforderung, der du bisher gestellt warst? Es gab von Anfang an viele Herausforderungen, zum einen so ein Projekt anzufangen, eben die Nachbarschaft zu überzeugen, im Vorfeld zu überzeugen, ist schwierig. Erstmal gibt es eben sehr viel Widerstand, auch verständlich. Und wenn man dann aber anfängt, dann sehen die Leute, es ist doch nicht so, wie sie sich es vorgestellt haben. Die Jungs streuen nicht durch die Gegenden, machen die Gegenden unsicher, sondern sie haben eben ganz klare Strukturen, ganz klare Regeln und wenn die Leute bei uns
0:22:27übers Gelände laufen, wissen sie gar nichts mehr. Ich bin hier Jugendlicher, WRS-Mitarbeiter und werde von allen freundlich begrüßt und wir gehen ja auch raus. Die Jungs machen auch begleitete gemeinnützige Arbeit oder wir machen ja die Außenaufträge und so sehen die Leute auch, hey, das sind ja Menschen, die haben in der Vergangenheit Straftaten begangen, haben Schuldaufsicht geladen, aber die haben auch Gaben, haben Fähigkeiten, die sie für sich und für andere nutzen können. Gibt es so etwas wie Tag der offenen Tür für die letztendlichen Bewohner im Umkreis?
0:22:58Einmal im Jahr haben wir Seehoes-Fest, wo dann alle zu Besuch kommen können und das miterleben können. Das Höhepunkt ist auch das Theaterstück der Jungs immer. Aber auch sonst kann man bei uns übers Gelände laufen. Wir haben ja keine Mauern, so kann jeder durchlaufen. Und wir haben auch viele Veranstaltungen, wo Leute dann zu uns kommen. Wir haben auch eine Akademie, wo wir ehrenamtliche und hauptamtliche Schulen in Bereichen Opferhilfe,
0:23:25strafwillige Hilfe, restorative Justice, also wie du gutmachende Gerechtigkeit. Das ist auch ein ganz großer Schwerpunkt bei uns, dass man die Opferperspektive viel mehr sieht. Was meinst du damit genau? Bei uns im Strafrecht geht es an sich nur Täter gegen Staat. Das Opfer spielt überhaupt keine Rolle. Das kann er als Nebenkläger auftragen oder natürlich als Zeuge.
0:23:45Aber als Zeuge wird es oft noch mal kramatisiert, weil es soll ja vom Anwalt als Täter oft als unglaubwürdig dargestellt werden. Und so dient es überhaupt nicht der Heilung betenden Opfern. Und eigentlich müsste da ein ganz anderes Fokus sein. An sich müsste das Opfer, die Opferinteressen, die Opferbedürfnisse im Mittelpunkt sein
0:24:04und müsste man gucken, was kann der Täter tun, wie kann er Verantwortung übernehmen, weil in Haft zu kommen hat ja mit der aktiven Verantwortungsübernahme rein gar nichts zu tun. Von dem her wäre es viel sinnvoller, wenn Opfer und Täter mit dem Mitglied der Gesellschaft zusammenkommen, den Täter-Opfer ausgleichen, Gespräch machen, um zu gucken, wie kann der Täter Verantwortung übernehmen, damit es dem Opfer wieder besser geht, damit Heilung passieren kann und was kann er zur Wiedergutmachung leisten.
0:24:33Hast du da ein plastisches Beispiel für uns? Zum einen gibt es eben den Täter-Opfer-Ausgleich, das ist fest verankert bei uns im Gesetz, wird auch umgesetzt, aber leider hauptsächlich im Wackertalbereich. Und vom Gesetz her kann das bei jeder Straftat angewendet werden, oder bei fast allen. Und auch bei Mord mit den Angehörigen oder bei Totschlag, versuchter Totschlag. Und gerade, es gibt Studien international, die sagen, je schwerer eine Straftat, desto mehr haben die Opfer das Bedürfnis,
0:25:05sich mit dem Täter zu treffen und Fragen zu stellen. Wie kam es dazu? Warum hat es mich getroffen? Was geht da in deinem Kopf vor? Und sie möchten auch hören, bereut es der Täter wirklich? Und wird er es wieder tun? Wird es wieder mich treffen? Wird es jemand anderes treffen? Und das sind alles Fragen, die sie bei Gericht nicht losordnen können. Und so ist ganz wichtig, eben, dass da ein Umdenken stattfindet,
0:25:25dass der Schwerpunkt eben auf den Bedürfnissen vom Opfer ist, dass sie einerseits und andererseits auch das Opfer Hilde kriegen, dass sie Unterstützung kriegen. In guter Hälfte der Bundesländer gibt es finanzierte Opferberatungsstellen vom Justizministerium. In Baden-Württemberg zum Beispiel noch nicht und das ist dramatisch, weil die Opfer haben oft niemanden, mit dem sie darüber sprechen können. Es gibt den Ways and Rings als Erstansprechpartner, aber die vermitteln dann den Opferberatungsstellen, um es aufzuarbeiten, wenn es dies denn gibt. Aber jetzt in Baden-Württemberg gibt es eben keine. Wir haben jetzt welche aufgebaut und so können die Opfer dann eben
0:26:06im Gespräch das aufarbeiten und dann auch verarbeiten. Und wenn sie eben niemand haben, dann verselbstständigt sich das Trauma oft und dann sind sie nicht mehr arbeitsfähig, dann werden sie völlig aus der Bahn geschmissen. Und das ist ja für sie schlimm, für ihr Umfeld schlimm, aber auch für die Gesellschaft schlimm. Von dem her ist auch da wichtig, dass wir da viel mehr investieren, um Opfern zu helfen. Das heißt also, ihr initiiert mitunter den Kontakt, sodass dann da der Austausch entsteht? Genau, wir haben zum einen für die Jungs
0:26:39Vorbereitungskurse, Opfer-Empathietraining und dann haben wir ein Programm Opfer und Täter im Gespräch, wo zunächst unbeteiligte Opfer und Täter zusammenkommen und das ist für viele Opfer einfach wahnsinnig hilfreich, dass sie ihre ganze Leidensgeschichte loswerden können, einen Täter an den Kopf werfen können, selbst wenn es nicht der eigene Täter ist. Und für die Täter auf der anderen Seite ist es auch zum ersten Mal, dass sie sich wirklich bewusst machen, was eine Straftat im Leben vom Opfer bedeutet, dass sie ihr Haus verkaufen mussten, weil sie
0:27:05nicht mehr drin wohnen konnten oder auch 20 Jahre später nicht mehr durchschlafen können. Das machen sich die Jungs ja gar nicht bewusst. Wenn man dann aber fünf oder sechs Opfern gegenüber sitzt. Das geht unter die Haut und das macht dann auch was mit ihnen. Und dann entsteht auch bei vielen der Jungs der Wunsch, sich mit einem direkten Opfer zu treffen, wo dann direkt der Täter-Opfer-Ausgleich stattfinden kann. Bietet ihr in diesem Zuge auch psychologische Unterstützung an?
0:27:30Ja, wir haben die Opfer- und Trauma-Berater, die da psychologische Unterstützung anbieten. Du hast jetzt sehr viel vom Seehaus gesprochen, aber du hattest auch das Hoffnungshaus erwähnt mit den Wohngemeinschaften, wo Deutsche mit Geflüchteten wohnen. Magst du darüber noch ein bisschen sprechen? Genau, ich habe noch die Hoffnungszeiger Stiftung gegründet und damit stellen wir Wohnraum zur Verfügung, integrativen Wohnraum, wo Flüchtlinge und Deutsche
0:27:59zusammen wohnen. Oft ist das Problem, die Flüchtlinge wohnen mitten im Ort, haben aber keinerlei Kontakt zu Deutschen. Und wenn man 200 Menschen zusammensperrt, die alle die Sprache noch nicht können, gar nicht arbeiten dürfen, keine Perspektive haben, da muss man sich nicht wundern, dass es mal knallt. Und das sind keine idealen Voraussetzungen für Integration, wenn gar keine Begegnung stattfindet mit Deutschen. Und von dem her haben wir gesagt, möchten wir eben den integrativen Wohnraum schaffen, sodass aus Fremden Freunde werden können. Und das Prinzip ist immer 50 Prozent Deutsche, 50 Prozent Flüchtlinge,
0:28:32die dann zusammen wohnen, zusammen den Alltag gestalten und einfach Leben teilen, füreinander da sein. Und das ist faszinierend, wie gut das funktioniert. Und das haben wir hier in Lehrenberg auch angefangen und haben dann überlegt, wie können wir das multiplizierbar machen. Und haben ein Hauskonzept entwickelt, dass man sehr schnell, sehr kostengünstig in Holzmodulbauweise aufbauen kann. Und so haben wir inzwischen 32 Häuser gebaut an zehn Standorten, bisher alle in Baden-Württemberg. Wir hoffen, dass das auch in
0:29:01andere Bundesländer kommt und dass das auch Schule macht, weil wir müssen daraus lernen, dass wir keine Ghettos schaffen dürfen. Auch Minighettos. Wir müssen Begegnungsräume schaffen. Nur dann kann Integration gelingen. Das ist ja zurzeit ein riesen Problem, dass eben Integration oft nicht gelingt. Und so müssen wir eben umdenken, dass auch hier eben Begegnung stattfinden kann und so Integration viel besser möglich ist. Ist dieses Prinzip ähnlich aufgebaut, wie du es vorhin geschildert hast? Das heißt im Prinzip von Familien, die zusammenwohnen oder wie können wir uns das vorstellen? Also jeder hat seine eigene Wohnung, aber man begegnet sich. Die Häuser sind immer
0:29:42darauf ausgerichtet, auf Begegnung. Es gibt in jedem Standort einen Gemeinschaftsraum und wir haben geschwungene Balkone und die sind gegenseitig geschwungen, so dass man sich auch von unten nach oben unterhalten kann. Es ist alles auf Begegnung ausgerichtet. Und es gibt pro Standort eine Standortleitung und Sozialpädagogen, die den ganzen Prozess begleiten und dann auch Formate reinbringen, so dass eben wirklich Begegnung stattfindet. Und dann ist eben auch nicht mehr die tollen Deutschen helfen den armen Flüchtlingen, sondern man hilft sich
0:30:13gegenseitig, man ist füreinander da und gibt eben eine tolle Gemeinschaft. Wie kann man denn Teil des Ganzen werden? Man kann sich einfach bewerben, dass man dort mitwohnt und wir haben die Wohnungen und da ziehen Leute ein, die bewusst eben Leben teilen wollen und andere teilhaben lassen wollen in ihrem Leben oder als Standortleiter oder Sozialbürger oder FSHler kann man sich einbringen und so gibt es viele Möglichkeiten und wir hoffen natürlich eben auch, dass andere das Nachahmen, dass Kommunen, dass
0:30:45Bundesländer, dass der Bund auch sieht, es ist viel sinnvoller, in integrative Wohnformen zu investieren, wie Flüchtlingsunterkünfte, wo Flüchtlinge nur unter sich sind. Und wie können Geflüchtete dazu stoßen? Die können sich auch bewerben. Wir gehen in die Flüchtlingsunterkünfte und arbeiten auch mit anderen zusammen, die in den Unterkünften arbeiten, sodass die auch jemandem empfehlen können.
0:31:11Okay. Gibt es da auch Grenzen, die ihr setzt? Also muss jemand im Prinzip zum Beispiel einmal straffrei sein? Oder gibt es da Grenzen zu sagen, wir können nur so und so viele Familien mit der und der Größe annehmen? Also wir haben ja nur bestimmten Wohnraum zur Verfügung und da muss passen. Wir nehmen hauptsächlich Familien auf, aber haben normalerweise pro Standort auch jeweils eine Wohngemeinschaft für Frauen und eine für Männer, für Einzelstehende. Uns ist wichtig eine bunte Mischung zu schaffen, dass man nicht eine Gruppierung überwiegt, weil dann formiert sich gleich wieder eine Subkultur.
0:31:46Aber wenn alle aus unterschiedlichen Ländern kommen, dann können sie sich auch untereinander nur auf Deutsch verständigen und so lernen sie viel schneller Deutsch im Gespräch untereinander, im Gespräch mit den Deutschen und so die bunte Mischung macht es. Seit wann macht ihr das? Seit elf Jahren jetzt. Okay, mit der Flüchtlingskrise kam dann im Prinzip die Umsetzung?
0:32:07Genau, das war auch die Initiative eben, wie der Syrienkrieg angefangen hat, habe ich mit einer Freundin aus Syrien telefoniert und danach bin ich überhaupt erst ins Nachdenken gekommen, was würde jetzt passieren, wenn sie hier ankommen würde. Und ja, ich war davor noch nicht in einer Flüchtlingskunft, aber was ich so gehört habe, habe ich gedacht, ich möchte nicht, dass meine Freunde hier so willkommen oder eben gerade nicht willkommen geheißen werden. Und so haben wir dann überlegt, okay, wie kann man da was verändern.
0:32:38Es gab auch damals schon sehr viele sehr gute Initiativen im Flüchtlingsbereich, aber ich habe eben nichts gefunden, wo auch das Wohnen dabei war und vor allem integratives Wohnen. Und von dem her haben wir das dann angefangen. Gibt es eine Obergrenze, wie lang jeweils die Parteien innerhalb der Wohnung oder des Hauses wohnen dürfen? Nein, wir haben bewusst keine Obergrenze. Zum einen gerade bei Familien ist es ein wahnsinnig schwierig auch Wohnraum zu finden,
0:33:02vor allem wenn sie mehrere Kinder haben. Und gleichzeitig wollen wir ja auch Heimat bieten. Und dann wäre es blöd, wenn wir sie dann nach ein paar Jahren wieder rauschecken. Der Einsatz ist eher, dass dann, wenn die Begleitung nicht mehr benötigt wird, dass die Standardleitung dann umzieht und wir ein neues Hof aufbauen. Welche Learnings, welche statistischen Learnings konntet ihr denn daraus bisher ziehen? Wir haben jetzt noch keine Begleitforschung, aber so von dem, wie wir es erleben, ist einfach, dass sie sich sehr viel schneller dann in Arbeit kommen und ja sie eben auch Teil einer positiven Gruppe sind
0:33:43und in positiver Gruppenkultur leben. Viele von unseren Flüchtlingen sagen sie werden von ihren Freunden ausgelacht, die sagen hey ich kriege viel mehr obwohl ich nichts arbeite und du arbeitest, aber sie haben dann eben eine ganz andere Einstellung und wollen sich integrieren und das ist ja so, dass die meisten, die zu uns kommen, wollen sich am Anfang integrieren. Aber wenn sie dann eben die Chance gar nicht kriegen und gar nicht arbeiten dürfen, ich wüsste nicht, was aus mir würde, wenn ich zwei Jahre lang nicht arbeiten dürfte.
0:34:12Da muss man ja verrückt worden, in Anführungszeichen. Und so müssen wir Formen finden, die anregt, dass sich Leute integrieren, die anregt, dass Leute schnell in Arbeit kommen, die anregt, dass Leute schnell Deutsch lernen. Und da muss einmal ein Umdenken stattfinden. Jetzt ist der Zugang zu der Einrichtung oder das Wissen über die Einrichtung ja nicht so omnipräsent, gerade für Personen, die geflüchtet sind, weil sie in erster
0:34:36Instanz ja mit anderen Dingen beschäftigt sind. Geht ihr denn auch innerhalb der Flüchtlingscamps oder Einrichtungen, um dort noch mal darüber zu sprechen, um darauf aufmerksam zu machen? Genau, wenn wir freie Plätze haben, gehen wir in eine Unerkünfte oder wenn wir einen neuen Standort aufbauen, gehen wir in eine Unerkünfte und stellen es dort vor und kommen da ins Gespräch.
0:34:56Funktioniert das rein über Spenden? Die Häuser rechnen sich selber über die Miete und wo Standard haben wir die Standardleitung und Sozialpädagogen, das müssen wir dann über Spenden finanzieren. Okay und die großen Bauprojekte, ich meine, das ist ja auch ein riesiger finanzieller Batzen, der erstmal in Vorleistung gesetzt oder getreten werden muss. Wie macht ihr das? Genau, das finanzieren wir von der Stiftung her vor und natürlich auch über viele Darlehen. Wir
0:35:22kriegen auch Zuschüsse für bezahlbares Wohnen und gleichzeitig haben wir immer wieder Leute, die uns ein Darlehen geben oder die Spenden geben, auch für den Bau oder auch Unternehmerfamilien, die sagen, wir möchten so ein Hoffnungshaus bei uns am Standort und die das ganze dort teilweise finanzieren. Wenn ich jetzt Interesse daran habe, das Projekt zu unterstützen, wie kann ich spenden? Auf der Webseite ist die Spendeninformation, da kann man einfach draufgehen und uns da unterstützen. Da freuen wir uns natürlich sehr, eben spenden oder darlehen oder Grundstücke. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, wie man uns
0:35:59unterstützen kann oder natürlich auch ehrenamtlich eben als FS Söttler oder FS Söttlerin oder dass man ehrenamtlich mitarbeitet. Und ich denke, ganz wichtig ist, dass wir alle Hoffnungssträger sind. Und wir freuen uns natürlich, wenn Leute zu uns kommen und uns finanziell oder durch Ehrenamt unterstützen. Aber jeder kann an dem Platz, wo er Hoffnungssträger für andere sein, wenn wir mit offenen Augen durch die Welt gehen, dann können wir eben auch für andere da sein, dann können wir auch sehen, okay, wer ist vielleicht ein Ozensailor, wer braucht Unterstützung und ich glaube, wenn jeder ein bisschen guckt, wo kann ich Verantwortung übernehmen, dann können wir
0:36:39gemeinsam die Welt verändern und dann können wir Hoffnungsträger sein und anderen Hoffnung weitergeben, damit sie selber zu Hoffnungsträgern werden. Und wie kann ich das Seehaus finanziell unterstützen oder wo kann ich dorthin spenden? Beim Seehaus haben wir auch unterschiedliche Bedarfe, zum einen für die Opferhilfe für den Strafvollzug oder auch Programme im Strafvollzug. Wir haben auch Präventionsprogramme und die kann man auch alle auf der Webseite finden und da auch die Spendeninformationen.
0:37:06Was wünschst du dir? Was wünschst du dir für deine beiden großen Projekte? Gut, ich wünsche mir, dass wir noch viel mehr Menschen Hoffnung geben können, dass die Projekte wachsen. Zum einen eben Strafverzug in freien Formen, dass es in alle Bundesländer kommt und dass die europäische Initiative greift in Deutschland, aber auch europaweit. Und gleichzeitig eben das restorative Justice, also die wiedergutmachende Gerechtigkeit,
0:37:33dass ein ganz anderer Blickwinkel kommt und die Opferperspektive viel wichtiger wird und auch Opfer direkt Unterstützung finden. Für das Seehaus und für die Hoffnungsträger wünschen wir, dass wir mehr Hoffnungshäuser bauen können, dass wir da Unterstützung kriegen, weil wir sind jetzt selber auch an Grenzen gekommen, das aus eigener Initiative weiter zu finanzieren und so können wir es nur mit weiterer Unterstützung auch mehr Standorte bauen, aber gleichzeitig hoffen wir eben, dass die Schule macht und andere das nachmachen und das ein Modell wird, das bundesweit umgesetzt wird.
0:38:04Und was wünschst du dir für deine private Zukunft? Gut, privat und die Projekte gehen Hand in Hand. Ich bin, ja, wohne ja hier im Seehaus, bin viel im Hoffnungshaus, bin auch viel international unterwegs. Wir unterstützen auch Projekte im Ausland. Olympien ist da ein großer Schwerpunkt und ja, ich wünsche mir einfach, dass ich da Impulse geben kann und anderen Menschen Hoffnung schenken kann.
0:38:32Das wünschen wir dir auch. Vielen lieben Dank. Vielen lieben Dank für das, was du tust und für deine Arbeit, dass du uns hier als Gemeinschaft jeden Tag mit dem, was du tust, unterstützt. Und alles Gute. Vielen Dank. Danke. Danke für deine Zeit. Und wir wünschen dir alles Liebe und alles Gute für alles, was du tust. Vielen Dank dafür. Vielen Dank. Du willst selbst bei uns dabei sein? Dann melde dich auf unserer Website oder unserer Social Media.
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