#3 Liam: Auf der Suche nach Zuhause
Shownotes
Liam teilt seine bewegende Geschichte, wie er in einer Großfamilie mit elf Geschwistern aufwuchs und ständig von einem Ort zum nächsten zog. Begleite ihn auf seiner Weltreise und der Suche nach Familie, Heimat und dem eigenen Lebensweg.
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0: 00:00Stell dir vor, du kommst in einen Raum, vor dir sitzt ein Mensch und du hast keine Ahnung, wer das ist. Das passiert mir in jeder Folge bei unserem Podcast von Bohne zu Bohne. Mein Name ist Charlotte und ich weiß vorher nichts über unsere Gäste. Kein Name, keine Information, keine Themen. Also werden meine Fragen auch deine Fragen sein. Ich bin Sanja und ich suche die Gäste. Hier achte ich darauf, dass es Menschen mit spannenden Persönlichkeiten und faszinierenden Erlebnissen sind. Und genau die wollen wir mit euch teilen. Bist du bereit, gemeinsam mit Charlotte neue Geschichten kennenzulernen? Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge. Mein Name ist Charlotte.
0: 00:45Mein Name ist Sanja und ich habe heute einen Brief dabei von Liam. Ah, okay. Das heißt Liam hat uns einen Brief geschrieben, den du uns heute vorlesen wirst. Richtig. Okay, gut. Muss ich vorher was wissen oder? Gar nichts. Okay. Einfach zuhören. Ich mache zwischendurch ein paar Pausen. Kannst du gerne Fragen stellen. Okay, alles klar. Super. Na dann. Was ist Heimat? Während ich hier in Deutschland sitze und über den Weg nachdenke, der mich dorthin gebracht hat, wo ich heute bin, schweifen meine Erinnerungen weit weg. Mein geistiges Auge führt mich an einen Ort auf der anderen Seite der Welt, wo die Aussicht, die Geräusche, die Gerüche ganz anders sind als der Ort, an dem sich mein Körper befindet. Als ich gebeten wurde, diesen kleinen Teil meiner persönlichen Geschichte aufzuschreiben, kam mir sofort zwei Worte in den Sinn. Heimat und Familie. Diese beiden Dinge beflügeln meine Vorstellungskraft und versetzen mich in eine bestimmte Zeit meiner Kindheit zurück. Jedes Mal, wenn ich über Heimat nachgedacht habe und was das für mich bedeutet, war es nie ein bestimmter Ort.
0: 02:04In der Regel ein bestimmtes Haus, zumindest aber eine Stadt, ein Dorf oder eine Region. Ein Ort, an dem die meisten Kindheitserinnerungen entstanden sind und an dem sie sich emotional mit ihrer Umgebung verbunden fühlen. Das hatte ich nie wirklich. Den größten Teil meiner Kindheit verbrachte ich damit, alle paar Jahre von Haus zu Haus und von Stadt zu Stadt zu ziehen. Als ich neun Jahre alt war, war ich eins von sieben Kinder in meiner Familie und wir zogen in das fünfte neue Haus seit meiner Geburt. Was schließlich zu einer Familie mit elf Kindern führen sollte, war mein ganzes Verständnis der Welt und der Menschen in ihr. Im Alter von neun Jahren galt das ganz besonders, denn das Haus, in das wir zogen, war völlig isoliert, wie eines dieser verlassenen Farmhäuser, die man aus alten Westernfilmen kennt.
0: 02:54Das ist der Ort, an den mich mein geistiges Auge immer wieder führt. Ich sehe das alte zweistöckige Haus mit seiner weißen abgeplatzten Farbe und kilometerlange Felder pfiff. Er ließ mich die Einsamkeit spüren und dort begann ich, das Wesen meines Nomadenlebens zu verstehen. Dort begann ich, die Konzepte von Heimat und Familie zu verstehen und dort wurden die Dinge in meinem Leben gepflanzt, die schließlich so weit wuchsen, dass sie mich durch die Welt dorthin trugen, wo ich jetzt bin. Wie die meisten Kinder aus dem mittleren Westen, die in ländlichen Gemeinden aufgewachsen sind, wo Land und Freifläche weitaus zahlreicher waren als Häuser oder Geschäfte, vertrieben meine Geschwister und ich uns die Zeit mit unseren Fantasien, in denen wir durch Maisfelder rannten. Das Haus, das wir Erwachsene heute als das Marienkäferhaus bezeichnen, war alt und baufällig. Es lag an einer praktisch verlassenen, unbefestigten Landstraße im Norden von Indiana und war ein jahrhundertealtes Anwesend, das von tausend Hektar Mais- und Sojafelder umgeben war. Wir nannten es das Marienkäferhaus, weil der Hügel, auf dem wir lebten, im Sommer von Schwärmen von Marienkäfern umgeben war. Das Haus, ein kleiner Stein an der Geräte schuppen und eine massive verfallene Scheune waren die einzigen Gebäude, die wir auf einer Strecke von mehr als einer halben Meile in alle Richtungen sahen.
0: 04:33Das Gesicht des Marienkäferhauses zeigte die Spuren vieler harter Winter und umbalmherzig trockener Sommer. Ich schämte mich ein wenig, an diesem Ort zu leben, vor allem im Vergleich zu einigen meiner Freunde, die ein paar Städte weiter in nagelneuen Wohnsiedlungen, mit großen gepflegten Hinterhöfen lebten und teilweise sogar Pools zum Schwimmen hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aufgehört, die Gebäude, in denen wir wohnten, als zu Hause zu betrachten, sondern eher die Menschen, mit denen ich zusammen war. Wenn man an einem Ort lebt, der so weit weg von der Gesellschaft entfernt ist, hat man nur die Menschen, die einen umgeben. Der Begriff Zuhause wurde völlig mit meiner Vorstellung von Familie verwoben. Ich habe nicht so konkret an diese Dinge gedacht, wie ich es heute tue, aber sie waren das Wichtigste in meinem Leben als Kind. Dieses Haus war für meine Familie ein Ort des Wandels und des Kampfes, weshalb ich mich wahrscheinlich so gut daran erinnere. Ich entdeckte dort meine Vorliebe für Geschichten und Fantasiewelten, lernte aber auch die Welt zu fürchten, als ich an jenem sonnigen Septembermorgen die Geschehnisse vom 11. September auf unserem alten Fernseher verfolgte.
0: 05:45Obwohl es der physisch isolierteste Ort war, an dem wir je gelebt hatten, wurde es irgendwie zu dem Haus, in dem ich begann, meine Verbindung zur großen Welt zu verstehen. das gerade traumatische Ereignisse erlebt hatte, die zum Tod von tausenden von Menschen geführt hatten. Die Nähe, die ich zu meinen Geschwistern erspürte, und das Vertrauen in meine Vorstellungskraft trugen uns durch einsame und beängstigende Tage. In den zwei Jahren, die wir im Marienkäferhaus lebten, durchlebte ich eine grundlegende Phase in meinem Leben, in der ich begann, mich selbst als einen sehr kleinen Teil der Welt zu sehen. Und mir wurde bewusst, dass sich alles in einem Augenblick ändern kann. Wow. Also ich muss sagen, erst mal eine sehr bildhafte Sprache. Ich habe so das Gefühl, man wird so richtig mitgenommen. Liam weiß, wie man schreibt. Ich würde jetzt gerne wissen, ob Liam Autor ist. Weißt du das?
0: 06:44Ist er nicht. Okay. Das ist schon mal sehr schön geschrieben, sagen wir es mal so. Vor allen Dingen das Marienkäferhaus ist eine schöne Bezeichnung für ein Zuhause. Ich musste auch immer wieder lächeln. Weil es ist so ein bisschen kindlich und mit so einer kindlichen Naivität beschrieben und gleichzeitig hast du so das Gefühl, dass es etwas von Geborgenheit dir vermittelt und von Nähe. Ja. Weil Marienkäfer verbindet man mit einem niedlichen kleinen Käferchen, wo man dann immer so dachte, oh, Marienkäfer. Also das hat so eine... das assoziiert man mit etwas niedlich und sagen wir es mal so. Aber was ich krass finde, dass sie elf Kinder sind. Also das ist schon heftig.
0: 07:27Man muss dazu sagen, ich meine, er ist ja scheinbar in den USA groß geworden. Und so wie er es berichtet, ist es ja auch ein komplett anderer Lebensstil als das, was wir kennen. Das heißt also, ich weiß nicht, also ich weiß, dass in den USA Standard ist, mehr Kinder zu haben, wie viel das Standard ist, also mehr als in Deutschland, aber ich weiß nicht, wie hoch dort das Standard ist, aber 11 ist, glaube ich, auch schon für amerikanische Verhältnisse über dem Standard, über dem in Anführungszeichen Normalmaß. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass das auch noch mal sehr prägend ist, wenn du sehr sehr abgeschottet wohnst und dann hast du in Anführungszeichen nur deine Geschwister in der Umgebung, weil wenn sie umgeben sind von Mais und Soja, warst glaub ich, dann ist da ja nichts. Dann sind ja nur deine zehn Geschwister da und deine Eltern.
0: 08:17Ja. Das ist schon heftig. Mich würde jetzt noch interessieren, weißt du, was die Eltern gearbeitet haben? Ne, das kann ich dir nicht sagen. Okay und weißt du, ob die Mutter gearbeitet hat oder ob sie zu Hause war? Das kann ich dir auch nicht sagen. Weiter? In den Jahren, die danach folgten, zogen wir weit weg in Städte, quer durch Indiener und schließlich ganz durch die Vereinigten Staaten. Ich werde diesen Ort jedoch nie vergessen. Das Haus wurde vor über einem Jahrzehnt abgerissen und die Scheune und der kleine Schuppen sind nur noch für die wenigen, die es kannten, eine Erinnerung. In meinen Gedanken bin ich jedoch immer noch dort verankert, denn es war der Beginn eines Abenteuers, das ich nie hätte vorhersehen können. Meine Vorstellung von Heimat war direkt mit meiner Familie verbunden, sie wurde aber durch die ständigen Umzüge noch mehr gefestigt.
0: 09:09Als wir nach North Carolina zogen, war ich elf Jahre alt, und in den wenigen prägenden Jahren, die wir dort verbrachten, waren meine Eltern und meine Geschwister mein einziges Gefühl von Stabilität. Obwohl ich Freunde fand, verstand ich sehr schnell, dass wir nie lange dort bleiben würden, was bedeutete, dass ich weggehen und an einem anderen Ort neu anfangen musste, was wiederum neue Freundschaften bedeutete. Das war eine schwierige Art aufzuwachsen, vor allem als jemand, der bedeutungsvolle Beziehungen schätzt und sich eine Kindheit wünscht, die mit Erinnerungen an das Zelten im Garten gefüllt war, das gemeinsame Schwimmen und das Erzählen von Gruselgeschichten am Lagerfeuer. Die meisten Erinnerungen davon habe ich mit meinen Geschwistern oder dem ständig wechselnden besten Freund gemacht. So erging es mir im Alter von 9 bis 15 Jahren. Ich wechselte ständig das Haus und verband mein Zuhause immer mit dem Ort, an dem sich meine Familie befand.
0: 10:04Wenn ich heute zurückblicke, verstehe ich, dass meine Erziehung meine Fähigkeiten zu lernen und mich anzupassen beeinflusst hat. In den Jahren, in denen wir herumgezogen sind, habe ich gelernt, mich an andere Orte und an fremde Redens- und Handlungsweisen anzupassen. Ich habe auch ein besseres Verständnis für mich selbst entwickelt. Es gab viele Phasen, in denen ich nicht viele Freunde hatte, vor allem nicht solche, die ich leicht sehen oder mit denen ich viel Zeit verbringen konnte. Auch gab es Zeiten, in denen Unstimmigkeiten mit meinen Brüdern und Schwestern bedeutete, dass ich eine Zeit lang mein eigener Freund sein musste. Wann immer ich von zu Hause sprach, bezog sich das auf meine Familie, aber mit der Zeit wurde es zu etwas viel Persönlicherem. Als ich 13 war, hatte ich ein Erlebnis, das alles in meinem Leben veränderte und alles, was ich bis dahin über die Bedeutung von Familie gelernt hatte, infrage stellte.
0: 11:03Ich fand den einen Satz sehr spannend, wo er schreibt, er hat etwas viel Größeres gefunden, etwas viel Bedeutsameres als seine Familie. Da habe ich so darüber nachgedacht und dachte mir so, meine Vorstellung und mein Konstrukt von Familie, wie persönlich kann es denn noch sein und wie nahbar? Dann habe ich mir gedacht, wie unterschiedlich die Vorstellung dessen, was Familie bedeutet, sein könnte. Weil scheinbar war das vorher nur das, wie er es so beschrieben hat, so dass es das, was er hat. Aber dann hat er verstanden, es geht noch persönlicher und noch intimer. Das ist jetzt sehr spannend, was wohl seine Erfahrung mit 13 war, die alles verändert hat. Aber was ich auch spannend fand, was mir so ein bisschen Fragezeichen da gelassen hat, war, er hat gesagt, dass er manchmal Unstimmigkeiten mit seinen Geschwistern hatte.
0: 11:47Und es wird nicht klar, was für Unstimmigkeiten und in welchem Ausmaß. Waren das jetzt die klassischen, keine Ahnung, kindlichen, ja, Ärger, den man da hat oder Diskussionen oder war das schon was Tiefgreifenderes, weil er halt sagt, wir haben dann manchmal nicht miteinander gesprochen. Und das finde ich, klingt schon recht hart. Und er dann ja sagt, er war dann für sich alleine. Und das, wenn er, da war er ja jünger als 13, das schon hatte, das finde ich schon, schon was, womit man lernen muss umzugehen, würde mich interessieren, was das war. Vielleicht kommst du ja noch drauf. Mein bester Freund war damals ein Gleichaltriger, den wir in der Kirche kennengelernt hatten. Meine Mutter war sehr gut mit seiner Familie befreundet und wir verbrachten viel Zeit in ihrem Haus, vor allem im Sommer. In den wenigen Jahren, in denen ich so eng mit ihm befreundet war, begann ich zu erkennen, dass ich etwas anders war als meine älteren Brüder und ganz sicher anders als das, was meine Eltern immer von uns erwartet hatten. In vielen nächtlichen Gesprächen wurde mir klar, dass ich schwul war.
0: 12:51Ein Wort, das mir erst beigebracht werden musste, weil meine Eltern nie darüber sprachen. Während ich einen Film sah, erzählte mein Freund mir, dass er sich mehr zu Jungs als zu Mädchen hingezogen fühlte. Und er fragte mich, ob ich mich auch so fühlen würde. Ich bin mir sicher, er hatte erwartet, dass ich mit Ja antworten würde. Ich wusste zwar noch nicht, was das bedeutete, aber ich sagte ihm, dass ich mich so fühlte. Zu dem Zeitpunkt erfuhr ich jedoch, was es bedeutet, ein Geheimnis zu bewahren, selbst vor der Familie. Unsere Eltern waren beide sehr konservative Christen, wobei meine viel strenger waren als seine. Er sagte mir damals, dass diejenigen, die gleichgeschlechtliche Menschen lieben, als schwul bezeichnet werden, dass ich es aber meinen Eltern nicht sagen sollte, weil die meisten Christen, vor allem unsere Eltern, es für falsch hielten. Die Erkenntnis meiner sexuellen Orientierung und Identität, die ich im Alter von 13 Jahren begann, war eine weitere Hürde in meinem Leben, mit der ich zurechtkommen musste. Nicht nur, dass ich die meiste Zeit meines Lebens von anderen Menschen getrennt gelebt hatte, weil meine Eltern von Ort zu Ort gezogen sind. Jetzt fühlte ich mich auch noch von meiner eigenen Familie getrennt, weil ich mich anders fühlte. Ich hatte ein Geheimnis, von dem ich wusste, dass es die Art und Weise, wie sie mich sahen und behandelten, verändern würden. Das war ein weiterer Keil zwischen mir und meinem Umfeld. Das Gefühl von Heimat und mein Verständnis von Familie erlebten einen weiteren Wandel. Das Endergebnis war ein Gefühl der völligen Isolation.
0: 14:27Später in meinem Leben, als ich anfing, Deutsch zu lernen, verstand ich, dass die englische Sprache die verschiedenen Arten von Gefühlen des Alleinseins nicht so differenzierte wie die deutsche Sprache. Es gibt einen Unterschied zwischen Alleinsein, was eher eine physische Isolation ist, und Einsamsein, was etwas viel emotionaler Abgeschnittenes beschreibt. Ich war von dem Moment an einsam, als ich merkte, dass ich ein Geheimnis von meiner Familie bewahren musste. Obwohl ich das Gefühl hatte, alleine zu sein, als wir im Marienkäferhaus lebten, fühlte ich mich nicht einsam, weil ich noch nicht die schmerzhafte Trennung zu meiner Familie erlebt hatte, die die Erkenntnis meiner sexuellen Orientierung auslöste. Meine Teenagerjahre waren davon geprägt, dass ich versuchte, diesen Teil von mir zu ändern. Ich wollte nicht von meiner Familie getrennt sein. Schließlich zogen wir zurück nach Indiana und ich begann mit der High School, aber der Selbsthass und die Selbstverachtung wurde mit der Zeit immer schlimmer. Für die meisten Menschen wird unser innerer Kompass durch die Dinge bestimmt, die wir benutzen, um den Weg nach Hause zu finden.
0: 15:33Aber was ist, wenn es gar kein Zuhause gibt? Als ich die High School durchlief und mich auf das College vorbereitete, belog ich mich so oft wie möglich, weil ich mehr Angst hatte, alles und jeden zu verlieren, den ich liebte, als mir selbst treu zu sein. Ich wusste, dass ich meine Eltern verlieren würde, wenn ich ehrlich zu ihnen wäre. Denn sie machten mir klar, was sie von Menschen mit LGBTQ+. Noch schlimmer war es, dass meine Geschwister ihren angeborenen Hass auf queere Menschen übernahmen und ihn sehr deutlich zum Ausdruck brachten. Ich erinnere mich an einen bestimmten Fall, als einer der Staaten gleichgeschlechtliche Partnerschaften legalisiert hatte und dies in dem christlichen Radiosender, den wir hörten, angekündigt wurde. Meine jüngere Schwester und ich waren in der Küche und spülten gemeinsam das Geschirr, als die Nachricht verkündet wurde. Ich war damals etwa 18 Jahre alt und wollte aufs College gehen. Sie war 14. Als der Moderator die Nachrichten verbreitete, verteufelte er geradezu die Legislative des Bundesstaates. Meine Schwester stieß einem laut der Abscheu aus. Weißt du, die Welt wäre ein besserer Ort, wenn sie alle Homosexuellen in einer Reihe aufstellen und erschießen würden. Ich war entsetzt und wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.
0: 16:50Wenn ich zu sehr protestierte, könnte sie mich verdächtigen, schwul zu sein. Aber wenn ich nichts sagte, würde das bedeuten, dass ich eine so schreckliche und böse Sache unterstütze. In diesem Moment ging ich weg und in mein Zimmer. Ich schloss die Tür, setzte mich auf mein Bett und weinte leise in mein Kissen. Ich wusste, dass das, was meine Schwester sagte, nicht wirklich von ihr stammte. Ich wusste, dass sie einfach Dinge wiederholte, die meine Mutter und mein Vater und die anderen religiösen Erwachsenen in ihrem Leben zu ihr gesagt hatten. Es war eine quälende Erinnerung daran, dass das, was mein 13-jähriger Freund zu mir gesagt hatte, absolut richtig war. Ich konnte meiner Familie auf keinen Fall die Wahrheit sagen, denn das würde nur Schmerz und Ablehnung bedeuten. Obwohl ich mich jahrelang davor gefürchtet hatte, was sie sagen oder tun könnten, war es für mich eine Bestätigung, dass ich nicht mehr wirklich zu dieser Familie gehörte.
0: 17:47Zumindest nicht in dem Sinne, wie sie es glaubten und ganz sicher nicht in dem Sinne, den ich brauchte. In gewisser Weise war das der Moment, in dem ich spürte, wie sich mein Zuhause und meine Familie von meiner Vorstellung von Sicherheit, Liebe und Geborgenheit löste. Ich glaube, dass dies ein Wendepunkt in meinem Leben war. Wenn mich heute jemand fragt, was mich aus diesen dunklen Tagen gerettet hat, in denen ich mich versteckt hielt und Angst hatte, ehrlich zu sein, lautet meine Antwort Bildung. Glücklicherweise boten mir meine Eltern die Möglichkeit, die örtliche öffentliche Highschool zu besuchen, was die meisten meiner Geschwister nie getan haben, und ich sagte zu. Zuvor war mein Leben völlig von den Vorstellungen meiner Eltern geprägt und auf ihre restriktiven Ansichten beschränkt. Der Weg zur Bildung war der Wendepunkt, an dem ich die Isolation, die meine Eltern und ihre sehr konservativen Ansichten verursachten, hinter mir ließ und mein Auge für eine viel größere Welt öffnete.
0: 18:47Da die Schule mir die Möglichkeit bot, die Welt auf eine breitere Basis zu stellen, begann ich, ein Gefühl der Sicherheit beim Lesen von Büchern und beim Studium anderer Sprachen, Kulturen und Glaubensrichtungen zu entwickeln. Ich weiß nicht, ob ich unbedingt sagen kann, dass ich mich für ein Studium entschieden habe, weil ich wusste, dass ich schwul bin. Aber ich weiß, dass es meine Entscheidung stark beeinflusst hat. Da ich mich zu Hause in meiner eigenen Haut nicht wohlfühlte, suchte ich nach einem Ort, an dem ich mich authentisch fühlen konnte. Die Wahrheit darüber, wer ich war, würde bedeuten, dass ich meine Eltern verlieren oder dass sie mich sogar hassen würden. Und die Schule wurde zu dem Ort, an dem ich mich selbst stärken, ein besseres Vokabular für die Selbstvertretung erwerben und mein Verständnis von der Welt erweitern konnte. In der High School beschloss ich, mehr über die deutsche Sprache zu lernen, eine Entscheidung, die schließlich dazu führte, dass ich mir ein Leben in Deutschland aufbauen wollte.
0: 19:44Der tägliche Besuch des Unterrichts öffnete mir ein Fenster zu einem Land und einer Kultur, über die ich bis dahin nur sehr wenig wusste. Jedes Mal, wenn die Lehrerin uns von Deutschland erzählte, wurde mein Interesse geweckt und ich beschloss schließlich, mein Wissen über Deutschland am College zu erweitern. Als ich die High School abschloss, war ich der erste meiner Geschwister, der dies tat. Meine älteren Brüder hatten beide die Schule vor ihrem 18. Lebensjahr abgebrochen. Für mich war das eine sehr große Leistung, vor allem wenn man bedenkt, woher ich kam. Meine Eltern legten nicht so viel Wert auf Bildung wie ich, was ein weiterer Grund dafür war, dass wir uns auseinandergelebt haben. Je mehr ich mich der Person näherte, die ich war, desto mehr entfernte ich mich von dem, was meine Eltern von mir erwarteten. Während ich in der Highschool ein wenig über die Welt und die Kulturen kennengelernt habe, war das nur die Spitze des Eisbergs im Vergleich zu dem, was ich in meinem Bachelorstudium gelernt habe.
0: 20:42Während meine Vorstellungskraft die meisten Lücken füllte, als ich barfuß durch die Felder rannte, erlaubten die Mittel der Hochschulbildung meiner Vision eine größere Reichweite als je zuvor. Als Kind habe ich mir oft vorgestellt, ich könnte in anderen Sprachen sprechen und im College konnte ich auf dem aufbauen, was ich in der Highschool gelernt hatte und begann, mich auf Deutsch zu verständigen. Es war, als ob ich all die Dinge, die ich mir vorher nur vorstellen konnte, in die Realität umsetzte, indem ich recherchierte, lernte, übte und verstand, wie andere Menschen auf der ganzen Welt ihr Leben lebten. Leider wurde mein Verhältnis zu meiner Familie mit der Zeit immer angespannter. Es wurde deutlich, dass meine Eltern nicht bereit wären, mich als LGBTQ-Plus-Person zu akzeptieren. Zu diesem Zeitpunkt wurde nicht nur der Begriff Zuhause für mich immer schwieriger zu definieren, sondern auch der Begriff Familie. Ich hatte Eltern und Geschwister, aber keiner von ihnen wusste, wer ich war, und sie machten mir durch ihr Verhalten und ihre Aussagen klar, dass sie mich nicht so akzeptieren könnten, wie ich war. Während ich all dies vor dem Studium angenommen hatte, wurde mir währenddessen völlig klar, dass ich nicht authentisch sein und gleichzeitig von ihnen akzeptiert werden konnte.
0: 22:03Schließlich fanden meine Eltern heraus, dass ich schwul bin. Also ich muss sagen, in diesem Abschnitt ging es um sehr viel Schmerz, habe ich das Gefühl. Also du merkst auf der einen Seite, dass Liam sehr viel Schmerz durchgemacht hat und sehr viel Schwierigkeiten mit persönlicher Anerkennung hatte. Du merkst, dass er das Gefühl hat, für sich selbst nicht einstehen zu können und erst mal hinterfragt, wer bin ich eigentlich, weil in der Welt, in der ich geboren wurde, ich irgendwie nicht reinpasse. Auf der anderen Seite merkst du aber auch, wie er aufblüht und wie er mit der Zeit immer mehr erkennt, was für ihn richtig ist und was er für sich selber sein Weg ist und wo er hin möchte. Und das Spannende ist, dass man, also wenn ich so ein bisschen darüber nachdenke und das ein bisschen vergleiche mit mir, Teenagerzeit, man ist unsicher, man weiß nicht, wer man ist, man versucht sich zu finden und so mit dem Studium hat man dann irgendwie so einen Cut und man lernt sich kennen und plötzlich sieht man eine ganz neue Welt, so wie er sie auch beschreibt und sieht, wie unterschiedlich Menschen leben können und wie unterschiedlich Menschen denken können und handeln können.
0: 23:15Und da habe ich mich irgendwie wiedergefunden, weil ich dachte, ja, du bist einfach sehr unsicher und weißt nicht mit dir selbst, wer du bist und was du eigentlich von dem willst. Und durch die Bildung bekommst du neue Sphären und Möglichkeiten aufgezeigt und die hat er für sich erkannt und für sich genutzt. Also da muss ich sagen, habe ich ihn voll verstanden und konnte da voll mitgehen. Hatte aber auch das Gefühl, wie gesagt, dass er so ein bisschen Freude und Schmerz zugleich verspürt. Das war so das, was ich ja im Fokus gesehen habe oder rausgehört habe. Was denkst du jetzt, wenn er sagt, seine Eltern fanden heraus, dass er schwul ist? Wie ich es weiß, also ich vermute mal, dass sie es nicht gut aufgenommen haben, weil also ich bin jetzt mal ein bisschen voreingenommen, streng, konservativ, christlich aufgewachsen, nie katholisch, es stand immer nur christlich, nicht katholisch, stand katholisch da, okay, streng katholisch aufgewachsen und ich bin jetzt mal böse, irgendwo in der Pampa, wo nix ist und wenn das schon zuvor so thematisiert wird, das Thema, dass das nicht gut ist, weil scheinbar wurde es schon häufiger thematisiert, stelle ich mir auch die Frage, es muss ja so eine große Ablehnung gefunden haben, sonst würde man es ja so nicht thematisieren. Vielleicht hat er es auch verstärkt rückwirkend in seiner Erinnerung gehabt, dass das so ein präsentes Thema war, weil er natürlich damit einhergeht. Aber nichtsdestotrotz vermute ich, dass das ja schon relativ präsent ist und er für sich jetzt feststellt, okay, jetzt geht irgendwie alles kaputt. Endgültig. Das ist zumindest meine Vermutung, wie es jetzt weitergeht. Ja, dann schauen wir mal.
0: 24:56In meinem letzten Semester am College ging ich mit meinem damaligen Freund zum Abschlussball. Er war wunderbar und wir waren verliebt. Irgendwie wurde ein intimes Bild von uns in den sozialen Medien veröffentlicht und meine jüngere Schwester sah es. Sie erzählte es meinen Eltern. Sie wussten schnell, dass ich einen Freund hatte. Tatsächlich war es schlimmer, als ich erwartet hatte. Mein Vater beschimpfte mich tagelang, nannte mich böse und sagte mir, wie sehr er sich für mich schämte. Meine Mutter wurde kalt und die Beziehung, die wir bis dahin hatten, und ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob wir jemals eine Beziehung hatten, existierte nicht mehr? Also ich vermute es ist schwer gleich viel Liebe und Aufmerksamkeit elf Kindern zu schenken. Das heißt also Liebe und Aufmerksamkeit in einem Haushalt mit elf Kindern hat eine andere Bedeutung als sie es in einem Haushalt mit zwei oder vielleicht drei Kindern hat.
0: 25:56Du kannst nicht allen Kindern so viel Liebe und Aufmerksamkeit schenken in diesem Zuge, weil du bist mit anderen Dingen beschäftigt. Du musst dich um viele Koordinationsdinge kümmern. Und das heißt also, dass Liebe und Aufmerksamkeit eh schon einen anderen Stellenwert haben. Und wenn du, wenn er auch noch sagt, er weiß nicht, inwieweit da eh eine Beziehung bestand, bestärkt das eigentlich nur mein Gedanke, dass Liebe so ein bisschen hinten angestellt ist, in so einer Konstellation mit so vielen Kindern. Da geht es erstmal, da stehen andere Dinge weiter vorne, bevor die emotionale Liebe kommt. Das ist meine Betrachtung der Sache und wenn er jetzt mit dieser Situation oder der ausgesetzt wird, dass die Mutter und der Vater ihn auch noch verachten und ihm so wenig bis keine Aufmerksamkeit schenken, stellt sich mir natürlich auch die Frage, inwieweit kann man dann da noch gemeinsam unter einem Dach leben. Das ist so die größte Frage, die ich mir stelle, weil rein theoretisch, er war ja auf dem College, das heißt also er war kurz vor Ende des Bachelor, hat er gesagt, er war kurz vor Ende des Bachelorabschlusses und er ist theoretisch, braucht, also muss er ja nicht mehr vor Ort leben.
0: 27:13So er kann ja auch wegziehen, aber bis dato hat er es nicht getan. Und ich kann mir vorstellen, dass diese Zeit auch unfassbar schwer sein muss, wenn er ein Freund hatte und er das Gefühl hat, er kann sich zu Hause nicht öffnen. Wie kann er zu Hause leben und am College dieses Leben führen und zu Hause ein anderes Leben führen? Das heißt also, er hat ja komplett zwei unterschiedliche Lebensweisen gehabt und ich stelle mir das unfassbar anstrengend vor und ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht, aber ich könnte mir vorstellen, dass es auch wie so eine Art von Befreiungsschlag ist, dass man eben nicht mehr diese zwei Gesichter wahren muss und natürlich ist es scheiße, wenn die Eltern dir das Gefühl geben und sagen und wochenlang zeigen, das passt hier nicht rein. Aber auf der anderen Seite, ich bin zwar noch nie in dieser Situation gewesen, aber auf der anderen Seite kann ich mir auch vorstellen, dass es hier unfassbar viel Befreiung gibt, dass dieser Ballast, dass du zwei Seiten, zwei Gesichter, zwei Leben führen musst, jetzt nicht mehr gegeben ist.
0: 28:15Dass er jetzt so sein kann, wie er es will. Und da bin ich mal gespannt, wie sein Empfinden ist, wie es weitergeht und ob er jetzt sagt, okay, ich ziehe jetzt aus oder ich bleibe trotzdem noch dort der Situation treu. Na, dann schauen wir mal. In vielerlei Hinsicht haben die vier Jahre meines Bachelorstudiums mein Leben gerettet. Ich hatte das Glück, eine kleine Gemeinschaft mit anderen Außenseitern aus anderen Teilen des Landes und der Welt aufzubauen, die mich verstanden und mich so liebten, wie ich war. Wir feierten Geburtstage zusammen, verbrachten Abende damit, uns nach persönlichen Tragödien gegenseitig zu trösten und wir liebten uns in allen Höhen und Tiefen des Lebens. Ich lernte, dass wir uns manchmal unsere Familie aussuchen müssen, vor allem wenn die Familie, in der wir hineingeboren sind, nicht weiß, wie sie uns so lieben kann, wie wir es brauchen.
0: 29:09Ich hätte diese schwierigen Tage, Wochen und Jahre nach meinem Coming-out nicht überstanden, wenn ich nicht meinen Stamm gefunden hätte. Nach dem College, als ich offiziell erwachsen war und unabhängig lebte, war das, was ich als Familie ansah, Freunde, mit denen ich nicht verwandt war. Ich bin dankbar, dass einige meiner Geschwister mich schließlich akzeptierten und liebten, als sie die Wahrheit darüber erfuhren, wer ich war. Meine älteste Schwester und ich sind jetzt beste Freunde. Das Seltsame am Erwachsensein ist jedoch, dass es zu einer gewissen Distanz zwischen geliebten Menschen führen kann. Als ich in meinen Zwanzigern war, kam es schließlich zu einer physischen Distanz zwischen mir und den meisten meiner engsten Vertrauten. Ob nun wegen eines Jobs oder eines Studiums, wir sind alle weggezogen und unser Leben hat sich komplett verändert. Als ich 26 war, lebte ich mit meinem Verlubten Austin in der Innenstadt von Indianapolis. Die meisten meiner engsten Freunde hatte ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Meine Geschwister waren im ganzen Land verstreut und das Einzige, was uns in Indianapolis hielt, war unsere Arbeit. Mit dem Ausbruch der Covid-Pandemie, die alles in unserem Leben und in der Welt veränderte, kamen wir zusammen und fragten uns, was wir für unsere Zukunft wollten und vor allem, wo wir sein wollten. Austin war im ländlichen Nordwesten Pennsylvanias aufgewachsen und war, wie auch ich, in seinem Leben weniger sesshaft. Er war wegen des College nach Indiana gekommen und wegen des Stammes, zu dem wir dann beide gehörten, geblieben. Auch die meisten seiner Freunde lebten in anderen Teilen des Landes oder waren mit ihrem Leben beschäftigt.
0: 30:53Nach dem Abklingen der Pandemie befestigte sich unser jahrelanger Traum, in einem anderen Land zu leben, und wir sahen ihn als feststehende Möglichkeit für unser Leben. Da ich Deutsch und er Französisch studiert hatte, waren wir fest entschlossen, eines Tages in Europa zu leben. Kind rannte ich durch die Maisfelder von Indiana und stellte mir vor, mit Zügen zu fahren und Schlösser in Europa zu sehen. Ich wusste nicht, dass ein anderer kleiner Junge im ländlichen Pennsylvania dasselbe tat. Diese Träume führten schließlich dazu, dass wir schwierige Diskussionen darüber führten, wie unser gemeinsames Leben weitergehen sollte. Für mich gab es keine Bindung an ein bestimmtes Gebäude oder gar an meine leibliche Familie, um mich zu Hause zu fühlen.
0: 31:39Die Welt um mich herum war mir vertraut, aber die Vertrautheit schien mir kein Grund zu sein, dort zu bleiben, wo ich war. Sowohl er als auch ich wollten andere Kulturen kennenlernen. Vielleicht waren wir dazu bestimmt, woanders zu leben. Vielleicht konnten wir anderswo mehr Mitglieder unserer LGBTQ Familie finden, sogar in Europa. Unsere Recherchen und Vorbereitungen, die massive Unterstützung durch unsere Wahlfamilie, unseres Stammes, haben uns dazu gebracht, ein Risiko einzugehen und alle drei Monate in einem anderen Land zu leben. Wir dachten, wir würden nur ein Jahr lang weg sein. In Irland begann unsere Reise. Es war ein magischer Ort für uns, an dem wir viele wunderbare neue Freunde kennenlernten und die Schönheit des Landes genossen, das vom Meer umgeben und genauso grün ist, wie wir es immer gehört hatten. Ich denke, Irland war für uns die beste Entscheidung, um eine so große Umstellung zu beginnen. Denn nicht nur die Sprache war dieselbe wie unsere, sondern auch die Menschen und die Kultur waren ähnlich. Das Grün der Natur, überall wo wir hin sahen, schienen die Menschen fast elfengleich aussehen zu lassen. So sehr schienen sie das Leben zu lieben. In der Zeit, in der wir dort lebten, unternahmen wir Ausflüge in den Südwesten und sahen einige der atemberaubendsten Küstenklippen, die wir je gesehen hatten. Irland war für uns die Wiedergeburt des Abenteuers. Es waren einige Monate, in denen wir jede Gelegenheit wahrgenommen haben, die es uns ermöglichten, mehr vom Land zu sehen. Wir hatten genug Geld gespart und arbeiteten flexibel, sodass wir so viel wie möglich vom Land erkunden und erleben konnten. Für mich war es wie eine Wiedergeburt meines kindlichen Ichs. In den wenigen Wochen, nachdem wir nach Cork City gezogen waren, begann ich wieder lebhaft zu träumen und kehrte ironischerweise immer wieder zum Marienkieferhaus zurück. Es war, als wäre mein inneres Kind in der Hektik des Lebens verloren gegangen. Der Schmerz der Ablehnung, der mit dem Erwachsenwerden einhergeht, zwingt den Großteil unseres kindlichen Ichs dazu, zu verschwinden. Wir sagen uns, dass Träume sinnlos und kindisch sind. Ich wusste nicht, wie sehr ich den Jungen brauchte, mit dem ich als Neunjähriger über die Felder rannte.
0: 33:56In Irland begann er wieder mit mir zu sprechen. Vielleicht waren es die Schlösser, das Grün oder die fröhlichen Menschen, aber wie auch immer, Irland gab uns die Magie, die wir brauchten, um unseren Sinn für Abenteuer wiederzufinden. Nachdem unsere drei Monate vorbei waren und wir aufgrund von Visa-Bestimmungen das Land verlassen mussten, verabschiedeten wir uns von Irland mit Tränen in den Augen und genug Erinnerungen für ein ganzes Leben. Wir hatten beschlossen, an einen anderen Ort zu reisen, an den keiner von uns je gewesen war – Palermo, Sizilien. Der Tag unserer Ankunft war sonnig und warm. Obwohl Sizilien eine Insel ist, war die Landschaft im Vergleich zu Irland völlig anders. Als wir mit unserem Dackel, Schnitzel und allen Ja, da scheint er wirklich zu liegen.
0: 34:46Als wir mit unserem Dackel, Schnitzel und allen Habsächlichkeiten in den Zug stiegen, wurde uns dort schon bewusst, welchen Unterschied die Landschaften aufwiesen. Die Durchsagen, die an jeder Haltestelle gemacht wurden, waren uns fremd, und die Wohnhäuser, die wir sahen, verrieten, dass wir weit weg von dem waren, was wir kannten. Obwohl keiner von uns jemals auf Sizilien gewesen war, wussten wir genug über die Geschichte, um zu verstehen, dass diese Insel im Laufe der Jahrtausende so viele Male erobert wurde. Wir fragten uns, wie viele der hohlen Gebäude, die wir sahen, aufgrund von korrupten Geschäftspraktiken genehmigt worden waren. Einerseits verspürten wir das starke Unbehagen eines Kulturschocks, andererseits fühlte es sich abenteuerlich an, an einem Ort zu sein, der so anders war als unser Heimatort. Orsten und ich haben Palermo etwas anders erlebt.
0: 35:57Wir liebten die Wildheit der Straße und die ungezähmte Natur der offenen Märkte, wo die Gerüche an heißen Tagen unter der sicilianischen Sonne übermächtig waren. Während Austin das Unbekannte liebte, wenn er versuchte, seinen morgendlichen Espresso in gebrochenem Italienisch zu bestellen, fühlte ich mich überwältigt, weil ich der Frau im Supermarkt nicht sagen konnte, dass ich sie nicht verstand, während sie mich anschrie und mit den Fäusten schüttelte. Die Entscheidung für Irland war leicht. Osten war schon einmal dort gewesen und ich hatte mich immer danach gesehen, dieses Land zu besuchen und zu erleben. Italien war ein Ort, den Osten unbedingt sehen wollte und Südsilien war dafür bekannt, wild zu sein. Und ich glaube, das wollten wir beide. Wir wollten dieses Gefühl von Abenteuer. Als wir beschlossen, nach Italien in Kroatien, die ich hatte, war ein Studienfreund, der mir ein paar einfache Redewendungen beigebracht hatte. Mit den Beschränkungen unserer Pässe und der Einreise in den Schenkenraum, zeigten wir auf eine Landkarte und beschlossen, dass Split-Kroatien der nächste Ort sein würde, an dem wir leben würden. Spannend. Also jetzt haben wir eine ganz schöne Reise hingelegt. Nicht nur von der Altersspanne, sondern auch kilometertechnisch.
0: 37:15Scheinbar hat er jetzt einen Partner gefunden und ich meine sie sind verlobt, hat er erzählt. Und haben einen Schnitzel. Und haben einen Hund, einen Dackel, einen deutschen Dackel, namens Schnitzel. Was ich schon mal sehr witzig finde. Aber es ist auch spannend zu hören, dass er jetzt dieses Leben, was er zuvor, er hatte ja beschrieben, dass diese Unbeständigkeit in seiner Kindheit ihm eine gewisse Art von Unsicherheit vermittelt hat. Ja. Als er dann ein bisschen länger an einem Ort war, hätte man so das Gefühl ja haben können, jetzt kommt die Sicherheit, jetzt kommt das Gefühl von Sicherheit. Was ist aber passiert? Ihm ist bewusst geworden, so durch seinen damaligen Freund, irgendwie bin ich wohl anders als die anderen und dann kam diese Unsicherheit wieder. Dann hat er diese Unsicherheit permanent erlebt über sein Leben hinweg. Dann hat er sich dieser Unsicherheit entzogen, aktiv, weil er gesagt hat, ich möchte so nicht mehr sein nach dem Studium und hat sich ein Leben scheinbar aufgebaut, um diese Sicherheit zu erlangen. Dann hat er diese Sicherheit scheinbar gehabt, dann kam Covid, was wieder Unsicherheit mit sich gebracht hat.
0: 38:27Und dann hat er gesagt, lasst uns, oder beide haben sich gesagt, lasst uns gehen, lasst uns eine neue Heimat suchen. Was wieder eine extreme Unsicherheit mit sich bringt, weil er weder das Land kennt, noch kennt er die Kultur. Natürlich kann es auch etwas sein im Sinne von, du erlebst etwas, du lernst das kennen. Aber es gibt auch, es bringt dir immer eine gewisse Art von Unsicherheit gekommen, um die finale Sicherheit zu bekommen. Das heißt also, dass das meines Erachtens nach von sehr, sehr viel Stärke zeugt, freiwillig sich wieder in alte Situationen zu begeben, das heißt in Unsicherheiten, um das Glück zu finden, was man für sich sucht. Das bedeutet sehr viel Mut und es bedeutet auch, sich etwas zu trauen.
0: 39:18Das finde ich in diesem Fall natürlich spannend, weil diese Unsicherheit auch sehr viel mit der Kindheit zu tun hat und eben das vielleicht auch diese Unsicherheit Sicherheit ihm schenkt. Und es gibt, ich weiß noch im Studium hatten wir mal, ich weiß nicht mehr den genauen Kontext, aber da ging es auch darum in Psychologie, dass man, wenn man viel Unsicherheit in der Kindheit erfahren hat und wenn man sich dann in einer sicheren Situation befindet, dann vermisst man etwas. Und das ist, dann kann sein, dass das dann die Unsicherheit aus der Kindheit ist, weil das für einen Heimat ist, weil das für einen das wohlige Gefühl von früher war. Vielleicht ist es damit verbunden, dass dieses wohlige Gefühl der Unsicherheit, auch wenn es halt kein wohliges Gefühl ist, aber dieses Gefühl von Unsicherheit in ihm am Ende des Tages ihn geweckt hat im Sinne von da ist noch mehr, lass uns rausfinden was das ist und auch wenn es schwierig ist.
0: 40:16Spannend, auch die Wahl der Länder finde ich spannend. Finde ich auch sehr cool. Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich erwartet hatte, als wir Palermo verließen und nach Split aufbrachen. Wir wussten, dass Split an der Adria liegt und dass das ganze Land einst zu Jugoslawien gehört hatte. Aber keiner von uns war je dort gewesen und nach dem hektischen Chaos auf Sizilien hofften wir, dass es etwas friedlicher sein würde. Kroatien war genau das, was wir nach der Zeit auf Sizilien brauchten. Wir wohnten in einem ruhigen Teil der Stadt, weg vom Zentrum, in einer ebenerdigen Wohnung. Auf der einen Seite des Gebäudes befand sich der Berg mit dem Telegringipfel in Sichtweite, auf der anderen Seite, ein paar Straßen weiter, befand sich das Meer und ein herrlicher Blick auf die Inseln vor der Küste. Wo Palermo trocken und braun war, mit Steinen und wenig Gras, fühlte sich Split üppig an, und die Küste war von Kiefer und Olivenbäumen gesäumt. Wir fühlten uns mit der Natur auf eine Art und Weise verbunden, die uns das Gefühl gab, wir könnten unsere Wachsamkeit ein wenig fallen lassen. Obwohl wir mit der Sprache zu kämpfen hatten, die für uns viel schwieriger war als Italienisch, lächelten uns die Einheimischen immer an und wir hatten das Gefühl, dass wir uns auch ohne Worte verstanden.
0: 41:38Unsere Begegnungen mit den Kroaten waren immer herzlich und wenn wir unsere geleglichen kroatisch Kenntnisse einsetzten, fühlten wir uns, dank ihres Lächelns und ihrer Herzlichkeit, dort sehr wohl. Abgesehen von der Schönheit der Natur und der Liebenswürdigkeit der Menschen wird Kroatien für uns immer ein besonderer Ort bleiben, denn hier wurde uns klar, dass wir viel länger als geplant in Europa bleiben wollten. Wir hatten uns schon gesagt, dass es unser Ziel sein würde, nach Deutschland zu ziehen. Und wenn Austin einen englischsprachigen Job finden würde, der ihm ein Visum gewähren würde, wäre es für uns die Möglichkeit. Wir waren beide schon mehrmals zusammen in Deutschland gewesen und ich hatte während meines Studiums einige Zeit im Ausland verbracht. Etwa sechs oder sieben Wochen nach unserem Aufenthalt in Kroatien wurde Orsten eine Stelle in Deutschland bei einem Unternehmen angeboten, in dem Englisch die Arbeitssprache war. Das war ein Moment, mit dem keiner von uns gerechnet hatte, aber wir wussten sofort, dass er unser ganzes Leben verändern würde.
0: 42:43Spannend. Okay, also jetzt steht fest, es geht nach Deutschland. Richtig. Sie haben aber vorher, das hat er jetzt nicht erzählt gehabt, Liam, sie hatten ja, also zu Beginn hatte er nicht erzählt, dass sie als Ziel hatten, irgendwann nach Deutschland zu gehen. Nee, aber im Verlauf des Textes wurde das klar. Ja, auf jeden Fall, aber ich meine jetzt, als sie auf Reisen gegangen sind, er hatte nicht vorher gesagt, dass das Endziel Deutschland sein sollte. Das heißt, er hatte ja nur gesagt, entweder, also sie konnten Französisch oder Deutsch und sie wussten Europa irgendwie. Echt, echt. Deshalb umso spannender, dass es jetzt dann Deutschland wurde. Aber wer hätte es gedacht, wir lesen hier gerade einen deutschen Brief, dass es doch irgendwann mal dann doch nach Deutschland geht.
0: 43:26Aber sechs Wochen in Kroatien ist auch nicht lange. Und gerade wenn er sagt, auf Sizilien war es sehr hektisch, sehr laut, sehr wild. Und dann haben sie die Ruhe gesucht und waren sechs Wochen dort, haben sie bekommen die Ruhe. Und nach sechs Wochen bekommst du Bescheid, dass du eine Stelle in Deutschland bekommst. Und du hast das Gefühl, also nach sechs Wochen, ich meine, da kann schon mal so ein Gefühl aufkommen mit Erholung langsam. Aber am Ende des Tages ist dieses Gefühl von Erholung noch nicht wirklich erreicht nach sechs Wochen. Also das ist zu kurz. Vor allen Dingen, wenn du halt irgendwie die ganze Zeit unterwegs bist. Also zumindest für mein Empfinden. Und dann nach sechs Wochen zu erfahren, jetzt geht es nach Deutschland, da denke ich mir auch, oh, jetzt geht es ja schon wieder los.
0: 44:12Ein rastloser junger Mann. Scheint so, ja. Ob das wohl mit der Kindheit zusammenhängt? Wollte ich gerade sagen. Kann ja gut sein, ne? Ja. Während Orsten umzog, um die Visa-Formalitäten zu erledigen, blieb ich mit Schnitzel und den meisten unserer Sachen im Split. Sechs Wochen lang war ich ohne Orsten und das war sehr schwierig. Bis zu dem Zeitpunkt waren wir fast ständig zusammen. Wegen Covid hatten wir im Jahr zuvor von zu Hause aus gearbeitet und zwischen Irland und Italien hatten wir nur noch uns selbst. An dem Tag, als er mit dem Taxi zum Flughafen fuhr, auf dem Weg nach Frankfurt, stand ich mit Schnitzel da und fragte mich, was die nächsten sechs Wochen bringen würden.
0: 44:53In dieser Zeit wurde mir klar, dass Orsten nicht nur mein Lebenspartner geworden war, sondern auch meine Familie und mein Zuhause. Heimat war und ist überall dort, wo Orsten und ich zusammen sein können. Ich könnte noch viel mehr darüber erzählen, was wir beide in diesen Wochen der Trennung durchgemacht haben, aber das Wichtigste war, wie sehr wir uns lieben und einander vertrauen lernten. Das war etwas, was ich zuvor noch nie mit einem anderen Menschen erlebt hatte. Obwohl ich wusste, dass ich ihn liebte, fühlte sich die Erkenntnis, dass dieser Mensch mein Zuhause, meine Familie war, an, als hätte sich der Kreis geschlossen. Für uns beide war der Umzug nach Deutschland einer dieser Träume, die wahr werden.
0: 45:37Wir bekamen beide einen Job und ein Visum und fanden eine Wohnung. Nach neun Monaten, in denen wir von Land zu Land gezogen waren, begannen wir endlich, unser Leben auf Dauer neu aufzubauen. Wenn ich genau erklären müsste, wie mich das Verlassen des Landes, in dem ich geboren wurde, verändert hat, würde ich sagen, dass ich Heimat und Familie nun in einem viel größeren Zusammenhang sehe. Durch unsere ausgedehnten Reisen habe ich jetzt Freunde auf fast allen Kontinenten. Und deshalb betrachte ich Heimat nicht mehr als ein Land oder gar ein Kontinent, sondern als einen Planeten, auf dem wir alle leben.
0: 46:12Es ist ein Konzept, das ich auf einer Mikroebene als den Ort definieren kann, an dem Orsner und ich zusammen sind. Natürlich ist mein Heimatland jetzt Deutschland. Das bedeutet, dass ich alles überdenken muss, was mir jemals über soziale Umgangsformen beigebracht wurde. Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass das Leben in Deutschland als Ausländer einfach ist. Wenn ich jedoch bedenke, warum wir uns entschieden haben, hierher zu ziehen, überwiegen die Gründe dafür bei weitem den Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert wurden. Als jemand, der in den Vereinigten Staaten geboren wurde, werde ich regelmäßig gefragt, warum Deutschland? Ehrlich gesagt, ist es schwer, diese Frage zu beantworten.
0: 46:55Ich glaube, ich kann nur das sagen, was die meisten Einwanderer sagen, um ein besseres Leben führen zu können. Früher hatte sich mein Alltag mehr darum gedreht, wie ich meinen Studienkredit abbezahlen kann, wie ich es mir leisten kann, zum Arzt zu gehen, was immer teuer war, oder was ich tun würde, wenn mein Auto gewartet werden muss. Das Leben in der USA kann abenteuerlich sein und es gibt viele Möglichkeiten, Geld zu verdienen – der gute, alte, amerikanische Traum. Aber die Realität ist auch, dass das Leben schwierig sein kann. Die Gesundheitsversorgung ist teuer, die Ausbildung an Colleges und Universitäten bedeutet für die meisten Studenten eine jahrzehntelange Rückzahlung von Schulden und die Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs, vielerorts sogar die Bürgersteige, sind miserabel. Das Leben der meisten Menschen in der USA ist nicht das, was man in Filmen oder Fernsehsendungen sieht. Als wir beschlossen, das Land zu verlassen, stellten wir uns die Frage, an welchem Ort wir leben wollten, wenn es um die Lebensqualität geht. Bei unserer Entscheidung ging es nicht nur darum, uns selbst zu schützen, sondern auch darum, unser Glück zu finden.
0: 48:07Also es ist spannend, jetzt noch mal zu betrachten, er hat einfach gelebt. Er hat nicht mehr gesucht. Und es war, also ab da, als er weggezogen ist und einfach gemacht hat, wie er es für richtig hielt, hat er ja, zumindest hier im Brief, nicht mehr darüber gesprochen, was für ihn Heimat bedeutet und sein Zuhause, was das für ihn bedeutet. Wir wissen jetzt nicht, wann Austin in sein Leben kam, in welchem Alter er ungefähr war, aber da kannten sie sich noch nicht. Also zumindest waren sie da noch nicht zusammen, weil da war er ja noch mit dem anderen Partner zusammen. Und dort hat er für sich sozusagen, also zumindest scheinbar, hatte hier die Definition von Familie und von Heimat einfach mal außen vor gelassen und hat einfach gelebt. Und später, als Austin weg musste für sechs Wochen und er alleine war mit Schnitzel im Split, war er im Split, ne? Ja. Hat er sich wieder die Frage gestellt.
0: 49:28Beziehungsweise er hat sich gar nicht mehr die Frage gestellt, sondern er hat mit einmal die Antwort bekommen. Das ist meine Heimat. Das ist das, was für mich Familie und Heimat bedeutet. Das ist Austin. Eine spannende Erkenntnis, dass er, also wenn man das mal nur so betrachtet, dass das über so einen Zeitraum sich so erschließt. Ja. Oder wobei, man könnte jetzt noch sagen, also das mit dem amerikanischen Traum gehe ich mit. Ich glaube, dass viele von uns eine verquerte Vorstellung von den USA haben und was es bedeutet in den USA zu leben und groß zu werden. Ich glaube, dass er aber auch noch mal das andere Extrem erlebt hat. Ich glaube, es gibt zwei Extreme.
0: 50:13Das Extrem, du kannst alles haben und alles ist möglich und du wächst in New York City oder Los Angeles, was auch immer auf. Du kannst aber auch das Extrem haben, so wie er, irgendwo im Nirgendwo groß zu werden, wo nichts ist, außer Mais und Soja und deine Geschwister. Und ich glaube, dass, und die USA ist groß, viele so aufwachsen, aber das wird nicht gezeigt. Weil da ist ja nichts. Das soll man da auch zeigen, ne? Das ist der Punkt. Der amerikanische Traum. Und das ist der Punkt. Das ist nicht das, wie man die USA darstellen möchte, wie die USA sich selbst darstellen möchte, nehme ich mal an.
0: 50:53Und deshalb wird uns in Europa ein sehr einseitiges Bild gezeigt von den USA. Und deshalb vermute ich auch, dass viele von uns so eine quere Vorstellung dessen haben, was Amerika bedeutet. Und das Verrückte ist, dass es so viele Leute gibt, die davon träumen, in Deutschland zu wohnen, in die USA zu gehen, auszuwandern, was auch immer. Also ich alleine kenne, keine Ahnung, vier, fünf Leute, die das schon geäußert haben oder selber es schon gemacht haben, für eine gewisse Zeit dort hinzugehen. Und er, der dort war, aktiv sich dazu entschieden hat, nach Deutschland zu kommen. Das ist auch sehr, sehr spannend. Dieses Gefühl von Sicherheit auch wieder hier sucht, weil er ja ganz klar sagt, du bist halt hier in Deutschland und hier läuft es ein bisschen anders und in den USA hast du ja nicht mal richtige Straßen, die da sind. Du hast hier das Gefühl von Sicherheit, weil du kannst einfach zum Arzt gehen. Du hast es ja drüben nicht. Das sind halt so Punkte, da sucht er diese Sicherheit, die er nicht in den USA findet.
0: 51:55Es ist nun schon ein paar Jahre her, dass wir Indiana verlassen haben und bald werden es zwei Jahre sein, die wir hier in Deutschland leben. Was wir am meisten an den USA vermissen, sind ohne Fragen die Menschen. Obwohl das Land mit vielen sozialen Unruhen und systematischen Problemen zu kämpfen hat, gibt es etwas an den US-Amerikanern, was wir in keiner anderen Kultur, die wir seit unserer Abreise kennengelernt haben, gefunden haben. Eine Offenheit gegenüber Gefühlen und einen gesünderen Ausdruck von Verletzlichkeit. Während wir die Effizienz und Sachlichkeit der Deutschen lieben, vermissen wir die emotionale Verwendung und die Betonung des künstlerischen und empathischen Ausdrucks. Das soll nicht heißen, dass wir keine Deutsche getroffen haben, die offen für den Ausdruck sind, aber die Kultur im Allgemeinen fördert diese Art der Lebenseinstellung nicht. Was ich persönlich als Einwanderer in Deutschland gelernt habe, ist, dass Kultur so viel mehr ist als nur eine Sprache. Sie umfasst die Werte, die wir bestimmten Dingen oder Kommunikationsweisen beimessen. Sie wurzelt in ähnlichen Lebenserfahrungen oder gemeinsamen Dingen aus der Kindheit. Der Kulturschock, den ich hier erlebt habe, besteht darin, die Feinheiten der Kommunikation nicht zu kennen oder zu verstehen. Zum Beispiel wurde mir beigebracht, freundlich zu Fremden zu sein und sie sogar in der Öffentlichkeit herzlich zu begrüßen, ohne ihren Namen zu kennen. Vom College erfuhr ich, dass dies in Deutschland nicht üblich ist. Während ich den Mangel an öffentlicher Freundlichkeit gegenüber Fremden als Kälte und Gemeinheit interpretierte, hielten die Deutschen meine Freundlichkeit für falsch oder oberflächlich. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass die Deutschen vor allem durch Einzelaktionen im Hinblick auf ein größeres Ziel zusammenarbeiten, während die Amerikaner die kommunikative Zusammenarbeit schätzen, bei der Ideen offen ausgetauscht werden. Agile Arbeitsmethoden, um nur ein Beispiel zu nennen, sind den Deutschen Arbeitsweisen nicht angeboren. Wo ich eine ineffiziente Abschottung und einen Mangel an Kommunikation sah, sahen die deutschen Menschen die Arbeiten und nicht zuließen, dass Gespräche die Arbeit behinderten.
0: 54:12Ich habe bei dem Versuch, die deutsche Kultur zu verstehen, viel über mich selbst gelernt. Es gibt Tage, an denen ich aufgeben und dorthin zurückkehren möchte, wo ich besser verstanden werde und wo ich nicht über jedes kleine Wort oder jede Handlung nachdenken muss, die ich sage. Gleichzeitig liebe ich es aber auch, in Deutschland zu leben. Ich genieße es, zum Arzt gehen zu können, ohne Angst vor dem finanziellen Ruin zu haben. Ich bin froh, kein Auto zu brauchen und trotzdem reisen zu können. Es ist wunderbar zu wissen, dass ich mich weiterbilden kann, ohne die Last der Schulden. Ich genieße es auch, von den Deutschen zu lernen. Ich habe gelernt, dass es in Ordnung ist, Fremde zu respektieren, ohne mit ihnen über alltägliche Dinge sprechen zu müssen. Ich lerne weiter über die Geschichte und die Kultur, denn es gab viele Dinge, die ich als Schüler in der USA nie über Deutschland gelernt habe. Das Leben in einem anderen Land und in einer anderen Kultur hat meine Vorstellung von Heimat und Familie nur erweitert. Wenn jemand von Heimat spricht, hat das etwas mit Verständnis, Erinnerungen und Geschichten zu tun.
0: 55:17Manchmal gibt es eine warme Zuneigung für die Heimat und manchmal ist sie mit emotionalem Schmerz oder Trauma verbunden. Für mich wird Deutschland immer eines meiner Zuhause sein, weil ich hier so viel bedeutsame Erinnerung gesammelt habe. Wenn ich an Familien denke, denke ich nicht nur an meine Eltern oder Geschwister, sondern an alle, die mir in meinem Leben Liebe, Ermutigung und Unterstützung gegeben haben. Jetzt, wo ich in Deutschland bin, sind mein Herz und mein Geist offen dafür, meine Familie, meinen Stamm hier zu erweitern. Die Reise von dem Marienkäferhaus in Indiana bis zu meinem jetzigen Wohnort in Deutschland war geprägt von Veränderungen und den sich ständig verändernden Unterschieden zwischen dem, was mein Zuhause war und wen ich als meine Familie bezeichnete.
0: 56:09Diese beiden Konzepte brachten mich dazu, Ort und Menschen tiefer zu verstehen, als mir beigebracht worden war. Letztendlich haben wir als Menschen die Umwelt um uns herum und die Menschen, die unser Leben beeinflussen. Die Entscheidung, in Deutschland zu leben, hat beides für mich verändert. Und ich bin dankbar dafür, dass ich bin, wo ich bin. Die letzten Jahre führten mich aus der USA nach Irland, von Irland nach Italien, Kroatien und von Kroatien aus nach Deutschland. Was ich gelernt habe, ist etwas zutiefst Persönliches und Erfüllendes. Obwohl ich in meinem Leben Schmerz und Schwierigkeiten erfahren habe, sogar den Stachel der Ablehnung durch meine eigenen Eltern, bin ich voller Hoffnung, weil ich aus erster Hand die Widerstandskraft der Menschen erlebt habe. In Irland habe ich gesehen, wie ein Volk, das in seine Stimme gekämpft hat, das Leben mit einer solchen Verspieltheit und Freude lebt. In Sizilien habe ich beobachtet, wie ein Volk selbst nach brutaler und gewalttätiger Korruption weitermachen konnte. In Kroatien war ich von der Freundlichkeit der Fremden berührt, in Deutschland habe ich gelernt, wie ein Volk zusammenkam und ein Land wieder aufgebaut hat, das in Trümmern lag. Jedes dieser Kapitel, in denen ich unter den Menschen verschiedener Länder gelebt habe, war eine Erweiterung meines Verständnisses dessen, wer ich bin.
0: 57:29Mein geistiges Auge wandert immer wieder zu dem Marienkäferhaus zurück. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was die Zukunft für mich bereithalten wird. Aber alles, was mich bis zum Hier und Jetzt geführt hat, hat mich gelehrt, an die Liebe zu glauben und zu hoffen, dass alles mehr als in Ordnung sein wird. Das Leben ist groß. Mein neunjähriges Ich hätte sich nie vorstellen können, dass ich mich einmal zwischen Schlössern in Deutschland wiederfinden würde. Aber es wäre so stolz auf alles, was ich erreicht habe. Das war unsere Geschichte von Liam. Was denkst du abschließend dazu? Mich würde interessieren, wie der Kontakt zu den Eltern ausgegangen ist.
0: 58:18Also hat er Kontakt zu seinen Eltern? Oder hat er krank? Wie intensiv ist er? Wissen die Eltern, dass er verlobt ist mit Orsten? Haben sie Orsten vielleicht sogar schon kennengelernt? Das sind Fragen, die offen bleiben. Dann stelle ich mir die Frage, hat er das Bedürfnis vielleicht, oder sagt er, ist Deutschland jetzt sein Endziel? Hat er das Gefühl, er ist jetzt wirklich angekommen? Oder ist er fast vielleicht sogar schon wieder auf dem Sprung? Weil es ist, also er hat ja geschrieben, zwei Jahre, gell? Zwei Jahre ist er in Deutschland.
0: 59:01Richtig. Zwei Jahre ist noch nicht unfassbar lang, aber zwei Jahre gibt dir schon ein gewisses Gefühl von Beständigkeit. So, jetzt bist du angekommen, jetzt weißt du, was passiert. Von Vertrautheit. Genau, was um dich herum passiert. Und da stelle ich mir die Frage, ist er jetzt fast schon wieder auf dem Sprung oder hat er das Gefühl, jetzt bin ich hier richtig, jetzt bin ich angekommen, jetzt kann ich hier weitermachen. Das hätte ich gerne auch noch irgendwie so beantwortet bekommen. Vielleicht reicht es Liam aber auch nicht woanders hinzuziehen, sondern einfach Urlaub in anderen Ländern zu machen. Vielleicht hat er ja tatsächlich seine finale Heimat gefunden. Aber das davor war kein Urlaub?
0: 59:49Nee, das ist richtig. Das war die Suche? Richtig, aber vielleicht ist ja seine Suche jetzt beendet. Und vielleicht möchte er jetzt für immer hierbleiben. Und aber weil er diese Reiselust hat, woanders Urlaub machen? Ja, kann man so sehen und Reiselust kann man es auch nennen. Ich glaube aber mehr, dass es um das Gefühl des Nichtwissens geht, der Unsicherheit, des Neuen, des Verborgenen und weil er das gewohnt war. Ich glaube, es ist eine Mischung aus Sicherheitsbedürfnis, also Unsicherheit, Sicherheitsbedürfnis muss man genauer nennen und dem Gefühl von neuen Kulturen. Ja, vielleicht. Ja, spannende Geschichte muss man sagen.
1: 00:43Ich würde gerne wissen, was er macht. Und ich würde sehr gerne wissen, wie es Liam heute geht. Er hat nur geschrieben, dass er stolz auf sein neunjähriges Ich wäre. Oder dass sein neunjähriges Ich wäre stolz auf ihn. Und er geht ja immer wieder, hatte diesen Rückruf zum Marienkäferhaus gesucht. Und ich stelle mir die Frage, kann er sich selbst sein Stolz eingestehen oder kann er es nicht? Und deswegen sucht er den Rückbezug zu seinem neunjährigen ich und in dieser welt war alles noch gut vielleicht und da wo alles gut war könnte er sich jetzt das gefühl von stolz zugestehen aber in der heutigen welt weiß ich nicht danke liam danke dass du deine geschichte mit uns geteilt hast danke liam und bis zum mal. Hier noch eine Anmerkung. Wenn du von den besprochenen Themen betroffen bist oder Unterstützung benötigst, bitte zögere nicht Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hol dir Unterstützung bei professionellen Hilfseinrichtungen oder dir vertrauten Personen. Bis zum nächsten Mal bei Von Bohne zu Bohne. Du willst selbst bei uns dabei sein? Dann melde dich auf unserer Website oder oder unsere Social Media.
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