#2 Johanna: Sein zweites ich in seinem Ohr
Shownotes
In dieser Episode teilt Johanna ihre persönliche Geschichte über die Drogensucht, Depression und Schizophrenie ihres Vaters. Dabei berichtet Johanna von den Schwierigkeiten und Ängsten, mit denen sie konfrontiert war. Sie erzählt auf berührende Weise von den Herausforderungen, aber auch von der Hoffnung und der Suche nach Liebe und Geborgenheit inmitten der psychischen Erkrankung ihres Vaters.
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Transkript anzeigen
0: 00:00Triggerwarnung! Bevor wir beginnen, möchten wir dich auf etwas Wichtiges hinweisen. Uns sind deine Sicherheit und Gefühle wichtig. Wir möchten gewährleisten, dass du dich während des Hörens unseres Podcasts wohlfühlst und keine unerwarteten Auslöser erlebst. In dieser Episode werden wir Themen ansprechen, die für einige Hörende verstörend sein könnten. Zu Beginn der Folge stellen wir das Thema vor. Falls du denkst, dass das genannte Thema für dich persönlich belastend sein könnte, dann möchten wir dich bitten, die Folge direkt zu beenden. Stell dir vor, du kommst in einen Raum, vor dir sitzt ein Mensch und du hast keine Ahnung, wer das ist. Das passiert mir in jeder Folge bei unserem Podcast von Bohne zu Bohne. Mein Name ist Charlotte und ich weiß vorher nichts über unsere Gäste. Kein Name, keine Information, keine Themen. Also werden meine Fragen auch deine Fragen sein. Ich bin Sanja und ich suche die Gäste.
0: 00:54Hier achte ich darauf, dass es Menschen mit spannenden Persönlichkeiten und faszinierenden Erlebnissen sind. Und genau die wollen wir mit euch teilen. Bist du bereit, gemeinsam mit Charlotte neue Geschichten kennenzulernen? Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge. Mein Name ist Charlotte. Mein Name ist Sanja. Mein Name ist Johanna und ich bin bei einem schizophrenen Fahrtag ausgeboren. Oh, da kriege ich direkt Gänsehaut. Oh je. Hallo Johanna, schön, dass du heute hier bist und dich traust, deine Geschichte mit uns zu teilen.
0: 01:28Sehr gerne. Magst du vorab erstmal ein bisschen was über dich erzählen? Sehr gern. Ich habe eben schon erwähnt, ich würde wahrscheinlich chronologisch erzählen ein bisschen, weil die Geschichte eben sonst ein bisschen komplex werden kann an der einen oder anderen Stelle. Ja, es ist so ein bisschen schwer zu datieren, quasi, wann dieses Thema in mein Leben trat. Was ich weiß im Nachhinein vor allem ist, dass mein Vater schon, seit ich auf der Welt bin, unter Depressionen litt und auch eine Suchterkrankung vorweist, also Cannababis-abhängig ist. Ja, die ersten Jahre meines Lebens waren aber eigentlich sehr friedlich. Also nach meiner Erinnerung. Ich bin in einem behüteten Umfeld groß geworden. Meine Eltern waren damals auch noch verheiratet. Meine Schwester kam drei Jahre nach mir auf die Welt.
0: 02:15Das heißt, du bist die Älteste? Genau, ich bin die Älteste. Und ihr seid zu zweit? Wir sind nur zu zweit, genau. Und mein Vater war auch ein sehr engagierter Vater. Also mein Vater war nie einer dieser Väter, die nur arbeiten gehen oder so. Das war dem immer ganz wichtig, auch für uns da zu sein. Meine Mutter war selbstständig und hat auch gern mit uns Zeit verbracht. Wir hatten gute Anbindungen, Freundinnen und so weiter. Also ich hatte wirklich eine sehr schöne Kindheit, denke ich immer. Und dann haben sich meine Eltern scheiden lassen, da war ich sieben Jahre alt.
0: 02:46Das an sich war auch überhaupt kein Problem. Meine Eltern haben sich in Frieden scheiden lassen. Beide hatten, glaube ich, nicht mehr wirklich Lust auf diese Ehe und dann war das auch irgendwie vorbei. Hast du das gemerkt, so in der Kindheit, dass es da Streit gab oder ähnliches? Ja, ich habe gemerkt, ich weiß auch heute mehr von meiner Mutter, was da irgendwie so gelaufen ist, was sie uns natürlich als Kinder nicht erzählt hat. Ich glaube einfach, dass mein Vater schon damals eigentlich so schwer psychisch krank war und durch die Drogensucht auch einfach nicht sonderlich erreichbar, dass meine Mutter sich ziemlich abgekämpft hat, immer überhaupt irgendwas quasi zurückgemeldet zu bekommen. Und ich habe immer gemerkt, dass sie halt wahnsinnig sauer war und mein Vater halt nicht darauf eingegangen ist.
0: 03:28Also mein Vater ist da manchmal im Streit einfach gegangen, einfach so, also ohne großartig was zu sagen oder ich glaube, also Gewalt gab es da nie, aber es waren schon durchaus sehr konfliktreiche Auseinandersetzungen. Ich weiß noch, als sie sich dann haben scheiden lassen, dachte ich ehrlich gesagt nur endlich. Und dachte, super, dann habe ich zwei Kinderzimmer. Mich hat das irgendwie gar nicht gestört. Ich fand das gar nicht schlimm. Wie alt warst du da? Da war ich sieben, sechs oder sieben, so was. Also so erste, zweite Klasse. Und meine Mutter zog dann aus, hatte auch einen neuen Partner. Auch mit dem war es kein Problem.
0: 04:05Du warst dann bei deiner Mutter? Bei beiden. Wir hatten ein geteiltes Sorgerecht quasi. Das heißt, eine Woche bei meinem Vater, eine Woche bei meiner Mutter. Das haben wir auch sehr lange so gelebt. Das war kein Problem. Das hat mich nie gestört. Ich fand das immer toll, weil ich mich nie entscheiden musste, bei wem ich jetzt hätte leben wollen. Ich wollte bei beiden sein und die Möglichkeit gab es. Und deswegen haben wir das dann so behandelt. Meine Schwester ist dann immer mit umgezogen quasi jede Woche und das war für uns überhaupt kein Problem. Wie hat sich die Drogensucht bei deinem Vater ausgedrückt?
0: 04:38Hast du das als Kind mitbekommen? Das meine ich halt. Ich habe das gar nicht mitbekommen. Also ich habe das beziehungsweise damals nicht realisiert. Und wenn erst später. Ich glaube, da war ich so klein, dass ich das gar nicht gesehen habe. Also mein Vater war auch immer Raucher, deswegen konnte ich das schwer trennen, also kann das auch heute schwer trennen, was jetzt da ein Joint gewesen sein könnte und was eine normale Zigarette war. Er hat seine Zigaretten gedreht, also es hätte beides sein können, ich kann es nicht sagen. Und der war immer wieder schon auch mal passiv und abwesend und nicht so Auch manchmal sehr witzig, sehr laut. Mein Vater ist ein kreativer, humorvoller Mensch. Das kann halt zum Teil gewesen sein, weil er halt einfach ein bisschen stoned war. Und es kann aber auch sein, dass er einfach gut drauf war.
0: 05:24Also das kann ich überhaupt nicht nachverfolgen, was jetzt davon was war. Irgendwie, das könnte ich nicht sagen. Ich weiß aber eben heute, dass er jeden Tag gekifft hat. Also dass er durchaus jeden Tag Drogen konsumiert hat. Deswegen ist halt so die Frage, habe ich den je wirklich nüchtern erlebt? Also, ich weiß gar nicht, ob es diese Momente gab. Das kann ich halt auch nicht zurückverfolgen irgendwie. Das sind alles Dinge, die weiß ich jedem von meiner Mutter. Also, sie hat mir das dann, da war ich dann irgendwie 13, 14, wo ich das Ausmaß verstehen konnte quasi, hat sie mir das dann eben nach und nach so ein bisschen näher gebracht.
0: 05:59Damals könnte ich das aber, also für mich war mein Vater ein ganz normaler Vater bzw. sogar cooler als die anderen Väter. Eben weil er interessiert war, weil der voll dabei war, weil der witzig war. Der hat gern mit uns Sachen unternommen, der war nicht langweilig und kantig und irgendwie sowas kannte ich von meinem Vater so nicht. Also ich glaube zu anderen bestimmt, aber zu uns als Kindern auf jeden Fall nicht die ersten Jahre. Und von daher hat er auch lauter Sachen immer mit uns gemacht, die sonst meine Mutter, wo die auch keine Lust drauf hatte, der war, weiß ich nicht, glaub zehnmal mit mir im ersten Harry Potter Film oder so. Also häufig genug auf jeden Fall. Und das sind so Sachen, wo ich denke, ja gut, also da haben die wenigsten Eltern überhaupt Lust drauf. Und deswegen kann ich entsprechend sagen, das habe ich überhaupt nicht so wahrgenommen, aber ich kann es eben auch nicht deuten. Wo geht deine Geschichte dann weiter? Also die Scheidung war dann die ersten Jahre, habt ihr so zusammen gewohnt jeweils? Ja, dann ging es so langsam los, dass er immer weniger Vater sein konnte. Also dass er einfach, der hat seine Aufgaben schleifen lassen, die man als Vater eben so hat. Also bis es so weit war, was ich damals eben auch nicht realisiert habe, weil ich einfach auch sehr klein war, dass ich mich eigentlich vollständig um meine Schwester kümmerte und um mich und um ihn. In welchem Alter war das? Das war so mit spätestens 10 Jahren, schätze ich heute.
0: 07:17Ich kann es ehrlich gesagt auch leider nicht mehr ganz genau sagen, weil ich zu manchen Sachen auch einfach Gedächtnislücken habe, die bestimmte traumatische Erlebnisse einfach nicht mehr fassen können. Und entsprechend kann ich das nur so ungefähr, es war halt ein schleichender Prozess, also irgendwas zwischen 10 und 12 muss das gewesen sein, dass er eigentlich die Aufgaben als Vater immer weiter abgab. Er wurde dann auch arbeitslos irgendwann und dann hatte er keinen Rhythmus mehr, glaube ich, keine für sich sinnvolle Aufgabe vielleicht. Welche Verantwortung hast du übernommen? Also hast du das Kochen, Putzen, Einkaufen, all dies übernommen? Außer Einkaufen eigentlich alles, ja.
0: 07:56Okay, und auch Rechnung? Putzen hat er auch noch selber gemacht. Also ich sag mal, um die äußerlichen Dinge konnte er sich ein bisschen kümmern. Er hat sich auch selber zum Beispiel regelmäßig noch sehr gepflegt. Mein Vater ist ein sehr eitler Mann, ein sehr schöner Mann gewesen auch früher. Das war dem immer sehr wichtig, also Badstutzen und regelmäßig zum Friseur. Das war dem immer ganz wichtig. Aber ich habe meine Schwester zum Beispiel gebadet, ich habe uns ins Bett gebracht, ich habe was zu essen gekocht eigentlich jeden Tag. Es gab, glaube ich, drei Jahre ungefähr das gleiche Essen, weil ich halt nichts anderes machen konnte als genau dieses eine Gericht.
0: 08:29Er hat dann schon, wenn er mal die Kraft hatte, dann ging es, aber das war immer seltener. Wie hat deine Mutter darauf reagiert? Hat sie das überhaupt mitbekommen? Sie hat es, glaube ich, vielen nicht mitbekommen. Ich weiß, dass sie ein paar Mal mit meinem Vater versucht hat zu sprechen und auch immer wieder gesagt hat, dass sie glaubt, dass er Hilfe braucht, dass er scheinbar nicht mehr richtig mit uns klarkommt, aber ist da einfach nicht durchgekommen irgendwie und war dann eben auch so in dieser Schwebe, nämlich jetzt dem Vater die Kinder weg, was passiert dann mit jemandem, der psychisch labil ist auch, also hatte selber große Ängste, Sorgen, nicht genug Kraft, um das quasi durchzusetzen schon, hat glaube ich für sich ihr Bestes probiert, hat immer wieder mit ihm gesprochen.
0: 09:14Ich war auch in manchen Situationen dabei, die mich dann sauer gemacht haben, weil ich dachte, warum reden die jetzt über sowas? Ich habe doch gerade ganz andere Probleme und habe überhaupt nicht realisiert, dass mein größtes Problem eigentlich eben genau das war. Meine Mutter hat, wie gesagt, für sich das Beste versucht, aber das war irgendwie leider nicht genug, erst mal so. Und dann, als ich 13 war, war es dann so weit, dass mein Vater wirklich von dieser bisher viel auch depressiven Episoden in starke Manien bis hin zu psychotischen Schüben rutschte. Also der fing an, ein ganz schön wildes Leben zu führen, ist viel ausgegangen, hat auch über seine Verhältnisse Geld ausgegeben. Also nie jetzt so schlimm, dass er sich in große Schuldenberge begeben hätte. Aber von jemandem, der eigentlich davor auch schon viel Verantwortungsbewusstsein hatte, blieb irgendwann nicht mehr so viel übrig.
0: 10:13Und dann auch wohl aggressiv wurde. Nicht mir gegenüber, aber meine Mutter und auch Freunde haben das wohl abbekommen in der einen oder anderen Situation. Uns gegenüber wurde er makulärischer, also konnte einfach sich, glaube ich, selber nicht mehr regulieren, wenn wir auch nur eine Sache falsch gemacht haben, war er einfach wahnsinnig befordert mit der Vaterrolle. Ich habe mir vor allem viel Sorgen gemacht. In welchem Alter warst du da ungefähr? Da war ich 13, 12, 13. Da ist es so gekippt. Ich hatte irgendwann auch eine sehr symbiotische Beziehung mit meinem Vater, weil ich so viel Verantwortung übernommen habe. Und weil ich dann fast, also ich möchte es nicht Freundinnersatz nennen, weil es immer nach sexualisierter Gewalt klingt und die habe ich nicht erlebt, aber mein Vater hatte irgendwann einfach auch keine großartigen Bezugspersonen mehr und deswegen war ich irgendwann seine Hauptbezugsperson. Wir haben fast jeden Samstag was unternommen, wir sind ins Museum gegangen, Kaffee trinken, einkaufen, was weiß ich.
0: 11:14Und ich hatte auch Spaß daran. So ist es nicht. Ich habe gerne Zeit mit meinem Vater vor Ort. Aber ich hatte auch ein stärkeres Verantwortungs- und Schuldbewusstsein für ihn als für meine Mutter. Also um meine Mutter habe ich mir nie Sorgen gemacht. Die hat ihr Leben gelebt und hatte ihre Partnerschaft und ihre Freundinnen und so. Meinem Vater hatte ich immer eher das Gefühl, der hat sowas von so einem einsamen Löwen irgendwie. Und ich hatte immer das Gefühl, ich muss den irgendwie so ein bisschen vor der eigenen Einsamkeit retten.
0: 11:41Würdest du sagen, dass er auch Dinge dir anvertraut hat, die du hättest nicht erfahren sollen in dem Alter? Das nicht. Also mein Vater ist gut, was pädagogisches Handeln angeht. Der weiß, was er sollte und was nicht als Vater und als erwachsener Mann mit seinen Kindern darüber zu sprechen. Und das hat er auch bis zum Ende so gehalten. Also es gab nie ein deutlich unangenehmes Gespräch für mich mit ihm, was in solche Richtungen ging. Das war das Einzige, was ich noch weiß, was ich traurig fand, dass er immer wieder davon sprach, dass er gern wieder eine Freundin hätte und ob wir was dagegen hätten, wenn er eine Freundin hätte. Und er hat auch manchmal Frauen kennengelernt und die waren dann aber auch sehr schnell wieder weg.
0: 12:24Und das war natürlich traurig für mich, weil ich gemerkt habe, dass er sich das sehr wünscht und dass es aber irgendwie nicht zustande kommt und ich eben nicht ausmachen konnte, warum. Wurde deinem Vater zu diesem Zeitpunkt schon irgendwas diagnostiziert? Nein, noch gar nicht. Also mein Vater war auch, soweit ich weiß, davor nie in psychischer Behandlung in irgendeiner Form, glaube ich. Ich weiß, da müsste ich meine Mutter noch mal nachfragen, weil meine Mutter den auch immer versucht hat, sie zu einer Therapie zu überreden und sich um sich selbst zu kümmern. Aber damit hatte sie einfach keine Erfolge. Die Diagnostik kam dann eben quasi zum, ja als ich so 13 war, weil er dann eben so krank wurde und diese manischen psychotischen Schübe so stark wurden, dass er halt in seinen ersten richtig psychotischen Schock gefallen ist und einfach abhaute, tagelang.
0: 13:18Also wir wussten viele Tage nicht, wo er ist. Wir wussten nicht, ob er lebt, ob er tot ist. Wir haben eine Polizeianzeige geschaltet, eine Suchanzeige, eine Vermisstenanzeige. Ich weiß heute nicht mehr, wie lang er weg war. Es kann sein, dass das nur drei Tage waren. Es kann sogar sein, dass es nur eine Nacht war oder länger. Ich kann es nicht mehr sagen. Ich habe kein Gespür mehr dafür. War das nur einmal? Nein, das hat sich seitdem bis heute eigentlich durchgezogen. Also da fängt eigentlich das Drama meiner Jugend so ein bisschen an. War das immer in Kombination mit diesem wilden Leben, was du erzählt hast?
0: 13:52Ja, also dazu komme ich gleich, glaube ich, noch genauer, wie sich das so zeigt. Ich merkte auch heute, wo ich mich selber viel damit beschäftigt habe und Kontakt zu anderen Menschen mit ähnlichen Krankheitsbildern habe, merke ich immer mehr Verbindungen und Verknüpfungen, die daraus so ein Bild entstehen lassen, das ich heute erst wirklich, vielleicht noch immer nicht ganz verstehe, aber mehr als zumindest damals. Ich weiß nur noch, dass meine Mutter kurz vorher, das ist drei Wochen vorher gewesen sein, zu uns kam und gesagt hat, ihr werdet diese Woche nicht zum Papa zurückgehen. Der Papa ist psychisch krank und der schafft es einfach nicht mehr für euch da zu sein. Und ich habe das auch meiner Mutter geglaubt. Also das war für mich nie ein Thema und ich war auch nicht sauer auf sie, überhaupt nicht. Ich habe das so angenommen.
0: 14:40Also das war für mich überhaupt kein Diskussionsthema. Ich habe da nur gefragt, wie lange so etwas dauert, ob er bis zu seinem Geburtstag wieder gesund wird, ob er bis Weihnachten wieder gesund sein kann. So Sachen, was Kinder mit 12, 13 Jahren irgendwie fragen. Und dann kam eben dieses erste Verschwinden, was wir heute darauf zurückführen, dass meine Mutter ihm halt wahrscheinlich mit dieser Wegnahme der Kinder so ein bisschen den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Ich greife das meiner Mutter überhaupt nicht an. Im Gegenteil, das war mehr als dringend notwendig, aber entsprechend, das war die Folge, wovor sie auch am meisten Angst hatte. Ja und dann wurde er gesucht, dann tauchte er irgendwann wieder auf. Wie gesagt, ich kann den Zeitraum nicht mehr genau sagen. Meine Mutter ist dann zu ihm gefahren, hat den sozialpsychiatrischen Dienst geschaltet, wollte ihn zwangseinweisen lassen, was schwer genug ist, das durchzusetzen.
0: 15:29Das hat dann, ich glaube, zwei Anläufe gebraucht, dass das überhaupt geklappt hat, weil mein Vater sich einfach auch sehr gut verstellen kann. Mein Vater ist Profi, mein Vater weiß, wie man sich gut verkauft und hat es erstmal geschafft, dass der Sozialpsychiatrische Dienst wieder abzog. Und dann gab es, ich weiß, ich kann es ehrlich gesagt wirklich nicht sagen, nochmal eben so einen Moment, wo meine Mutter dann eben nochmal den Sozialpsychiatrischen Dienst, ich glaube am nächsten oder übernächsten Tag, also sehr nah aneinander rief und dann war es wirklich so weit, dass er auch mitgenommen wurde in die geschützte Station, richtig, wurde dort aufgenommen. Wir haben ihn da besucht. Ich habe da noch eine Frage, wenn man dort anruft, ich weiß nicht, ob du den Prozess heute kennst, aber wenn man anruft und das einfach durchgibt, muss man sich dann da sofort drum kümmern und wie läuft da dieser Prozess ab, weißt du das?
0: 16:24Ich weiß es heute ungefähr, also ich habe mit denen nur einmal versucht zu sprechen, das war Jahre später. Du musst ja eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorweisen, damit es überhaupt machbar ist. Und man muss sagen, das ist so ein bisschen Ermessenssache. Also viele Dinge reichen da nicht aus. Eigentlich muss wirklich der Satz fallen, ich bringe dich um oder ich bringe mich um, so ungefähr. Und solange das nicht der Fall ist, ist das ganz schwer, das überhaupt durchzusetzen. Ich glaube, meine Mutter hat wirklich jedes Mittel gezogen, was ihr irgendwann recht wurde, damit es einfach stattfindet. Sie hat eben versucht mit den Kindern und dass er uns eventuell gefährden könnte, dass er abgehauen ist, dass er sich eventuell gefährden könnte. Das hat irgendwie dazu geklappt und es geht eben wirklich nur in diesen Akutsituationen. Also es muss wirklich on point jetzt stattfinden, wenn es soweit ist. Das heißt, du kannst nicht drei Tage später sagen, dass du das jetzt brauchst. Das geht, glaube ich, nicht. Meine Mutter hat es irgendwie geschafft. Ich weiß nicht mal, ob sie heute noch sagen könnte, wie das genau gelaufen ist. Aber sie hat es irgendwie geschafft beim zweiten Versuch. Dann ist sie eingewiesen worden. Wir sind den dann besuchen gegangen. Das war ein zusätzlich traumatisierendes Erlebnis.
0: 17:42Eine völlig überfüllte, geschützte, große Station, wo Menschen auf dem Flur schlafen mussten, weil es in den Zimmern keinen Platz mehr gab. Und mein Vater mitten drin. Das heißt, ihr durftet ihn dort auch besuchen? Genau, wir durften ihn besuchen als Familienangehörige. Uns hat aber niemand wirklich erklärt, was da jetzt passiert. Also das gab es alles nicht. Wir wurden dann auch angequatscht von irgendwelchen anderen PatientInnen, die halt auf einer geschützten, manchmal eben auch nicht so ganz bei sich sind, je nachdem, unter starken Medikamenten stehen. Meinst du mit geschützte Station eine geschlossene Station? Ja. Okay, gut.
0: 18:16Nennt sich heute geschützte Station. Früher noch beschlossener, aber heute ist es eine geschützte Station. Und ja, da war er dann auch nur ein paar Tage, weil er sich auch da wieder so gut verkauft hat, dass man ihn quasi gesund erklärt hat und wieder entlassen hat. Das heißt, wir haben auch da nie eine Diagnose wirklich gesehen. Ja, und dann ging das so weiter. Ich kann ehrlich gesagt nicht sagen, in welchen genauen Abständen, weil sich das eben bei mir auch in großen Lücken zeigt. Ich glaube, dass er insgesamt insgesamt viermal im Kliniken war, knapp über acht, neun Jahre verteilt. Es gab immer wieder diese Schübe, die ich immer mehr oder weniger akut miterlebt habe, weil wir halt auch über die Jahre weniger Kontakt einfach irgendwann hatten. Er wurde immer kränker, er wurde immer weniger dazu fähig, überhaupt Vater zu sein, mit uns Kontakt zu halten, mit anderen Kontakt zu halten.
0: 19:15Ich musste natürlich auch immer wieder gucken, wie ich mich schütze. Ich habe mich sehr danach gesehnt, eine Beziehung mit ihm zu haben und dass er gesund wird. Das ist aber nicht passiert. Er hat nie Medikamente lange durchgenommen. Ich glaube, das Längste waren vielleicht drei Monate oder so, ein halbes Jahr, dann hat er sie immer wieder abgesetzt. Er ist dann in andere Kliniken gekommen, die ihm auch besser gefallen haben, wo er sich wohler und ganz gut aufgehoben gefühlt hat. Der letzte Aufenthalt war auch sehr lange. Ich glaube, der war wirklich über mehrere Monate hinweg.
0: 19:48Aber auch da kam er dann raus und hat danach halt nicht weiter die Tabletten genommen. Und ja, es lief immer gleich ab. Also es war immer dieses, er verschwand irgendwann. Die Zeiträume wurden auch länger, in denen er weg war. Es waren irgendwann Wochen, manchmal Monate. Dann tauchte er eben irgendwann wieder auf, tat so, als wäre nichts gewesen, war aggressiv, verwirrt. Wie hast du dich da gefühlt? Also ich kann mir vorstellen, dass das gerade zu Beginn ziemlich schwierig ist, weil man sich sehr viel Sorgen macht. Gibt es da einen Zustand, dass man sich irgendwie daran gewöhnt? Oder wie war das für dich?
0: 20:22Ich glaube, man gewöhnt sich daran nicht, ständig Lebensangst um seine Eltern teilzuhaben. Also das ist die Antwort darauf, das ist kein Gefühl an, dass man sich gewöhnen kann. Okay, das heißt, du hattest auch immer Angst, dass ihm wirklich was passiert. Ja, ich hatte immer Angst, dass er irgendwann eben doch einen schwachen Moment hat, dass er doch irgendwann diese Angst in sich selbst nicht mehr aushält. Ich hatte Angst, dass er einfach auch unkontrollierbar ist, dass er aus Versehen gegen einen Baum fährt, weil er da drin irgendwas sieht oder dass er irgendwann ein Kind überfährt, weil das ihm irgendwie böse vorkommt oder so. Also solche Sachen. In dieser Krankheit ist er unberechenbar. Er war auch irgendwann nicht mehr mein Vater. Also wenn ich mit ihm sprach, ich hatte, ich kam nicht durch. Ich kam einfach nicht durch. Und ich war jahrelang in diesem Modus, dass ich dachte, ich bin ja seine Tochter und ich muss nur mit ihm reden und er hat mich doch lieb und für mich macht er doch immer alles. Das hat nicht geklappt. Es hat einfach wirklich immer weniger geklappt irgendwie und seine Antworten waren dann oft sehr kalt, wenn ich ihn mal am Telefon hatte, dass ich wirklich irgendwie gesagt habe, Papa du musst dir Hilfe holen, dir geht es doch nicht gut, du kannst doch nicht ständig unter solchen Ängsten leben. Und er hat dann gesagt, was hast du denn, die anderen sind komisch, aber ich doch nicht.
0: 21:38Also seine größte Angst ist auch immer, dass halt ihn andere umbringen möchten, dass es sein Wahn, seine Verfolgung. Hat er dir das so auch gesagt? Ja, das hat er mir einmal so gesagt. Das war der einzige, ich würde sagen, so richtig, ne, einer von zwei sehr emotionalen Momenten, die ich in der Krankheit hier mit meinem Vater hatte. Da war er gerade wieder in der Klinik eingewiesen worden oder ist sogar freiwillig gegangen. Ich weiß manchmal nicht warum. Ich glaube manchmal, weil wir ihn so lange bequatscht haben. Und er war dann in dieser Klinik und ich war ihn alleine besuchen. Da war ich 17 oder 18.
0: 22:13Und dann hat er zu mir gesagt, ich glaube, ich muss sterben. Und dann habe ich gesagt, Papa, ich glaube, das ist eine Krankheit. Ich glaube, du musst nicht sterben. Und das war wirklich sehr berührend, weil er dann meinte, meinst du wirklich? Und dann meinte ich, ja, das glaube ich wirklich. Und dann meinte er, okay, dann glaube ich dir. Das war krass, weil das der einzige Moment war, wo ich je in der Krankheit quasi überhaupt an ihn rankam. Also in all den Jahren, das einzige und auch das letzte Mal, muss ich sagen, glaube ich, dass wir wirklich so ehrlich auf dieser Basis miteinander sprechen konnten. Und das hat halt, ich glaube, wahrscheinlich genau den Tag gehalten. Also danach, ich weiß nicht, vielleicht hat er es sogar vergessen. Ich kann es nicht sagen, aber das ist nicht mehr da.
0: 22:59Er ist ja ständig abgehauen und du sagst, das hat was mit dem wilden Leben zu tun. Magst du das nochmal ein bisschen erklären? Hat das was mit der Drogensucht zu tun gehabt? Also ich glaube, die Drogensucht, also es ist schwer, es gibt ja Psychosen und Schizophrenien, die daraus entstehen, dass Menschen Drogen konsumieren. Und das kann eben auf Dauer passieren. Und das kann sein, wenn man Pech hat, dass man einmal an einem Joint zieht und das war's. Also das weiß man nicht. Bei meinem Vater kann man entsprechend nicht mehr nachweisen, ob er eine sogenannte drogeninduzierte Schizophrenie oder Psychose hat oder ob das unglückliche Faktoren sind, die aufeinanderstoßen. Ich glaube, die Drogen sind so tatsächlich besser gemacht. Also das auf jeden Fall. Ich glaube nicht, dass eine Drogen jemals so einen Zustand besser macht, wenn man schon vorher unter starken Depressionen litt, unter anderem. Ich glaube auch schon sehr, sehr lange. Also ich glaube, mein Vater ist wahrscheinlich depressiv, seit er Mitte 20 ist oder so, vielleicht sogar noch länger. Aus dem, was ich mir jetzt über die Jahre zusammen gesponnen habe quasi an Informationen. Die Abläufe waren immer, die meiste Zeit war er depressiv.
0: 24:04Und ich glaube, wenn die Depressionen so schlimm sind, dass er die inhaltlich kaum noch aushalten kann, wird er manisch. Die erste Phase war immer, dass es ihm nicht gut ging. Dass er auch körperliche Symptome hatte, Angstzustände. Er dachte, er hätte eine Bronchitis, obwohl er körperlich topfit war. Also so Geschichten. Dann kippte das irgendwann halt in dieses, ich fahr jetzt los, ich muss hier weg, ihr versteht mich alle nicht, viel Geld ausgeben, Sachen. Also wie gesagt, mein Vater ist eitel und hat Geschmack, aber es ist niemand, der eigentlich zu überschwänglichen... Also plötzlich kaufte der sich ein Auto, was der sich vorher nie gekauft hätte.
0: 24:38Also da habe ich meinen Vater nicht erkannt, ne, so irgendwie. Und ich glaube, sowas kommt dann aus der Erkrankung. Und das kippt dann nochmal irgendwann eben in diese Angst um, in diese Lebensangst, in diese, ich muss hier weg und alle wollen mir was und alle sind Feinde und so Geschichten. Also es geht wirklich bis hin zu, ich glaube, er kann bestimmte Lebensmittel nicht essen, aus Angst, dass sie vergiftet werden, je nachdem, wo die herkommen. Also ich kenne die Bezüge da nicht ganz genau, aber ich glaube, das ist so das, was in seinem Kopf stattfindet. Also Lebensmittelvergiftung ist auf jeden Fall ein großes Thema. Das weiß ich. Genau. Dann nimmt diese Phase zu. Dann ist er eben in meiner Jugend irgendwie doch meistens irgendwann in der Psychiatrie gelandet, ist dann da eben seine gewisse Zeit geblieben, hat vielleicht eine Zeit lang Medikamente genommen, ist wieder raus und das Ganze ist quasi von vorne losgegangen.
0: 25:39Also das war eigentlich, diese Spirale hat sich durch meine komplette Jugend gedreht. Das waren Abstände, waren mal ein Jahr, mal zwei, mal ein bisschen länger vielleicht. Aber so das halt von 13 bis so 18, 19, 20 war das so der Normalzustand quasi. Du hast jetzt sehr viel über die Beziehung zwischen dir und deinem Vater gesprochen. Wie hat deine Mutter reagiert? Meine Mutter hat ganz viel dafür getan, dass sie versucht hat, uns irgendwie abzufangen. Also die hat uns in Therapie geschickt, die hat für mich eine Jugendgruppe für Kinder psychisch erkrankter Menschen gesucht, die hat versucht, sich über Krankheitsbilder zu informieren, uns auf dem Laufenden zu halten, uns quasi auf jede Eventualität eben auch vorzubereiten. Unter anderem das Thema Suizid kam von meiner Mutter ganz klar, weil ich mir auch nicht...
0: 26:27Also was ist psychisch erkrankt, wenn man 12, 13 ist? Ich konnte mir das nicht vorstellen. Meine Mutter hat mir dann über die Jahre immer wieder nähergebracht, es kann sein, dass der Papa irgendwann nicht mehr kann. Es kann sein. So Sachen hat sie dann versucht, da irgendwie noch einzupflegen. Und ich habe mich aber zunehmend angefangen, da auch selbstständig drum zu kümmern und ihn auch allein zu besuchen und so Geschichten, weil ich auch irgendwann wirklich bewusst gesagt habe, meine Mutter ist eine Ex-Frau und ich bin jetzt langsam erwachsen.
0: 27:01Und mein Vater und meine Mutter hatten zwar die meiste Zeit eine ganz gute Beziehung, aber durch die Erkrankung eben auch oft eine sehr schlechte und war auch so ein bisschen so, nee Mama, irgendwann ist das vielleicht auch nicht mehr unbedingt dein Bier. Also ist es vielleicht jetzt auch Zeit, dass ich mich da eben drum kümmere. Das war so mit 18. Also mit 18 habe ich angefangen, meinen Vater alleine in der Klinik zu besuchen. Und das war für mich auch damals okay. Also das war jetzt nicht so schlimm. Meine Mutter hat mir halt immer nur angeboten, dass sie jederzeit wieder mitkommen kann und so. Also das war immer da, aber das wollte ich irgendwie nicht. Also ich glaube, ich wollte es auch irgendwie alleine schaffen. Ich wollte alleine, weil ich dachte, ich werde mit dem Vater erwachsen. Ich glaube nicht, dass er großartig anders wird, als wie er jetzt ist. Ich muss gucken, wie ich damit umgehen kann.
0: 27:50Das bringt irgendwann leider nichts mehr, wenn meine Mutter weiter ein Schutzschild bildet. Ich muss mich dem vielleicht manchmal ganz selber aussetzen. So unterbewusst. Und weil ich einen größeren Drang hatte, ihn überhaupt zu sehen. Ich konnte dem halt nicht widerstehen und bin dann halt hin. Ja und das Ganze gipfelte dann quasi endgültig, als ich 21 war. Da war ich relativ frisch im Studium und mein Vater verschwand, ich glaube, fast ein Jahr. Und war weg. Und wir wussten nicht wo. Also er lebte mittlerweile auch nicht mehr in der Stadt, aus der wir kommen. Meine Großeltern hatten mich damals informiert, also seine Eltern, mit denen wir auch ein gutes Verhältnis hatten. Meine Oma, die sehr unter der Situation gelitten hat, und die rief mich an und meinte, dass mein Vater, dass sie ihn länger nicht gesehen hätte, obwohl der eigentlich sehr regelmäßig bei denen war. Und sie rief dann, glaube ich, sogar seine Arbeitsstelle an. Und die meinten, der ist auch lange nicht hier gewesen. Und dann habe ich mit der Arbeitsstelle telefoniert und habe gesagt, ich glaube auch nicht, dass der wieder auftauchen wird. Mein Vater ist schwerst psychisch erkrankt. Der ist wahrscheinlich gerade nicht mehr dazu imstande zu arbeiten. Und das ist leider das, was er macht, wenn er überfordert ist. Er haut ab. Und dann waren die völlig entgeistert und haben mir dann nur erzählt, dass sie meinen Vater nicht so eingeschätzt haben und so weiter. Ich kannte das alles, ich wusste das, das war nicht das erste Mal.
0: 29:21Ich habe das mit denen quasi professionell besprochen und habe gesagt, machen Sie sich keine Sorgen, das sind nicht die ersten. Aber wie gesagt, ich glaube einfach aufgrund seiner Lage jetzt gerade wird er so schnell zumindest nicht mehr zur Arbeit kommen. Sie erzählte mir dann auch, dass er sich wohl immer weiter wirklich verbarrikadiert hat, bis dahin, dass er wirklich wohl sein Büro, ich glaube, mit einem Sicherheitsschloss abgeschlossen hatte. War das eine Kollegin oder die Chefin? Ich glaube, seine Chefin. Und dann hatte ich irgendwie Monate, wo es wirklich relativ Horror wurde. Also, wo es einfach, ne, er war weg. Ich hatte Kontakt mit meinen Großeltern, ich hatte Kontakt mit meinem Onkel, der da irgendwie versuchte, sich auch mal mit einzumischen.
0: 30:06Ich musste selber gucken, wo ich emotional blieb. Ich hatte ein Studium. Und diese ganze Kombination hat wirklich fast ein Burnout ausgelöst. Also anders kann ich es nicht sagen. Es war irgendwann einfach, ich habe nur noch geheult. Ich war nur noch erschöpft. Dann kam das BAföG-Amt auch noch. Die meinten, sie bräuchten das Unterlagen von meinem Vater. Ich musste ehrlich einfach lachen und meinte ja dann finden sie den mal. Ich suchte nämlich seit Monaten deutschlandweit, viel Spaß, wenn der überhaupt noch in Deutschland ist. Ich wusste es ja nicht mal. Ob der überhaupt noch lebt, wusste ich nicht. Also es war einfach unglaublich anstrengend emotional, monatelang. Wie hast du ihn gesucht? Gab es irgendwelche Anhaltspunkte, wo du wusstest, da wird er so oder so auftauchen? Wir haben ihn nicht so konkret gesucht, weil wir auch gar nicht wussten, wie.
0: 30:51Wir hatten wieder eine Polizeianzeige geschaltet. Und das Einzige, was blieb, war so ein bisschen die Hoffnung, dass er bisher immer wieder aufgetaucht ist. Dann schrieb er ab und zu Briefe. Und dann wussten wir, okay, er ist ja noch da. Also er lebt noch. Wer weiß wo und wie, aber er lebt noch. Konntet ihr einen Absender oder einen Stempel erklären? Nein, das haben wir auch, glaube ich, nie ernsthaft versucht. Eben aus dem Grund, dass wir ja auch nicht wussten, wie wir damit umgehen sollen.
0: 31:16Wir konnten ja nicht hinfahren, dann wäre er wahrscheinlich nur aggressiv geworden oder so. Das war für uns, ich glaube, dass er auch ganz viel Zeit dann in seinem Auto lebt, wirklich, wenn er so weg ist, dass er da übernachtet. Ich glaube, sein Auto ist manchmal so ein bisschen wie sein Safe Space oder so. An das ich dachte, ja gut, dann lebt er jetzt halt gerade wohl so. Hat er auch ein Verfolgungsfahnen von euch ausgespürt? Ja, das stellte sich halt über die Jahre immer mehr heraus, dass umso erwachsener wir wurden, desto mehr sah er uns auch als Bedrohung. Meine Mutter sowieso immer wieder mal, also das meine ich mit diesem sehr seltsamen Verhältnis, mal sind die sich sehr eng und mein Vater hört auf meine Mutter, noch bis heute manchmal und mal ist meine Mutter der größte Feind gewesen. Das war irgendwie ganz schwierig.
0: 32:04Und deswegen war es dann halt auch immer wieder dieser Unterton von, ja, ich weiß ja nicht, wer euch was erzählt über mich, und ihr werdet jetzt erwachsen, und ich weiß nicht, wie man euch einschätzen kann. Also so, das war auch ein Thema für ihn, dass er uns irgendwann nicht mehr einschätzen konnte, ob er jetzt Angst vor uns haben muss, ja oder nein, irgendwie. Und dann taufte er um den 18. Geburtstag meiner Schwester wieder auf, sagte uns, wo er zu dem Zeitpunkt lebte. Also hatte sich da wirklich eine Wohnung genommen, hatte einen neuen Job da und rief sie an ihrem 18. Geburtstag an. Das war das erste Mal, dass wir seit Monaten mit ihm gesprochen haben.
0: 32:41Und hat am Telefon, ich weiß nicht, was er ihr gesagt hat, und ich vermute eben diese bekannten Heiß-Kalt-Spiele. Dieses, ne, ich liebe dich, aber ich weiß nicht, wie du einzuschwätzen bist. Und das war der Moment, wo mir klar wurde, okay, jetzt ist Schluss. Also hier wird es wirklich auf. Das hat er jahrelang mit mir gemacht. Ich hab wirklich gesagt, nö, jetzt reicht es. Und daraufhin haben wir gemeinschaftlich beschlossen, den Kontakt zu meinem Vater auf wirklich das Allernötigste zu reduzieren. Alle drei? Ja.
0: 33:16Also, ihr, deine Schwester, du und deine Mutter? Meine Mutter sowieso schon, wie gesagt, eh sehr erschwert. Meine Mutter hat da nochmal ein ganz eigenes Verhältnis zu. Aber meine Schwester und ich haben als Töchter gemeinsam beschlossen, wir machen das so nicht mehr. Also, das darf nicht sein. Wir haben uns dann eine Angehörigengruppe gesucht, sind dahin, haben sehr harten Input bekommen von den Leuten, die da waren, aber sehr hilfreich, die wirklich meinten, nein, das geht nicht und das dürft ihr nicht mit euch machen lassen, ihr seid noch so jung, ihr müsst selber gucken, wo ihr bleibt.
0: 33:49Wirklich so von sehr erfahrenen Leuten, die eher die Eltern dieser Kinder waren, also dieser Erkrankten. Und das war irgendwie bestärkend, natürlich auch sehr hart, aber sehr bestärkend. Und das hat uns eben daran bestärkt, dass wir gesagt haben, okay, es wird auch das Nötigste erstmal hinauslaufen. Weihnachten, Bafög, Ostern, Geburtstage, so. Aber wir werden nicht mehr mit ihm telefonieren. Wir werden nicht mehr Zeit mit ihm verbringen. Wir werden ihn nicht mehr sehen. Gleichzeitig, glaube ich, ist er ungefähr zu dem gleichen Schluss gekommen. Ich glaube eben aus Angst und aus sozialer Inkompetenz, die einfach mit dieser Krankheit irgendwann auch einherging. Dass er einfach irgendwann auch wirklich sozial nicht dazu bestande war, glaube ich, mit uns eine wirkliche Beziehung zu führen.
0: 34:40Und seitdem ist der Kontakt quasi eingeschränkt. Findet der Kontakt zwischen deinen Großeltern und ihrem Sohn noch statt? Ja, mein Großvater ist mittlerweile verstorben, seit einigen Jahren. Das war ganz schwer, das war sehr, sehr schwer, weil... Also, mein Vater und mein Opa hatten ein sehr angespanntes Verhältnis aus verschiedenen Gründen. Die haben sich einfach schon lange nicht gut verstanden. Und dann kam diese Krankheit noch dazu und mein Opa hat die Krankheit nicht verstanden und seinen Sohn nicht verstanden. Das war ein ganz komplexes Verhältnis sowieso. Mein Vater und meine Oma hatten hingegen ein sehr enges Verhältnis zueinander.
0: 35:16Die waren sich sehr zugewandt, die haben sehr offen miteinander gesprochen. Meine Oma hat unglaublich darunter gelitten, dass ihr Sohn so leidet. Das war ganz schlimm. Sie hat eben auch ganz viel mit sich machen lassen, wo sie wusste, dass sie es eigentlich nicht sollte, ihm Geld gegeben. Und so Nummern, ja, einfach weil sie als Mutter, glaube ich, einfach nicht anders konnte. Also da habe ich auch, das weiß ich auch heute, umso mehr Kontakt ich auch mit solchen Menschen habe, die eben auch angehörig sind, weiß ich, dass die Rolle von Eltern nochmal eine ganz andere ist. Weil meine Oma sich eben Vorwürfe gemacht hat, dass sie ihren Sohn krank gemacht hat und dass sie ja für ihn da sein muss und dass sie ja seine Mutter ist und konnte den entsprechend viel schlechter aufgeben einfach auch.
0: 36:09Hat sie auch Selbsthilfegruppen besucht? Nein, da war leider, also ich glaube sie war einmal zu alt, sie war irgendwann zu krank und ich weiß nicht ob und wie sie das mit sich selber ausgemacht hat. Sie hat mit uns eben darüber gesprochen, das tat ihr glaube ich auch gut. Sie hat uns damit auch nie überfordert. Also es war meiner Oma auch immer ganz wichtig. Die wollte jetzt nicht nur ihr Leid bei uns abladen oder so, gar nicht. Ich konnte da mit meinen Großeltern oder mit meiner Oma vor allem sehr gut drüber sprechen. Und ich glaube, das war so ihre Art der Selbsthilfe. Hat dein Vater mal Selbsthilfegruppen besucht?
0: 36:45Vielleicht in der Klinik? Also das kann sein. Ich weiß, dass er ein Gruppenangebot teilgenommen hat, dass er da auch so Gruppenkunsttherapie und so meine ich gemacht hat. Was er da jetzt genau in Anspruch genommen hat und ob er da was mitgenommen hat, kann ich nicht sagen. Wie geht es dir heute mit der Situation? Du hast gesagt, seitdem besteht jetzt kein Kontakt mehr. Genau, also ich habe ihn eben noch zu den Beerdigungen meiner Großeltern gesehen. Ja, und da haben wir uns verabschiedet. Und ich glaube, wir alle wussten, das kann jetzt das letzte Mal sein, dass wir uns jemals sehen. Also das weiß ich halt nicht und das kann ich ja nicht sagen. Und der Kontakt ist seitdem, das ist jetzt auch wieder ein paar Jahre her, weiter bei dem geblieben, was er jetzt ist.
0: 37:25Das heißt, du hast ihn da tatsächlich das letzte Mal gesehen? Ja, das ist das letzte Mal. Wie viele Jahre ist das ungefähr her? Ich glaube, fünf. Hattest du in der Zwischenzeit irgendwann mal den Drang dazu, Kontakt zu ihm aufzubauen? Immer wieder mal. Also man muss auch sagen, wir haben seitdem so zwei, drei mal telefoniert. Das haben meine Schwester und ich nach und nach wieder eingeführt, weil er anfing, anonym anzurufen und sonst was. Und das ist uns sehr wenig lieb. Also wir gehen seit Jahren bei anonymen Anrufen nicht ans Telefon, weil wir eben dabei unseren Vater im Kopf haben. Und dann haben wir beschlossen, wir drehen es um und rufen ihn jetzt selber an. Und seitdem haben wir sehr, sehr sporadisch Kontakt.
0: 38:08Lass es dreimal im Jahr sein. Ich glaube, seit zwei Jahren haben wir in diesen Abständen Kontakt. Sei es kurz vor Weihnachten telefonieren. Das sind Gespräche, die sich auf zwei, drei, fünf Minuten beschränken. Da äußerte er immer wieder, er würde uns gerne sehen und wir sollen ihn besuchen. Es ist schwer, da standzuhalten, weil man ihm natürlich anhört, dass er uns vermisst und dass wir ihn auch vermissen. Wir überlegen momentan, ob es möglich wäre, ihn irgendwie in einem gewissen Rahmen noch mal zu treffen. Dafür müssen aber wirklich alle Sicherheitsmaßnahmen quasi absolut korrekt für uns alle sein. Das heißt natürlich nicht bei ihm zu Hause zum Beispiel. In einem öffentlichen Rahmen, wenn er das denn dann kann, das weiß ich eben auch nicht so genau, ob er nicht dafür auch einfach zu krank ist.
0: 39:05Das ist so ein bisschen, dann muss es eine Zeit sein, wo meine Schwester und ich eben beide auch selber emotional abgesichert genug sind, um uns das zuzutrauen und er gerade vielleicht nicht die schlimmste Episode durchleidet. Das sind alles so Faktoren, die müssen da irgendwie mit beachtet werden. Anreise, Abreise, so Geschichten. Kriegen wir eine Ausrede zurechtgelegt, dass wir vielleicht gehen können. Was für ein Leben führt dein Vater jetzt? Hast du da was durch die Telefonate mitbekommen? Der hat gearbeitet bisher, immer wieder. Der ist immer wieder auch mal arbeitslos. Ich glaube, wenn der Schub zu schlimm wird, dann sind alle Kollegen scheiße und er kann sowieso alles besser. Und hier wird ja irgendwas im Hintergrund besprochen und wer weiß. Und dann geht es halt wieder von vorn los. Ich weiß seitdem natürlich nicht, haut er dann wieder ab? Ist er zu Hause? Das kann ich nicht sagen, aber damit lebe ich mittlerweile dann eben auch gut. Ich denke, er kommt ja bisher immer wieder. Also dann soll er jetzt halt wegfahren, wenn das seine Freiheit gerade ist, dann soll er das tun.
0: 40:04Weil es mich auch seitdem natürlich einfach nicht mehr so stark trifft. Also ich kriege es ja einfach gar nicht mehr mit und das macht es auf jeden Fall einfacher, damit umzugehen. Der werkelt viel vor sich hin, das hat er auch schon immer gerne gemacht. Der war früher sehr sportlich, ich weiß nicht, ob er noch Sport macht. Da hat er immer seine Phasen gehabt, also auch glaube ich fast so manisch, fast schon, dass er übertrieben viel Sport getrieben hat und dann wieder gar nicht. Kann ich entsprechend jetzt auch nicht sagen, wie fit er momentan ist. Ist jetzt halt auch schon was älter natürlich, also ist jetzt so langsam im Rentenalter angekommen. Und ja, also führt er so sein Leben irgendwie zwischen Arbeit und Haus. Ich vermute nicht, dass er großartig soziale Kontakte hat.
0: 40:46Mit ein bisschen Rückblick, so was die letzten Jahre passiert ist, würdest du ihm, würdest du sagen, du machst ihm Schuldgefühle? Ein bisschen. Nicht, weil er krank ist, überhaupt nicht, sondern weil er sich nie um sich gekümmert hat. Das ist, weil ich jetzt mittlerweile mit Menschen arbeite, die die gleiche Erkrankung haben, die auch Kinder haben und die für ihre Kinder spätestens gesagt haben, ich muss jetzt was für mich tun und ich muss hier raus. Ich muss anfangen mich behandeln zu lassen und so weiter. Ist aber gleichzeitig trotzdem sehr schwierig, weil es gehört eben zum Krankheitsbild Schizophrenie, dass die oft nicht einsichtig sind. Also es ist eben super schwer und das ist so ein bisschen auch die Frage für mich, wird es da jemals eine Möglichkeit geben mit ihm vielleicht sogar darüber zu sprechen. Niemals so wie ich das jetzt mit euch könnte oder so, sondern eher im Sinne von ihm zu sagen, ich sehe deine Ängste, ich kann sie nicht verstehen, aber ich sehe sie und vielleicht darüber einen Zugang zu finden. Das möchte ich aber ungern vorprogrammieren sozusagen. Also ich möchte mir das gerne offen halten, inwiefern ich das überhaupt mit ihm kann. Du hast gerade eben angesprochen, dass du jetzt beruflich in die Richtung eingeschlagen hast.
0: 42:05Würdest du sagen, du bist da sozusagen reingeboren und reingewachsen? Ja, danach ist noch ganz viel passiert. Mein Vater weiß halt, dass ich im sozialen Bereich tätig bin, dass ich mich für schwierige Familien einsetze. Der weiß aber nicht warum. Ich glaube, vielleicht könnte er sich das auch selber erschließen, aber ich glaube, das ignoriert er einfach weg und das soll er dann auch machen. Er ist sehr stolz, weil er selber in so einem Bereich lange tätig war und ich ja dann in seine Fußstapfen trete und dann ist das, glaube ich, für uns beide so ganz gut. Ich habe danach selber noch eine längere Geschichte quasi hinter mir. Ich bin dann eben in diese Selbsthilfegruppen gegangen erst mal, habe damals noch was anderes auch studiert, was jetzt auch sozial ist, aber überhaupt nicht in diesem Fachbereich irgendwie fällt.
0: 42:53Ich habe dann parallel noch eine Psychoanalyse irgendwann angefangen, weil ich mit 23, 24 anfing, wirklich starke Panikattacken und Angstzustände zu entwickeln. Also so stark, dass ich aus Bahnen aussteigen musste und so weiter. Und dann relativ schnell selber auf die Idee kam, dass ich dachte, ja gut, bei der Kindheit, die du erlebt hast, kein Wunder, dass du Angst hast. Also bin ich dann eben in eine Psychoanalyse gegangen, habe da dann auch nach und nach quasi zusammen klamösert, dass ich die Symptome insgesamt einer posttraumatischen Belastungsstörung aufweise, also komplexe PTBS in dem Fall, weil ich eben so oft so viele traumatische Gefühlszustände erlebt habe, eben gar nicht die körperlichen Handlungen, weil mein Vater eben niemals handgreiflich geworden wäre.
0: 43:42Aber das und eine Psychologin sprach mal davon, dass ich quasi den Inbegriff eines Entwicklungstraumas habe, weil ich eben niemals emotional stabil aufgewachsen bin, wahrscheinlich schon seit frühester Kindheit an, weil er eben schon so früh auch eigentlich erkrankt war. Ich habe eben gemerkt, ich habe riesige Gedächtnislücken. Ich hatte dann noch Zeiten, wo ich stark dissoziiert habe, wo ich Flashbacks bekommen habe. Momentan nicht mehr. Ich kämpfe durchaus, aber trotzdem noch immer mit depressiven Episoden, eben mit diesen Angstzuständen, die immer wieder mal kommen können.
0: 44:14Das bleibt, glaube ich, auch einfach erst mal. Und mit dieser Selbsthilfegruppe bin ich dann quasi parallel daran gekommen, auf Fachtagen darüber zu sprechen. Und bin auf Fachtagen gewesen, um als Kind eines psychisch Erkrankten ehrlich davon zu erzählen, also wie ich es euch gerade erzähle, wie ich es Fachpersonal noch härter erzähle, was da passiert. Weil ich gemerkt habe, dass ja auch, und das ist was, was ich dem Bildungs- und dem Gesundheitssystem angreife, sich niemals jemand um mich damit gekümmert hat. Also wir wurden einfach auch viel alleine gelassen.
0: 44:48Meine Mutter wusste auch irgendwann einfach selber nicht mehr, was sie machen soll. Deswegen mache ich meiner Mutter in vielen Dingen auch überhaupt keinen Vorwurf. Ich halte denke, wie soll sie es denn auch besser wissen? Also sie hat nach ihrem besten Gewissen gehandelt. Wir haben nach unserem besten Gewissen gehandelt. Aber es gab niemanden, der sich da mal weiter darum gekümmert hätte. Es gab niemanden, der uns mal aufgeklärt hat, dass das jetzt wahrscheinlich ein Leben lang Bestandteil bleiben wird, dass ich meinen Vater hier gerade verliere, dass ich auch seitdem immer wieder in akuten Trauerprozessen stecke, weil ich noch immer quasi um meinen Vater trauere. Und deshalb habe ich angefangen, auf Fachtagen ehrlich und offen zu kommunizieren, war viel auch wütend dabei und habe dann eben gemerkt, die haben ja zum großen Teil keine Ahnung. Die arbeiten jeden Tag mit dieser Familie und die haben keine Ahnung. Und ich das so viel von denen gehört habe, wie dankbar sie wären, dass das mal wirklich eine Betroffene erzählt. Psychiater können darüber sprechen, aber wie sich das anfühlt, in so einer Kindheit zu stecken, können einem nur die Betroffenen wiedergeben.
0: 45:51Und das war so ein Beweggrund, wo ich gesagt habe, okay, ich glaube, ich will das nicht komplett über meine Geschichte machen. Das wäre einfach emotional zu anstrengend. Aber Aber ich will irgendwie dahin, dass ich eben dieses Thema bearbeite. Dass ich vor allem junge Menschen im besten Fall irgendwann dafür schützen kann, das Gleiche zu erleben, was ich erlebt habe. Und auch, was ich aus meiner Selbsthilfegruppe weiß, ganz, ganz viele andere zum Teil noch viel schlimmer erleben. Also ich bin da fast noch gut weggekommen, so im Verhältnis. Ich spreche von Zwangsfixierung, Hausbrand, weil die Eltern irgendwie Brandstifter waren. Das alles erleben wir. Und dann bin ich quasi über diese Fachtagung immer weiter reingerutscht, habe dann irgendwann angefangen in der Initiative in meiner Herkunftsstadt zu arbeiten und habe dort angefangen an Schulen zu gehen, darüber aufzuklären, habe darüber wieder weitere Kontakte geknüpft, weil da zum Teil sehr erfahrenes Fachpersonal bei ist. Da hat mir dann netterweise vor anderthalb Jahren einer eine Stellenanzeige geschickt und meinte, bewirb dich doch mal da, das könnte doch auf dich passen. Und ja, hat mich beworben, bin genommen worden und arbeite eben seitdem auch in dem Bereich fest. Würdest du sagen, es hat auch dir geholfen, das Ganze zu verarbeiten? Ja, definitiv. Also ich habe mal mit einem Betroffenen gesprochen, mit dem ich sehr eng bin, mit dem ich eben ehrenamtlich auch arbeite. Und wir haben beide festgestellt, die Arbeit, die wir zusammen an Schulen machen, zum Beispiel, keine klassische Selbsthilfe ist, aber dass sie uns natürlich selber hilft, weil wir immer wieder uns selbst reflektieren, immer wieder unser Leben reflektieren, die Prozesse beobachten, die wir daran machen. Das hat natürlich was Heilendes, das kann ich schon nicht anders sagen.
0: 47:37Ich möchte das aber natürlich nicht als reine Selbsttherapie machen, weil das einfach gefährlich wäre. Ich habe gemerkt, ich hatte immer schon ein wahnsinnig aktivistisches Selbstbewusstsein. Ich habe mich immer für gesellschaftliche Themen interessiert. Ich bin auch in rassismuskritischen Themen interessiert. Ich bin im Feminismus sehr interessiert und so weiter. Ich habe jetzt halt in dem Thema quasi diese Berufung gefunden, weil ich es eben mit einem Know-how machen kann, was andere einfach gar nicht haben, was sie auch nie haben werden. Wenn du jetzt mal so drüber nachdenkst, nehmen wir mal an, ich wäre ein Mädchen an einer Schule und ich würde mich jetzt an dich wenden, weil du hast gerade davon berichtet und ich erzähle so ein bisschen, was bei mir abgeht, was bei mir passiert.
0: 48:21Was würdest du dem Kind raten, wie es vorgehen sollte? Erstmal ist für mich immer das allerwichtigste, wirklich drüber reden. Ich habe viel zu lange nicht darüber geredet und ich glaube, das hat aus so verschiedenen Arten geschädigt. Also dass ich eben als Schülerin dachte ich immer, ich sage nichts, weil sonst bin ich die mit dem verrückten Vater. Und dann habe ich ums Abitur erfahren, dass in meiner Klasse noch einige andere betroffene Kinder saßen, wo ich dachte, scheiße, hätten wir mal früher angefangen zu reden, dann hätten wir uns irgendwie besser connecten können. Und mit denen connecte ich mich dann heute zum Teil noch. Also es sind noch heute Freunde von mir. Aber wo ich denke, ich bin alleine damit durch diese Schulzeit gegangen und das hätte ich ja gar nicht gemusst. Das hätte ich nicht gemusst, das hätten wir alle nicht gemusst. Das ist so ein Ding, was ich halt deswegen immer nur empfehlen kann, weil auch an den Zahlen, die ich heute weiß, bewegen wir uns mit drei bis vier Millionen Kindern deutschlandweit, die in solchen Familien leben. Nur jetzt gerade. Und das heißt, wenn die anfangen zu reden, dann ist das eine Riesenzahl. Also das ist nicht mehr kleinzureden. Und durch diese Connection allein hat man ja schon jemanden, mit dem man sich viel verbundener fühlen kann. Und Und auch andere Schicksalsschläge, die andere Freundinnen von mir hatten, da kann man sich dann gut drüber connecten.
0: 49:45Das ist ein bisschen Traumabotting, würde ich das nennen. Ich hatte Freundinnen, die aus anderen Gründen keinen Vater hatten. Das war auch trotzdem heilsam, weil wir trotzdem die, die ohne Eltern teil waren. Selbsthilfegruppen sind auf jeden Fall ein ganz großes Thema. Das kann ich wirklich immer nur wärmstes empfehlen. Ich glaube, die haben einen total schlechten Ruf. Und das kann ich absolut nicht nachvollziehen. Ich war bisher nur in tollen Selbsthilfegruppen. Ich war noch nie in meinem Leben in einer schlechten Selbsthilfegruppe. Und eben sich auch wirklich das eigene Leid auch zusprechen zu dürfen.
0: 50:21Zu sagen, nur weil mein Elternteil jetzt krank ist oder meine Schwester oder wer auch immer, irgendwie im Umfeld, mein Partner, meine Partnerin, heißt das nicht, dass es mir nicht damit schlecht gehen darf. Weil das halt so schnell der Tugschluss ist. Wenn Mama Depressionen hat, dann muss ich mich zurücknehmen, weil Mama geht es ja schlecht. Aber was ist denn mit mir? Und was bleibt mir, wenn ich nicht mehr auf mich achte? Irgendwie so gibt es dieses schöne Bild, das kennen mittlerweile viele und ich finde das sehr passend einfach, wenn man im Flugzeug ist und der Sauerstoff knapp wird, dann soll man sich zuerst selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen, bevor man es bei wem anders macht. Und das gilt hier einfach auch. Es gilt immer erstmal Priorität Nummer eins sollte immer man selbst sein. Und das ist was, was ich eben auch den Kindern an Schulen viel mitgebe, weil ich eben weiß, wie das ist, wenn die Priorität nicht mehr man selbst ist und eben auch was das für Schäden hat, wenn man es nicht mehr selbst ist.
0: 51:17Weil ich eben viel zu lange Dinge mit mir habe machen lassen im Nachhinein, die mir eben hochgradig geschadet haben. Wahrscheinlich wäre ich früher bei meinem Vater ausgezogen, hätte ich früher den Kontakt reduziert, hätte ich mich wahrscheinlich wirklich anders entwickeln können und hätte heute vielleicht sogar keine posttraumatische Belastungsstörung, hätte vielleicht keine Angstzustände oder nicht in diesem Ausmaß, sonst weiß ich halt nicht. Das ist alles sehr weit gesponnen. Aber dieses Thema von ich muss mich auch selber schützen, ich habe dazu ein Recht. Ich habe dazu ein Recht, mich scheißen zu fühlen, mich zurückzuziehen, den Kontakt einzudämmen, mir Hilfe zu holen, egal in welcher Form. Das ist alles in Ordnung und das muss und darf sein. Was wünschst du dir für dich und für deine Schwester für die Zukunft? Das ist eine gute Frage. Also klar, erstmal natürlich so das Beste grundsätzlich. Ja, also die Sache ist, ich glaube, wir glauben beide nicht mehr an irgendeine endgültige Lösung. Also wir haben keine Hoffnung mehr.
0: 52:27Das klingt übler als es gemeint ist, weil es ist in dem Fall gut, keine Hoffnung mehr zu haben, weil wir dann unser eigenes Leben führen können. Und das wünsche ich uns auch weiter, dass wir, egal was mit ihm kommt, uns nicht so weit wieder eindämmen, dass wir nicht mehr unser Leben führen und dass wir am Ende sagen können, das war schon richtig, so wie wir es gemacht haben. Was wünschst du dir für deinen Vater? Dass er, da habe ich mir schon oft Gedanken darüber gemacht, dass er so wie er ist, für sich gut existieren kann. Auch mit der Erkrankung, auch wenn er keine Tabletten nimmt. Schöne Worte. Ja, irgendwann gedacht, also in der Szene, in Anführungszeichen, wird halt viel davon gesprochen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen Menschen mit psychischen Behinderungen sind.
0: 53:23Und so sehe ich meinen Vater auch. Ist einfach ein Mann mit einer schweren psychischen Behinderung. Und das heißt, und die wird nicht mehr behandelt. Punkt. Das heißt, das was er kann, ist sich damit so gut es geht einzurichten und seine Teilhabe im Leben, wie es jedem Menschen auch mit Behinderung zusteht, zu bekommen. Und das wünsche ich ihm. Und dass er nicht so viel Angst hat. Danke dir, danke dir, dass du deine Geschichte mit uns geteilt hast. Bitte, sehr gern. Danke euch. Ich danke dir auch und ich wünsche dir, deiner Familie und auch deinem Vater alles, alles Gute.
0: 54:02Das wünsche ich mir auch. Danke. Hier noch eine Anmerkung. Wenn du von den besprochenen Themen betroffen bist oder Unterstützung benötigst, bitte zögere nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hole die Unterstützung bei professionellen Hilfeeinrichtungen oder dir vertrauten Personen. Bis zum nächsten Mal bei Von Bohne zu Bohne. Du wirst selbst bei uns dabei sein, denn melde Dich auf unserer Website oder unserer Social Media.
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